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Wahlkämpfer in Ägypten

Mit Koran und Kuscheldecke

Feature

Mohammed El Baradei zieht seine Präsidentschaftskandidatur zurück. Die Kampagne des Friedensnobelpreisträgers war nie wirklich ins Rollen gekommen. Die cleversten Wahlkämpfer in Ägypten findet man dagegen in den Reihen der Salafisten.

»Ich lasse die Menschen wählen, wie sie wollen und garantiere ihnen Meinungsfreiheit. Am Abend nehme ich dann die Wahlurne, werfe sie in den Fluss und ersetze sie durch eine, die wir vorbereitet haben und die in unserem Sinne ist«, heißt es in dem Roman »Tagebuch eines Staatsanwaltes auf dem Lande.« Geschrieben hat ihn Tawfiq al-Hakim, der bedeutendste Dramatiker Ägyptens.

 

Seine Aktualität hatte die 1937 verfasste Geschichte bis zum Sturz Hosni Mubaraks dieses Jahr nie eingebüßt, schließlich waren unter dem gestürzten Raïs und seinen Vorgängern die Wahlen stets gefälscht, gingen meist nicht mehr als fünf Prozent der Ägypter zur Stimmabgabe. Bei den Parlamentswahlen war das nun anders – und doch hat sich nichts geändert, meint Mohammed El Baradei. Der Friedensnobelpreisträger und Liebling der westlichen Medien hat deshalb am Wochenende erklärt, er werde sich nicht um das Amt des Präsidenten bemühen. »Mein Gewissen erlaubt es mir nicht, mich um die Präsidentschaft oder ein anderes Amt zu bewerben, solange es kein echtes demokratisches System gibt«, sagte er.

 

»Der Wächter der Apokalypse« gibt auf

 

Eine ernsthafte Chance Juli dieses Jahres Ägypten zu regieren, dürfte der 69-Jährige jedoch nie gehabt haben. Die große Mehrheit der Bevölkerung konnte mit El Baradei nie etwas anfangen, zumal er über Jahre hinweg im Ausland gelebt hatte. Als Unbekannte die Tochter des »Wächters der Apokalypse« – so der Titel seiner jüngst auf Deutsch erschienen Biographie – im Badeanzug ins Internet stellten, dürfte der wenig charismatische Karrierediplomat jegliche Zustimmung verloren haben.

 

Ähnlich ergeht es Amr Mussa, dem ehemaligen Generalsekretär der Arabischen Liga und Außenminister Hosni Mubaraks, der einen Hand zum Alkohol habe, wie der fromme Volksmund sagt. Als er Anfang Januar die Omar Makram-Moschee unweit des Tahrir-Platzes zum Gebet besuchen wollte, bezeichneten ihn dessen Gegner als Überbleibsel des alten Regimes und buhten ihn solange aus, bis Mussa schließlich stumm das Gotteshaus verließ.

 

Fernab von Kairo, dem Hort der politischen Kabale, wo die Mehrheit der 80 Millionen Ägypter leben, hatten und haben diese beiden Männer nie eine Chance gehabt. Dass deren Ideen niemals eine Mehrheit erreichen würden, hat nicht zuletzt das endgültige Ergebnis des Wahlmarathons zum Unterhaus gezeigt.

 

Die »Spin Doctors« der Salafisten

 

Die von der Muslimbruderschaft im April 2011 initiierte »Partei für Freiheit und Gerechtigkeit« erreichte nach eigenen Angaben 46 Prozent der Sitze, Al-Nour, die »Partei des Lichts« um Emad Abdel Ghafour rund 23 Prozent. Ein Erfolg, den in diesem Ausmaße die wenigsten Analysten erwartet hatten.

 

Vor allem deren perfekter, mit Petro-Dollars finanzierter, Wahlkampf in der Peripherie hat zu diesem Ergebnis beigetragen: Bereits im November konnte man in jeder Wüstenoase, an den meisten der Lehm- und wenigen Steinhäuser Plakate der »Partei des Lichts« oder anderer salafistischer Gruppierungen sehen. Ob in Dachla, einem kleinen Nest, 800 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, dessen Bewohner seit vier Jahren Elektrizität ihr Eigen nennen, in Baharija, einer Oasenstadt mit 150.000 Dattelpalmen und wesentlich weniger Einwohnern, oder den Dörfern des Nildeltas.

 

Auch in der oberägyptischen Stadt Assuan war man massiv präsent. »Die Partei des Lichts ist für alle Ägypter da«, konnte man wochenlang auf einem riesigen Plakat, das deren Wahlkämpfer über ihren Stand in der Nähe des Hauptbahnhofs gehängt hatten, lesen. Aus den Boxen dröhnten Koransuren, die zusätzlich auf eine Leinwand projiziert wurden, während Männer Info-Broschüren mit einem freundlichen Lächeln an alle Passanten verteilten.

 

Die Salafisten hatten und haben gute Kampagnenplaner, im Polit-Jargon »Spin Doctors« genannt. Sie spielen in einer eigenen Liga. Der ägyptischen Bevölkerung verkaufen sie sich als lupenreine Salafisten, ergo: Antipoden des alten Systems. Dem Westen hingegen versucht man in die Kuscheldecke zu hüllen.

 

Die zwei Gesichter des Adel Abd al-Maqsoud Afifi

 

Erst kürzlich hatte ein Sprecher der »Partei des Lichtes« gar dem israelischen Radiosender Galei Zahal ein Interview gegeben. Auch Adel Abd al-Maqsud Afifi, Gründer und Vorsitzender der »Partei der Authentizität«, bläst ihn das selbe Horn, will weibliche und koptische Präsidentschaftsbewerber verbieten – ist aber zugleich der beste Beweis dafür, dass auch die Salafisten eng mit dem Mubarak-Regime verbandelt waren – Vermarktung alles ist.

 

Afifi, Liebhaber klassischer Musik und Hobby-Dirigent, der bereits vor dem schwedischen Königspaar in der Stockholmer Oper den Taktstock schwingen durfte, hat jahrelang in der Armee gedient, es bis zum Rang eines Generals gebracht und früher die »Mogamma«, die zentrale Verwaltungsbehörde am Tahrir-Platz im Herzen Kairos, geleitet.

 

Der musisch Begabte kennt die Praktiken, die Tawfiq al-Hakim in seinem Roman beschrieben hatte aus dem Effeff. Und dennoch: Er, der Salafist mit dem direkten Draht zum Mubarak-Regime, ist auf der Siegerstraße, nicht El Baradei, nicht Amr Mussa.

Von: 
Dominik Peters

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