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Corona-Verlauf in Katar, Jordanien und Dschibuti

So unterschiedlich betrifft Corona den Nahen Osten

Analyse
Die Skyline von Doha
Die Skyline von Doha. Foto: Florian Guckelsberger

Warum fallen so viele Tests in Katar positiv aus? Warum sterben so wenige Jordanier? Weshalb ist die Sterblichkeitsrate in Dschibuti viermal niedriger als in Deutschland? Eine Analyse der Fallzahlen zeigt erstaunliche Entwicklungen.

Katar

In Katar wurden bereits drei Prozent der Bevölkerung positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Mit rund 30.700 Infektionen pro eine Million Einwohner ist das kleine Land am Golf einsamer Spitzenreiter im Nahen Osten. Die Sterblichkeitsrate von 34 Toten je eine Million Menschen katapultiert Katar auf Rang sieben in der Region. Auffällig ist vor allem, dass mehr als ein Viertel aller Tests positiv ausfielen – obwohl in der Region nur Bahrain noch mehr testet als Katar.

 

Andreas Krieg ist Assistenz-Professor am Kings College in London und beschäftigt sich intensiv mit dem Golfstaat. Er konstatiert: »Katars Situation sieht auf dem Papier in der Tat etwas dramatischer aus als anderswo in der Region.« Die Gründe dafür seien eine hohe Testdichte und große Transparenz im Umgang mit Infektionszahlen. »Doch Katar hatte anfangs auch ein großes Problem, die Infektionen unter Gastarbeitern gering zu halten«, ergänzt Krieg. »Die Social-Distancing-Regeln lassen sich in Massenunterkünften nur schwer umsetzen.«

 

Der anfängliche Infektionshotspot lag laut Krieg in der »Industrial City«, in der viele Arbeitsmigranten leben, »während sich der Ausbruch unter Einheimischen immer noch in Grenzen hält«. Was den weiteren Verlauf der Pandemie in Katar angeht, ist Krieg vorsichtig optimistisch: »Vergangene Woche wurde in Katar der Peak der Pandemie erreicht – die Zahlen werden nun schrittweise abnehmen. Es wurden bereits Schritte eingeleitet, damit sich die Bevölkerung auch draußen wieder bewegen kann.« Eine Rückkehr zur Normalität erwartet Krieg allerdings erst im September: »Katar hat mehr Geduld als beispielsweise die Emirate und muss nicht schon in den nächsten Wochen alles wieder normalisieren.«

 

Jordanien

Jordaniens Pandemieverlauf fällt ebenfalls ins Auge: Bis heute meldete das Königreich noch nicht einmal 100 Fälle je einer Million Menschen. Außerdem sind offiziellen Zahlen zufolge erst neun Jordanier an Covid-19 verstorben – und dass, obwohl Jordanien eine der höchsten Raucherquoten weltweit aufweist. Raucher zählen zu den von der WHO ausgewiesenen Risikogruppen.

 

Derart geringe Zahlen verzeichnen in der Region ansonsten nur krisengeschüttelte Länder wie Jemen, Syrien und Libyen, in denen die offiziell vermeldeten Zahlen vermutlich wenig mit der Realität zu tun haben. Der letzte Todesfall durch Covid-19 in Jordanien wurde am 5. Mai gemeldet – und auch die Infektionszahlen steigen nur langsam.

 

Der in der Hauptstadt Amman lebende Journalist Philipp Breu führt die geringen Zahlen auf die frühen und umfassenden Maßnahmen in Jordanien zurück. »Das Land wurde bereits im März vollkommen heruntergefahren und erlebte über zwei Monate lang den strengsten Lockdown der gesamten Region«, erläutert Breu, »fast drei Monate lang war es sogar untersagt, Auto zu fahren oder den eigenen Bezirk zu verlassen«.

 

Auch durch rigide Kontrolle der Medien gelang es der Regierung, sich als erfolgreiche Krisenmanagerin zu inszenieren: »Für viele Jordanier ist Corona bis heute ein Mythos, den es vielleicht in China, nicht aber in Jordanien gibt«, erläutert Breu, »das liegt unter anderem daran, dass man in keinem jordanischen Fernseh- oder Zeitungsbericht jemals schwerkranke Menschen gesehen hat. Die Regierung hat die Veröffentlichung solcher Bilder von Anfang an unterbunden, um den Eindruck zu vermitteln, man habe alles im Griff«.

 

Allerdings warnt Breu davor, das Virus für besiegt zu erklären. Er hält es vielmehr für unvermeidlich, dass die Zahlen steigen, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden: »Jordanien hat sich lediglich einen Puffer geschaffen, um sein nicht gerade gut ausgebautes Gesundheitssystem auf eine zweite Welle vorzubereiten.«

 

Dschibuti

Auf den ersten Blick scheint die Lage in Dschibuti dramatisch. Nach einem Ausbruch mit exponentiellem Wachstum Mitte März, fegte – nach einem starken Rückgang – Anfang Mai eine zweite Welle über das kleine Land am Horn von Afrika. Mittlerweile verzeichnet Dschibuti 4.000 Fälle je Million Einwohner. Das sind zwar doppelt so viele wie in Deutschland, doch die Sterblichkeitsrate liegt mit 53 Toten bei 1,1 Prozent und damit bei rund einem Viertel der deutschen Zahlen. Angesichts des fragilen Gesundheitssystems ein erstaunlicher Erfolg.

 

Ahmed Zouiten, Leiter des WHO-Büros in Dschibuti, sieht den Hauptgrund für die geringe Sterblichkeitsrate in den vielen Tests. Außerdem sei man auf die Pandemie vorbereitet gewesen, glaubt Zouiten. »Bereits im Februar hatten wir ein Treffen mit der Regierung«, berichtet er. Die habe schnell reagiert: Nach den ersten Fällen wurden der Flughafen, die Grenzen und der Containerhafen geschlossen. Ein harter Schritt für das Land, das von Handel und Transit lebt. Da Dschibuti nur eine Handvoll Beatmungsgeräte besitzt, habe sich die Regierung für ein aggressives Vorgehen entschieden, so Zouiten: breit angelegte Tests, Rückverfolgung und Isolation, noch bevor Symptome auftreten.

 

Insbesondere zu Beginn der Pandemie eine erfolgreiche Strategie. Die erneute Zunahme an Fällen erklärt Zouiten mit Pech: »Uns sind ein paar Fälle entwischt. So entstanden Cluster, die wir nicht mehr rückverfolgen konnten.« Die Lösung: Die Testkapazität wurde von wenigen hundert auf über 2.000 Tests am Tag heraufgeschraubt. Inzwischen ging die Zahl der Neuinfektionen trotz einiger Lockerungen auf wenige Dutzend am Tag zurück. Dennoch appelliert Zouiten: »Alle müssen sich an Social-Distancing-Regeln halten. Nur wenn jeder Einzelne Verantwortung übernimmt, können wir den Ausbruch begrenzen.«

Von: 
Michael Nuding und Thabo Huntgeburth

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