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Jordanien und die Muslimbruderschaft

Muslimbrüder auf dem Index

Analyse
Jordanien und die Muslimbruderschaft
Palestinian Refugees Portal

Jordanien lässt die Muslimbrüder verbieten. Reagiert das Haschemitische Königreich auf den Druck vom Golf und aus den USA oder war der der umstrittene Schritt ohnehin längst geplant?

Am 15. April meldeten die jordanischen Sicherheitsbehörden die Verhaftung von 16 Mitgliedern eines geheimen Rings zur Herstellung und Schmuggel von Kriegswaffen, darunter Sprengsätze, Schusswaffen, Raketen und Drohnen. Nach Darstellung von Regierungsvertretern und regierungsnahen Sicherheitsexperten soll sich die sogenannte Raketen-Zelle teilweise aus Kreisen der jordanischen Muslimbruderschaft rekrutiert haben und seit 2021 über Mittelsmänner im Südlibanon im Kontakt mit der iranisch-libanesisch-palästinensischen »Achse des Widerstandes« gestanden haben.

 

Ziel der Gruppe sei die Durchführung oder Unterstützung von anti-israelischen Operationen im Westjordanland gewesen. Obgleich die jordanische Muslimbruderschaft und ihre politischer Arm, die »Islamische Aktionsfront« (IAF), umgehend jegliche Kenntnis von den Aktivitäten der Zelle bestritten, reagierte die jordanische Regierung hart: Am 23. April verkündete sie ein Verbot der Muslimbruderschaft und begann gleichzeitig mit der Verhaftung führender Kader.

 

Seit 2020 existiert sogar ein rechtsgültiger Erlass zur Auflösung der Bruderschaft, der aber bisher nicht umgesetzt wurde

 

Die weitere Entwicklung könnte in unterschiedliche Richtungen gehen. Aus der regionalpolitischen Perspektive sind die Umstände des Verbots ein Zeichen dafür, dass Jordanien nun – mutmaßlich unter dem Druck von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) – auf den Kurs einer vollständigen Unterdrückung der Muslimbruderschaft einschwenkt. So verkündete der jordanische Innenminister Mazin Al-Faraya in einer Fernsehansprache nicht nur die Beschlagnahmung der Büros der Gruppe, sondern auch, dass die Mitgliedschaft und die »Verbreitung ihres Gedankenguts« nun unter Strafe stehe.

 

Manche Beobachter wiesen darauf hin, dass dieses Vorgehen dem amerikanisch-israelischen Interesse entspreche, jegliche pro-palästinensische Mobilisierung in der Region schon im Keim zu ersticken. Denn seit Oktober 2023 hatte die jordanische Muslimbruderschaft eine wichtige Rolle bei den Solidaritätsprotesten mit Palästina und der Hamas gespielt. Mit der vollständigen Unterdrückung der Muslimbruderschaft – so eine Lesart – beuge sich Jordanien letztendlich der Palästinapolitik von Trump, Netanyahu und den Golfstaaten.

 

Anderer Beobachter – die das Geschehen eher in den Kontext der jordanischen Politik einordnen – halten jedoch auch weniger drastische Szenarien für möglich. Sie weisen zurecht darauf hin, dass die jordanische Regierung bereits seit dem Arabischen Frühling mit unterschiedlichen gesetzlichen Mitteln daran arbeitet, die organisatorische Basis der Muslimbruderschaft zu zerstören, um sie als politische und gesellschaftliche Kraft zu schwächen. Seit 2020 existiert sogar ein rechtsgültiger Erlass zur Auflösung der Bruderschaft, der aber bisher nicht umgesetzt wurde.

 

Falls die Ermittlungen keine Verbindungen zwischen höheren Kadern der Muslimbrüder und der »Raketen-Zelle« aufdecken sollten, könnte zumindest die IAF diese Krise überstehen

 

Von diesen Maßnahmen ausgenommen war aber stets der politische Arm der Muslimbrüder, die Islamische Aktionsfront (IAF), die im jordanischen Parlament die Rolle einer loyalen Oppositionskraft spielt. Aus Sicht des Königshauses sind »verantwortungsvolle« Oppositionsparteien – einschließlich solche, die den politischen Islam vertreten – wichtig, um Eliten zu binden und das liberale Image des Königreichs im Ausland zu pflegen.

 

Erst 2021 startete König Abdullah II. eine Initiative zur »Modernisierung« und Belebung des politischen Systems. Mit dem Vorgehen gegen kriminelle Aktivitäten aus den Reihen der Muslimbruderschaft bekräftigt der jordanische Staat – so diese Lesart – lediglich seine traditionellen roten Linien bezüglich der Palästina-Solidarität: keine bewaffneten Aktivitäten und Provokationen gegen Israel von jordanischem Boden aus.

 

Falls die Ermittlungen keine Verbindungen zwischen höheren Kadern der Muslimbrüder und der »Raketen-Zelle« aufdecken sollten, könnte zumindest die IAF diese Krise überstehen. Das Königshaus könnte sich damit zufriedengeben, die Popularitätsgewinne der Muslimbruderschaft auf der Welle der Palästina-Solidarität mit einem abschreckenden Signal gekontert zu haben – und das politische und gesellschaftliche Ringen zwischen Königshaus und Muslimbrüder-Bewegung ginge in die nächste Runde.


Dr. Sebastian Elsässer ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Orientalistik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Von: 
Sebastian Elsässer

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