Israels Drusen sind für ihre Loyalität zum Staat bekannt – im Gazakrieg zahlen sie einen hohen Blutzoll. Doch abseits der Front tobt der Kampf der kleinen Religionsgemeinschaft um Gleichstellung weiter. Inmitten der Debatte: das umstrittene Nationalstaatsgesetz.
Am 9. Oktober stirbt der drusische Leutnant Colonel Alim Abdallah, stellvertretender Kommandeur der »300 Baram-Brigade«, in einem Gefecht an der libanesischen Grenze. Wie sein Cousin Fahed Abdallah gegenüber der Nachrichtenagentur Ma’ariv sagt, »ein Verlust für uns, die Familie, für das Land, die Gemeinschaft und für das Militär«. Ein Tag später wohnen hunderte Menschen seiner Beerdigung in seinem Heimatdorf Yanuh-Jat etwa zwanzig Kilometer nordöstlich von Akko bei. Wenige Wochen später folgt der nächste Tod eines hohen drusischen Oberst – Salman Habak, auch er stammte aus Yanuh-Jat. Ende November erwiesen die Drusen dem 23-jährigen Major Jamal Abbas dem dritten Soldaten die letzte Ehre. Dessen Familie steht wie kaum andere für die drusische Loyalität zum israelischen Staat und dient bereits in der dritten Generation. »Ich habe den drusischen Zionismus mitbegründet und glaube an ihn«, fasst der pensionierte Oberst und Großvater Gidon Abbas gegenüber der Jerusalem Post diese Haltung zusammen.
Seit dem Beginn der Bodenoffensive Ende Oktober sind mehr als 75 israelische Soldaten gefallen, täglich werden Beerdigungen in Präsenz hochrangiger Offiziere abgehalten. Oft berichten israelische TV-Kanäle live von den Trauerfeiern und lassen so die gesamte Gesellschaft an jedem Einzelschicksal Anteil haben. Auch Minderheiten wie die Beduinen und Drusen lassen ihr Leben an der Front für Israels Sicherheit. Im Einsatz für die Nation versprechen sich die Drusen, was sie vom israelischen Staat seit seiner Gründung einfordern: Gleichheit vor dem Gesetz und in der Gesellschaft.
In Israel sind die Drusen eine kleine, aber staatstragende Minderheit. Der Großteil der Religionsgemeinschaft lebt in Syrien und Libanon, in Israel leben laut Angaben des israelischen Statistikamts 150.000 (Stand 2021). Allerdings pflegen nicht alle Drusen ein solch inniges Verhältnis zum Staat Israel wie die Familie Abbas. Insbesondere jene Mitglieder der Religionsgemeinschaft, die seit ihrer Entstehung im 11. Jahrhundert den Golan bewohnen, sind auch nach der Annexion des Plateaus im Jahr 1981 mehr Syrien als dem Staat Israel verbunden.
Staatsloyalität, Militärdienst und Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen schließen sich für die Drusen nicht gegenseitig aus
Von den 21.215 Drusen, die heute im Osten des Golan leben, sind nur 4.303 im Besitz eines israelischen Passes – und das, obwohl alle von ihnen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft hätten. Doch die Verhältnisse haben sich spätestens seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien verschoben: Auch das Assad-Regime wird zunehmend als eine Bedrohung wahrgenommen, und gerade junge Drusen beantragen immer häufiger die israelische Staatsbürgerschaft – der Hauptort Majdal Shams verzeichnete 2021 im Vergleich zum Vorjahr etwa drei Mal so viel Anträge. Die derzeitige israelische Regierung hat die drusischen Bewohner des Golans zuletzt allerdings vor den Kopf gestoßen: Im Sommer stieß der Plan von Innenminister Itamar Ben Gvir, den Bau von Windrändern auf dem annektierten Territorium durchzusetzen, auf heftigen Widerstand. Die Bewohner machten mit syrischen Flaggen und Bannern auf sich aufmerksam und riefen: »Auf unserem Land pflanzen wir Bäume, keine Windräder.«
Anders die Situation im israelischen Kernland: Die Solidarität mit den drusischen Mitbürgern – und Mitkämpfern – ist groß. Von den über 75 gefallenen Soldaten sind mindestens sechs Drusen, also circa 8 Prozent. Im Jahr 2019 machten die Drusen laut dem Statistikamt gerade einmal 1,6 Prozent der Bevölkerung aus. Anders als andere Minderheiten sind die Drusen in unterschiedlichsten Parteien repräsentiert. Mit dem früheren Likud- und Kadima-Abgeordneten Majalli Wahabi stellten die Drusen im Jahr 2007 den ersten nicht-jüdischen Präsidenten Israels, wenn auch nur für ein paar Tage. Gerade im Wissen um den Rückhalt ihrer Mitbürger versuchen die Drusen, ihren Kampf um Anerkennung auch außerhalb des Schlachtfeldes zu gewinnen. Staatsloyalität, Militärdienst und Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen schließen sich für sie, wie auch für andere Israelis, nicht gegenseitig aus.
So reiste Scheich Muwafaq Tarif, der geistliche Führer der Drusen in Israel, am 25. November mit einer Delegation weiterer Vertreter der drusischen Gemeinschaft nach Tel Aviv, um an einer Kundgebung am Platz der Entführten und Vermissten teilzunehmen – die Würdenträger wurden von den anderen Demonstranten mit Applaus empfangen. In seiner Rede brachte er die gemischten Gefühle der Drusen zum Ausdruck: »Auch wir sind ein Teil der Nation und zu meinem Bedauern, sehen einige unter uns das anders«. Für die Kritik erhielt er deutliche Zustimmung aus dem Publikum.
Außenminister Eli Cohen und Knesset-Mehrheitsführer Ofir Katz brachten die Einführung eines neuen israelischen Grundgesetzes ins Spiel
Damit spielte Tarif vor allem auf das Nationalstaatsgesetz an, das im Juli 2018 nach jahrelangen kontroversen Diskussionen von der Knesset verabschiedet wurde. Wie die Abgeordnete Ayelet Shaked der nationalreligiösen Partei HaBayt HaYehudi (»Das jüdische Haus«) bei Vorlage des Gesetzestextes im Jahr 2013 argumentierte, »sind die Merkmale des Staates Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes niemals in den Grundgesetzen des Staates verankert worden« – dabei sei genau das, das Ziel seit dem Ersten Zionistischen Kongress in Basel im Jahr 1897 gewesen. Das Nationalstaatsgesetz sieht zudem eine, wenn auch symbolische, Abwertung des offiziellen Status der arabischen Sprache vor und erklärt, dass der Ausbau von Siedlungen, inklusive im Westjordanland, im Interesse Israels sei.
Für die drusische Minderheit, wie auch für andere, nicht-jüdische Minderheiten, bedeutet das Gesetz ein herber Rückschlag auf dem Weg Richtung Gleichstellung und Anerkennung. Drusische Knesset-Abgeordnete klagten sogar vor dem Obersten Gerichtshof, allerdings ohne Erfolg. Doch vor dem Hintergrund des Gazakrieges und der drusischen Gefallenen ist das Nationalstaatsgesetz wieder zum Politikum geworden: Es liegt eigentlich nicht im Interesse der Regierung, dass die Drusen sich den öffentlichen Protesten gegen das Kabinett Netanyahu und dessen Kurs in etwa in der Geiselfrage anschließen. So brachten Außenminister Eli Cohen und Knesset-Mehrheitsführer Ofir Katz die Einführung eines neuen israelischen Grundgesetzes ins Spiel, das die besondere Stellung der Drusen hervorheben soll. Die beiden Likud-Abgeordneten verkündeten am 18. November, einen entsprechenden Entwurf einzubringen. Laut israelischem Gesetz reicht dafür bereits eine einfache Parlamentsmehrheit von 61 Stimmen.
Der Vorstoß der beiden Likud-Politiker birgt einen entscheidenden Vorteil für die Partei des Premiers und damit auch für die Stabilität seiner Koalition: Denn dieses Vorgehen ermöglicht es den Abgeordneten, das Nationalstaatsgesetz unverändert zu bewahren und gleichzeitig die Drusen und ihre Verdienste für den Staat Israel zu würdigen. Denn die Reform des Nationalstaatsgesetz ist für große Teile des rechten politischen Spektrums eine rote Linie.
Auch Israels Opposition versucht, in der Debatte mitzumischen, und stellt die Legitimation des Nationalstaatsgesetzes als solches in Frage. Einen Mittelweg geht Oppositionsführer Yair Lapid: Bereits am 6. November forderte der Parteichef von Yesh Atid (»Es gibt eine Zukunft«) zumindest eine Anpassung des Gesetzes, das die Gleichstellung auch nicht-jüdischer Staatsbürger garantiert.
Weder die derzeitige Regierung, noch der Großteil der Opposition zeigen Interesse, das umstrittene Nationalstaatsgesetz wieder zu kassieren
Ein weiteres Politikum, das die Drusen immer wieder Diskriminierung aussetzt, sind nicht-erteilte Baugenehmigungen. Circa zwei Drittel ihrer Wohnanlagen fehlt die offizielle Genehmigung. Das führt regelmäßig zu Abrissen, selbst wenn die Häuser und Wohnungen auf privatem Boden errichtet wurden. Als Innenminister Itamar Ben Gvir im Juni den illegalen Außenposten Evyatar im Westjordanland besuchte und die Parole ausgab »Erklimmt die Hügel und besiedelt sie«, nahmen sich die Drusen die Aufforderung des Ministers zu Herzen. Wohlwissend, dass sich die Forderung nicht an sie richtete, stellten sie aus Protest in der Nähe von Daliyat Al-Karmel bei Haifa einige Container auf einen Hügel – auf staatlichem Land. Mit dabei: ein Banner einer drusisch-israelischen Flagge inklusive des Schriftzugs: »Auf Anweisung von Minister Ben Gvir. Wir haben die Hügel erklommen«.
Daliyat Al-Karmel ist für die Drusen nicht nur eine langjährige Heimstätte, die die kleine Religionsgemeinschaft in der Geschichte des Nahen Ostens immer wieder für sich verteidigen musste, sondern beherbergt zudem mit dem Abu-Ibrahim-Schrein eine der wichtigsten drusischen Pilgerstätten. In der Kleinstadt leben heute etwa 20.000 Menschen, die zunehmend von Wohnungsnot betroffen sind. Auch hier reagierte die Regierung wohl auch in Anbetracht der derzeitigen Lage ungewöhnlich schnell: Einen Plan, der den Bau von fast 4.000 neuen Wohneinheiten vorsieht, verabschiedete der Innenausschuss der Knesset am 20. November.
Laut Sozialminister Ya’akov Margi von der Schas-Partei ist die ausgrenzende Wohnungspolitik nur ein Sektor, in dem der Staat seiner Verantwortung gegenüber den Drusen nicht nachkommt. Wie er auf der Trauerfeier für die gefallenen Offiziere Salman Habaka und Alim Abdallah erklärte, habe Israel keinen »Bund des Blutes, sondern einen Bund des Lebens« geschlossen. Der Blutsbund ist eine oft gebrauchte Formulierung, der den jüdisch-drusischen Zusammenhalt bezeichnet: Ein geflügeltes Wort, das auf den drusischen Schriftsteller Musbah Halabi zurückgeht, der 1970 über den »Brit Damim«, wie der Blutsbund auf Hebräisch heißt, ein Buch verfasst hat, in dem er die Drusen zur Integration in die Gesellschaft aufruft. Neu ist die Forderung vom »Bluts«- hin zum »Lebensbund« allerdings nicht und wurde bereits 2017 vom damaligen israelischen Präsidenten Reuven Rivlin ausformuliert.
Die Lage der Drusen ist nun wieder ins Zentrum der innenpolitischen Debatte gerückt, nachdem diese sich zuvor dauerhaft um Netanyahus Prozesse und die Justizreform gedreht hatte. Der öffentliche Druck ist groß – der Handlungsspielraum allerdings gering. Trotz Kritik am Nationalstaatsgesetz: Weder die derzeitige Regierung, noch der Großteil der Opposition zeigen Interesse, das umstrittene Nationalstaatsgesetz wieder zu kassieren. Klar ist aber auch: Um die Lebensumstände der Drusen wirklich zu verbessern, müsste der Gesetzestext über die reine Rhetorik eines »neuen Lebensbundes« hinausgehen. Anstelle von symbolischer Anerkennung werden die Drusen jegliche Änderungen daran messen, inwiefern sie ihnen auch tatsächlich vollständig die ihnen zustehenden Rechte garantiert.