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Europas Identitäre und das Assad-Regime in Syrien

Bullerbü für Rechtsextreme

Feature
Europas Identitäre und das Assad-Regime in Syrien
Javier Martin Espartosa

Das aramäische Dorf Maalula ist ein Wallfahrtsort für syrisch-orthodoxe Christen. Seit einigen Jahren geben sich dort auch Identitäre und AfD-Anhänger aus Deutschland die Klinke in die Hand. Was suchen sie dort?

Matthias Matussek steht mit einem Maschinengewehr im syrischen Qalamun-Gebirge unweit der libanesischen Grenze. Seine grauen Haare sind zerzaust, der Ex-Spiegel-Journalist lächelt auf dem Foto, das er selbst auf Facebook gepostet hat. »Mit Kalschnikow [sic] zum Ballern«, steht unter seinem Post. Es ist September 2018 und Matussek ist in Maalula.

 

Eingeladen wurde der neurechte Publizist von Sebastian Zeilinger, dem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der »Identitären Bewegung Deutschland«. Mit einer »kleinen Reisegruppe« besuchten sie Damaskus, Latakia und eben Maalula. In einem Reisebericht, den das Online-Magazin Tichys Einblick veröffentlichte, schrieb Matussek später: »Willkommen in Baschar Al-Assads Syrien. Ein Horrorfilm? Nein, eine Pilgerreise!«

 

Nach Angaben des »Syrian Network for Human Rights« (SNHR) wurden seit Beginn des Aufstands 2011 bis 2017 rund 207.000 Zivilisten getötet. 94 Prozent dieser Opfer gehen demnach auf das Konto der syrisch-iranisch-russischen Allianz. Die SNHR dokumentierte im Jahr von Matusseks Syrien-Reise sechs Angriffe mit Chemiewaffen und 5.607 willkürliche Verhaftungen durch das Assad-Regime. Ende 2018 war nach Angaben der Vereinten Nationen rund ein Drittel der Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen. In einigen Regionen herrschte sogar akute und chronische Unterernährung.

 

Doch Matussek ist nicht der einzige aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum, den der Identitären-Kader Zeilinger in den vergangenen Jahren nach Syrien und Maalula eingeladen hat. In dem Bergdorf lebten vor dem Krieg zwischen 2.000 und 5.000 Menschen. Heute dürften es nur noch wenige Hundert sein. Was wollen Zeilingers Gäste dort?

 

Der 44-jährige Zeilinger, der gerne in Lederhosen posiert, ist Aushängeschild und Vorsitzender der »Alternative Help Association« (AHA), nach eigenen Angaben »die erste Hilfsorganisation, welche Hilfe vor Ort umsetzt und die Ursachen der Migration bekämpft«. Laut Bremer Verfassungsschutz handelt es sich bei der 2017 gegründeten AHA um eine »als humanitärer Akt getarnte Kampagne« der rechtsextremen »Identitären Bewegung« (IB).

 

»Es fehlen Arbeitsplätze. Wer ein Geschäft aufmacht, gibt es schnell wieder auf, weil die Kundschaft ausbleibt«

 

Ein weiteres prominentes Mitglied der AHA ist Mario Müller. Er geriet Anfang 2024 in die Schlagzeilen, weil er an dem vom Recherchekollektiv Correctiv aufgedeckten Treffen in Potsdam teilnahm und sich dort als »gewaltbereiter Neonazi« präsentierte. Auch bei Matusseks Syrienreise war Müller dabei. Der wegen Körperverletzung vorbestrafte Müller war früher in der Jugendorganisation der NPD aktiv und ist heute Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. Im Sommer 2017 schloss sich Müller der Aktion »Defend Europe« an, bei der IB-Aktivisten ein Schiff charterten, um Geflüchtete daran zu hindern, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

 

Die »Hilfe zur Selbsthilfe« der AHA soll vor allem in Maalula ankommen, rund 60 Kilometer von Damaskus entfernt. Ein Wassertank, zwei Busse und Ausrüstung für Ärzte und einen Imker will die Organisation besorgt haben. Am wichtigsten ist den Rechtsextremen aber das »Hotel Heimat«, eine blau gestrichene Herberge, nur einen Steinwurf vom orthodoxen Kloster Mar Takla entfernt, für das Maalula berühmt ist.

 

Das Dorf ist eine der ältesten christlichen Siedlungen der Welt. Die Einwohner sprechen Aramäisch, die Sprache, die Jesus gesprochen haben soll. Die Al-Nusra-Front und andere Rebellengruppen hatten Maalula 2013 angegriffen. Die Kämpfer töteten und entführten damals Einwohner, zerstörten und plünderten Häuser, Kirchen, Reliquien und Ikonen.

 

Rimon Wehbi aus Maalula lebte 2013 im Libanon, kann sich aber noch gut an diese Zeit erinnern. »Stell dir vor, deine Freunde oder deine Familie rufen dich an und sagen: Wir sind umzingelt und wissen nicht, ob wir entkommen können oder nicht«. Unterstützt von der libanesischen Hizbullah erlangte die syrische Armee etwa ein halbes Jahr später die Kontrolle über Maalula zurück.

 

Seitdem sei die Bevölkerung des Dorfes drastisch geschrumpft, erzählt Wehbi, der in Düsseldorf über die westaramäische Sprache, wie sie in Maalula gesprochen wird, promoviert. Heute lebten dort vor allem alte Menschen, finanziell unterstützt von ihren Kindern und Enkeln. Die Einwohner würden immer ärmer, beobachtet Wehbi: »Es fehlen Arbeitsplätze. Wer ein Geschäft aufmacht, gibt es schnell wieder auf, weil die Kundschaft ausbleibt.«

 

Dem Bremer Verfassungsschutz zufolge handelt es sich bei der 2017 gegründeten AHA um eine »als humanitärer Akt getarnte Kampagne«

 

Dafür scheint der Ort Rechtsextreme magisch anzuziehen. Seit der ersten Reise 2018, der mit Matussek, hat die AHA weitere Gesinnungsgenossen nach Maalula eingeladen. Darunter auch Roger Beckamp. Der AfD-Bundestagsabgeordnete veröffentlichte 2022 eine Reihe von -Youtube-Videos über seine Reise in den sozialen Medien. Darin spricht er etwa über den Grenzübergang zwischen Libanon und Syrien (»Grenzkontrolle geht doch!«) und führt durch das Identitären-Hostel in Maalula. Auf Nachfrage von zenith schreibt Beckamp, es sei »vor allem der westlichen Sanktionspolitik und der militärischen Intervention geschuldet, dass es den Menschen dort immer noch sehr schlecht geht«. Allein im Mai 2022, als Beckamp mit seinen rechten Freunden Arrak trank und durch Maalula spazierte, starben laut SNHR acht Menschen durch Folter des Assad-Regimes.

 

Auch Jean-Pascal Hohm, der Vorsitzende der AfD Cottbus, war im Mai 2022 dabei und filmte sich in einem Facebook-Video in einer Bar in Damaskus. Im Hintergrund läuft »Crazy In Love« von Beyoncé, neben ihm wippen zwei Frauen mit Cocktailgläsern im Takt. Eitel Sonnenschein in Syrien im Jahr 2022, auch wenn es nach Michael Scharfmüller geht, dem Chefredakteur von Info-Direkt, einem österreichischen »Magazin für Patrioten«. Sein Fazit: Syrien sei »überall, wo die Regierung herrscht, wo Assad das Land zurückerobert hat, sicher.« Deshalb fordert er »Remigration«. In Lederhose und Polohemd läuft er über einen Damaszener Markt und schwärmt in breitem österreichischem Dialekt darüber, dass es Reizwäsche zu kaufen gibt. Wo Dessous feilgeboten werden, kann es ja gar nicht so schlimm sein. 

 

Die Identitären Michael Seibold und David Thomas Ratajczak vom »Filmkunstkollektiv«, einer Art Werbeagentur für Rechtsextremismus, reisten im Mai 2023 im Auftrag Zeilingers nach Maalula und fotografierten und filmten für AHA. Im September war der AfD-Kreisvorsitzende in Stade, Maik Julitz, in Maalula und posierte mit Zeilinger und AfD-Flagge vor dem »Hostel Heimat«. Julitz hatte bereits 2019 dafür geworben, dass Maaloula Partnerstadt von Buxtehude wird. Bei der Ratssitzung, in der der Antrag schließlich abgelehnt wurde, war auch Matthias Matussek anwesend. Rund zwei Monate nach seiner Reise nach Maalula fuhr auch Julitz zum von Correctiv aufgedeckten Geheimtreffen in Potsdam und zahlte 5.000 Euro für seine Teilnahme.

 

Gernot Möring vom »Düsseldorfer Forum«, der Organisator des Potsdamer Treffens, bei dem Pläne zur massenhaften Deportation besprochen wurden, ist übrigens Sebastian Zeilingers Schwiegervater. Eine weitere Teilnehmerin, Silke Schröder vom »Verein Deutsche Sprache«, erzählte in einem Interview freimütig, dass das »Düsseldorfer Forum« bereits an die AHA gespendet hat.

 

Beim Aufbau von AHA wurden die Identitären unterstützt von Manuel Ochsenreiter, erzählt Zeilinger in einem Podcast. Ochsenreiter war seit 2011 Chefredakteur der rechten Zeitschrift Zuerst! und ein Globetrotter mit besten Verbindungen nach Russland, Syrien, Iran und zur Hizbullah. Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit zufolge arbeitete er für die russische Gruppe Wagner und für den chinesischen Geheimdienst. Er starb 2021 mit 45 Jahren in Moskau an einem Herzinfarkt. Bereits 2012 besuchte Ochsenreiter Maalula, wie aus seinem Blog hervorgeht.

 

AfD-Politiker Julitz hatte bereits 2019 dafür geworben, dass Maalula Partnerstadt von Buxtehude wird

 

Russland wurde erst durch seine Syrien-Berichterstattung auf Ochsenreiter aufmerksam, glaubt Anton Shekhovtsov, der in Wien zu Moskaus Netzwerken von Rechtsextremen in Europa forscht. »Ochsenreiter war eine Zeit lang die Kontaktperson zwischen der AfD und den Russen«, sagt der ukrainische Politikwissenschaftler im Gespräch mit zenith.

 

2016 hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier zusammen mit Manuel Ochsenreiter und dem polnischen Aktivisten Mateusz Piskorski, der kurz darauf wegen des Verdachts der Spionage für Russland verhaftet wurde, ein »Deutsches Zentrum für eurasische Studien« gegründet. Ochsenreiter arbeitete zeitweise im Bundestagsbüro von Frohnmaier, wurde jedoch Anfang 2019 freigestellt, nachdem Vorwürfe an die Öffentlichkeit gelangt waren, die ihn mit einem Terroranschlag in der Ukraine in Verbindung brachten. Ebenfalls als Mitarbeiter in Frohnmaiers Büro angestellt war oder ist Kevork Almassian. Der armenischstämmige Syrer unterhielt seit mindestens 2012 Kontakte zu Manuel Ochsenreiter und betreibt den Pro-Assad-YouTube-Kanal »Syriana Analysis«.

 

Doch was wollen die Rechten in Syrien? Die rechte Szene habe traditionell ein positives Syrien-Bild, sagt Jan Riebe. »Assad wird als starker Führer gesehen, der sich gegen den Westen und die ›Globalisten‹ stellt«, meint der Bildungsreferent der Amadeu Antonio Stiftung. Antiimperialismus von rechts also. Der Flirt der Rechtsextremen mit Syrien knüpfe an die historische »Faszination für arabischen Antisemitismus, Antiamerikanismus und antiliberale Kräfte« an, sekundiert der ukrainische Politologe Anton Shekhovtsov.

 

Eine Faszination, die offenbar auch außerhalb Deutschlands wirkt. Bereits 2005 besuchte David Duke, der langjährige Führer der »Knights of the Ku Klux Klan«, Damaskus und hielt im syrischen Staatsfernsehen eine antisemitische Rede. 2013 besuchte eine Delegation der rechtsextremen »Allianz Europäischer Nationaler Bewegungen« das Land, im selben Jahr folgten eine polnische und eine italienische Gruppe. Griechische Rechtsextremisten sollen sogar an der Seite der Assad-Truppen gekämpft haben.

 

2015 und 2016 waren Vertreter der rechtsextremen »Allianz für Frieden und Freiheit« in Damaskus, unter ihnen der frühere NPD-Vorsitzende Udo Voigt. 2017 konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass das Assad-Regime Verhör- und Foltertechniken vom ehemaligen SS-Kommandanten Alois Brunner übernommen hatte. Brunner hatte nach dem Krieg beim Assad-Regime Zuflucht gefunden und starb 2001 in Damaskus. 2018 und 2019 trafen AfD-Delegationen Assad-Schergen in Damaskus – und machten ebenfalls in Maalula Station. Ende Januar 2024 veröffentlichte die Tageszeitung Welt Briefe, die belegen, dass die AfD-Männer mit dem Assad-Regime einen Deal zur »ordentlichen Rückführung« von geflohenen Syrern schließen wollten.

 

»Ochsenreiter war eine Zeit lang die Kontaktperson zwischen der AfD und den Russen«

 

Einige der rechten Reisegruppen trafen sich vor Ort auch mit Vertretern der »Syrischen Sozial-Nationalistischen Partei« (SSNP). Die wurde 1932 gegründet und orientiert sich an sozialistischen Wirtschaftstheorien, rassistischen Ideologien, nationalromantischem Gedankengut und nationalsozialistischer Ästhetik. Das Parteilogo erinnert an ein Hakenkreuz, die Mitglieder träumen von einem Großsyrischen Reich und der Vernichtung Israels. SSNP-Milizen verteidigen das Regime, die Familie von Baschar Al-Assads Mutter und Cousin steht den Hakenkreuz-Fans nahe. Mit Männern wie dem SSNP-Vorsitzenden Ali Haidar an der Spitze der »Nationalen Versöhnungskommission« sitzt die Partei an wichtigen Schalthebeln des syrischen Machtapparats.

 

Die Deutschen sind aber nicht die einzigen Rechten, die sich in Maalula tummeln und mit fragwürdigen Gruppen zusammenarbeiten: Die französische Online-Zeitung Médiapart enthüllte 2020, dass die von Mitgliedern der rechtsextremen französischen Partei »Rassemblement National« geführte NGO »SOS Chrétiens d'Orient« (SOSCO) Assad-Milizen unterstützen würde, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden. Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb seit 2022 gegen SOSCO.

 

SOSCO hatte sich 2013 als Reaktion auf die Einnahme Maalulas durch Al-Nusra-Kämpfer und andere Rebellengruppen gegründet und war dort beim Wiederaufbau aktiv – und ähnelt auch sonst der deutschen AHA. Für den Rechtsextremismus-Experten Riebe ein weiterer Beleg dafür, wie gut die europäische Neue Rechte vernetzt ist: »Es ist davon auszugehen, dass sie Aktionen abstimmen und es kein Zufall ist, dass beide Organisationen im gleichen Dorf in Syrien landen.« Zeilinger indes bestreitet eine Zusammenarbeit.

 

Die Menschen im Dorf wüssten nichts vom politischen Hintergrund der französischen Helfer, ist Rimon Wehbi aus Maalula überzeugt: »Sie haben wirklich geholfen, nicht mit Geld, sondern, was für uns noch wichtiger ist, mit ihrer Arbeit.« Später, erzählt Wehbi, seien immer mehr Organisationen nach Maalula gekommen, und da habe er gemerkt, dass etwas nicht stimmte: »Viele von ihnen haben Maalula für ihre eigene Agenda benutzt.« Genauer will er nicht werden. Auch Wehbi hat von AHA gehört, aber nie jemanden von der Organisation getroffen.

 

Einst übernahm das Assad-Regime Foltertechniken vom SS-Kommandanten Alois Brunner, der 2011 in Damaskus starb

 

Das Narrativ Assads, er schütze Minderheiten wie die Christen vor islamistischen Extremisten, verfängt bei europäischen Rechten, sagt Leila Al-Shami im Gespräch mit zenith. Die syrisch-britische Menschenrechtsaktivistin glaubt aber nicht, dass sich das Regime deshalb der extremen Rechten zugehörig fühlt: »Nützlich sind zunächst einmal alle Gruppen, die der Imagepflege dienen«. Reiner Opportunismus also?

 

Die identitäre Ideologie scheint jedenfalls auch in Syrien durchaus anschlussfähig zu sein. So behauptet Zeilinger in seinem Podcast, dass die AHA in Syrien mit »Weggefährten« der »christlich-nationalen Community« zusammenarbeite. Christin Lüttich von der deutsch-syrischen Menschenrechtsorganisation »Adopt a Revolution« hält es für plausibel, dass die Identitären syrische Gesinnungsgenossen gefunden haben. »Unter libanesischen und syrischen Christen gibt es Anhänger neo-faschistischer Strömungen, die faschistoides Gedankengut hegen«, sagt sie im Gespräch mit zenith. Hinzu komme der Konservatismus der christlich-orthodoxen Strömungen, der mit einer Abwertung anderer Religionen einhergehen könne: »Ein gemeinsamer Nenner mit der europäischen Rechten ist wahrscheinlich eine Art Solidarisierung gegen den Islam, eine Achse des Widerstands«.

 

Eine wichtige Figur im Netzwerk der syrischen Rechten: Abdo Haddad. Er wird von Zeilinger als »lokaler Partner« bezeichnet und ist häufig auf Fotos mit Identitären und AfDlern zu sehen. 2019 empfing der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann, der an beiden Delegationsreisen der AfD nach Syrien teilnahm, Haddad in Berlin. Dieser wiederum kommentiert für russische Staatsmedien, tritt in den mit ihnen verbundenen Desinformationskanälen etwa auf Telegram auf und vertritt auch sonst Assad- und russlandfreundliche Positionen. Interviewanfragen beantwortete Haddad nicht.

 

Auch das Assad-Regime habe Maalula für sich entdeckt, sagt Christin Lüttich: »Maalula ist für seine vielen Kirchen bekannt und wird so zum Symbolort des Regimes stilisiert.« Die Botschaft: In dieser Wiege des Christentums haben die Regierungstruppen die Islamisten besiegt. Das funktioniert wohl auch deshalb so gut, weil Maalula auch noch malerisch gelegen ist. »Der Ort hat etwas Mythisches. Eine solche Kulisse lässt sich gut verkaufen«, meint Lüttich.

 

Die deutschen sind nicht die einzigen Rechten, die sich in Maaloula tummeln und mit fragwürdigen Gruppen zusammenarbeiten

 

Ob zumindest das Dorf selbst von der Aufmerksamkeit der Ausländer profitiert, ist fraglich. »Die Geschichte liegt schon einige Jahre zurück«, schreibt etwa Werner Arnold vom Verein »Hilfe für das Aramäerdorf Maaloula e.V.« in einer Mail an zenith. Kaum jemand, der im Dorf geblieben sei, habe diese Menschen gesehen. Seine Bekannten in Maalula könnten sich an einen Bus erinnern, schreibt Arnold. Der sei aber nach kurzer Zeit samt Fahrer in den Libanon verschwunden, so der Semitist von der Universität Heidelberg. Die von AHA gespendeten Bienenstöcke seien nicht mehr da, der Zahnarzt in ein anderes Dorf gezogen. Arnold glaubt, dass es AHA »nur um ein paar spektakuläre Fotos« gegangen sei.

 

Zeilinger hingegen schreibt zenith, man sei stolz auf das Projekt, durch das »vor Ort in Syrien immer noch ärztliche Versorgung, Transportmöglichkeiten und viele andere weitere kleine Unterstützungsleistungen das Leben der Menschen trotz der aussichtslosen Lage den Menschen das Leben trotz der hoffnungslosen Lage einigermaßen erträglich machen«. Dennoch soll das Projekt Ende 2024 auslaufen, da die »Infrastruktur zum eigenen Gelderwerb der Einheimischen ist dank des Hostels prinzipiell gewährleistet« sei, so Zeilinger.

 

Rimon Wehbi hat davon gehört, dass AHA eine Jugendherberge gegründet hat – aber es kämen ohnehin nur noch wenige Touristen in sein Maalula: »Vor dem Krieg waren es über 400.000 Besucher im Jahr. Jetzt ist es nicht einmal mehr ein Zehntel davon.« Warum also eine Herberge in Maalula? Das könnte mit den Plänen von Sebastian Zeilinger zusammenhängen: Er will ein Freiwilligenprojekt für junge rechte Europäer ins Leben rufen. Nur gebe es »derzeit und vermutlich auch die nächsten Jahre« Visaprobleme, klagt Zeilinger gegenüber zenith. Er halte »den Blick über den eigenen Tellerrand«s für »die patriotische Szene für enorm ungeheuer wichtig«, sagt er in einem Interview mit Info-Direkt. Das »Hostel Heimat« soll demnach als Herberge für den identitären Nachwuchs dienen.

 

In einem auf YouTube veröffentlichten Gespräch mit dem Identitären-Gründer Martin Sellner erklärt Zeilinger, er wolle einen »kulturellen Austausch auf Augenhöhe« ermöglichen – das passe zu seinem Konzept des »Ethnopluralismus«. Riebe von der Amadeu Antonio Stiftung definiert diesen Begriff als Strategie der Neuen Rechten, um den eigenen Rassismus zu verschleiern. Dem Konzept nach, so Riebe, »können verschiedene Ethnien nur auf einem bestimmten Territorium leben und sich dort ›entfalten‹. Im Klartext: Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken und Arabien den Arabern.«

 

Das »Hostel Heimat« soll dem identitären Nachwuchs dann als Unterkunft dienen

 

Man muss nicht rechts sein, um nach Syrien zu reisen – so wird es nach außen kommuniziert. Die Website der AHA wirbt für einen Reiseveranstalter. Das Portal »Reise nach Syrien« wird von Marius Kaul aus Erftstadt bei Köln betrieben. In AHA-Werbevideos ist der Link zu seiner Reiseseite direkt nach dem Logo der Identitären selbst zu sehen. Zeilinger spricht von »touristischen Reisen, die wir anbieten«.

 

Doch Kaul will die Leute hinter AHA nie kennengelernt haben, sagt er zenith am Telefon. Mit dem rechtsextremen Gedankengut hinter der Organisation habe er sich »nicht intensiv beschäftigt«. In der Broschüre zu seiner Syrienreise steht eine Übernachtung im »Hostel Heimat« auf dem Programm – andere Unterkünfte gebe es in Maalula nicht, argumentiert Kaul. In einer späteren Mail schreibt Kaul dann plötzlich, »dass die Verbindung [zu AHA] ausschließlich in einer zeitlich befristeten, geschäftlichen Zusammenarbeit bestand, die mittlerweile nicht mehr besteht«.

 

Im 470.000 Einwohner zählenden Rhein-Erft-Kreis, wo der Reiseveranstalter gemeldet ist, sitzt ein Marius Kaul im AfD-Kreisvorstand. Im Gespräch mit zenith bestreitet der Reiseveranstalter, in der AfD aktiv zu sein, es müsse sich um jemanden mit dem gleichen Namen handeln. Zwei Tage nach diesem Gespräch verschwindet der Name Marius Kaul von der AfD-Seite, an anderer Stelle tauchen die Initialen M.K. weiterhin auf. Auf seinem LinkedIn-Profil macht Kaul falsche Angaben, behauptet etwa, in Bundes- und Landesfachausschüssen tätig zu sein. Auch dass er, wie er ebenfalls angibt, an der Universität Bonn ein Diplom in Rechtswissenschaften erworben hat, entspricht nicht der Wahrheit, wie ein Mitarbeiter der Universität zenith auf Anfrage mitteilt.

 

Mit Urlaubsfotos aus Syrien wollen Rechtsextreme und AfD-Politiker erreichen, dass Syrer aus Deutschland abgeschoben werden. Das sagt Zeilinger ganz offen: Das »Narrativ des Mainstreams« stehe der »Remigration diametral entgegen«. Einen solchen Verharmlosungsversuch unternimmt etwa Matthias Matussek, wenn er auf Facebook ein Bild von zwei Syrerinnen postet, von denen eine ein tief dekolletiertes Oberteil trägt. Darunter kommentiert Matussek, er habe die Frau fotografiert, »um die Freizügigkeit unter Assad zu dokumentieren«. Das Image Syriens aufzupolieren, kommt natürlich auch dem Regime entgegen. Es hofft, international wieder als Partner wahrgenommen zu werden. Europas Rechte würde das freuen.

Von: 
Lisa Genzken

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