Hinter jedem Stofffetzen steckt Symbolik und Geschichte. Wir erklären die Geheimnisse hinter den Flaggen des Nahen Ostens – warum oft die gleichen Farben genutzt werden und welches Land am häufigsten seine Fahne gewechselt hat.
Ein Fall für das Konsortium
Schnell mal dem besten Freund mitteilen, wo man gerade Urlaub macht oder fragen, ob man lieber Italienisch oder Chinesisch zu Abend essen mag: Flaggen-Emojis machen es möglich. Doch welche Flaggen man aber über Smartphone und Co. verschicken kann, ist eine überraschend politische Angelegenheit. Zunächst stehen alle UN-Vollmitglieder auf der Liste der Ländercodes (ISO-Liste 3661) – eben jene Liste entscheidet darüber, wer automatisch ein Emoji bekommt.
Doch in vielen Fällen fehlen allgemein verbindliche Regeln: Zuständig ist ein Subkomitee des Unicode-Konsortiums mit Sitz im kalifornischen Santa Clara, das internationale Normen und Standards regelt. Israel, die Westsahara und Palästina verfügen über ein Flaggen-Emoji, obwohl die vollständige Anerkennung unter allen UN-Mitgliedern für diese Staaten fehlt. Kein Emoji zugewiesen bekommen haben unter anderem Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Somaliland und Bergkarabach.
Ein Emoji für Erbil
Teilweise sind Regionen bereits Teil der ISO-Liste 3661-2: Hier werden die Bundesländer aller Staaten der Welt zusammengefasst. Aber um in die Riege der offiziellen Länder-Emojis aufzurücken, ist die Zustimmung des Emoji-Subkomitees notwendig – das nimmt allerdings seit Ende März 2022 keine Ländervorschläge mehr an – zu groß sei der inzwischen der administrative Aufwand. Eine schlechte Nachricht für die Autonome Region Kurdistan im Irak: Sie es auf die ISO-Liste 3661-2 geschafft, doch mit dem Annahmestopp ist ein Kurdistan-Emoji trotz politischem Druck aus Erbil in weite Ferne gerückt. Kurden müssen sich wohl weiterhin mit der Flagge Tadschikistans als Ersatz zufriedengeben.
Schwert, Schere, Papier
Das Osmanische Reich begann im 16. Jahrhundert den bis dahin verwendeten Rossschweif, ein aufwändig mit Pferdhaaren verzierter Stab, der als Erkennungszeichen für Kommandeure im osmanischen Heer diente, langsam durch Flaggen zu ersetzen. Doch der Rossschweif blieb weiterhin im Gebrauch: Erst 1826 verschwand er mit der Errichtung eines modernen osmanischen Heeres. Ein häufiges Flaggen-Motiv war das Zulfiqar: ein Doppelklingenschwert, das mit Ali verbunden wird, dem Schwiegersohn des Propheten Muhammad.
Oft wurde Zulfiqar von Europäern mit einer Schere verwechselt. Glaubt man der türkischen Legende, entstand die Halbmond-Flagge der Osmanen nach der Schlacht am Amselfeld 1398. Nach den verlustreichen Kämpfen im heutigen Kosovo soll sich der Halbmond und ein Stern in einer blutigen Lache gespiegelt haben.
Dieser Volkserzählung, wonach die Osmanen nach der Schlacht die Flagge übernommen hätten, solle man aber nicht zu viel Glauben schenkt, meint Alptuğ Güney. Es gebe keine Beweise dafür, dass die Osmanen nach der Schlacht am Amselfeld die rote Fahne mit Halbmond getragen hätte, erklärt der Turkologe von der Freien Universität Berlin. Das osmanische Rot könne genausogut davon herrühen, dass es einfach die von den Sultanen bevorzugte Farbe gewesen sei.
Der genaue Ursprung der türkischen Halbmond-Fahne ist umstritten. Gesichert ist, dass der Halbmond mit rotem Hintergrund 1793 im Osmanischen Reich eingeführt wurde, aber auch davor sind Berichte aus Österreich-Ungarn über ein nahezu gleiches Motiv im Österreichisch-Türkischen Krieg (1788-91) überliefert.
Die älteste gesicherte Darstellung der Kombination Halbmond und Stern in osmanischer Verwendung stammt allerdings von 1721. Das Motiv ist weitaus älter als die Osmanen: Bereits die Sassaniden im frühen 7. Jahrhundert und der römische Kaiser Hadrian im 1. und 2. Jahrhundert verwendeten die zwei Symbole zusammen. Mit der Zeit veränderten sich Hintergrundfarbe, Zahl und Position des Halbmondes. Um 1844 wurde die osmanische Flagge, wie wir sie heute kennen, ein weißer Halbmond mit fünfzackigen Stern auf rotem Hintergrund, eingeführt – eine Fahne, die in Form der Nationalflagge der Türkei bis heute überdauert hat.
Eine Nation, 31 Flaggen
Kaum ein Land hatte in so kurzer Zeit so viele Flaggen wie Afghanistan, mittlerweile sind es 31 seit 1900. Afghanistans turbulente Geschichte befeuerte einen stetigen Wechsel staatlicher Symbole. Mal wehte über Kabul die rote Fahne der kommunistischen Saur-Revolution von 1978, dann wieder die schwarz-rot-grüne Nationalfahne. Die Trikolore (eine Flagge mit drei unterschiedlich farbigen Streifen) hat sich zum häufigsten Motiv in Afghanistans Geschichte gemausert. Angeblich ließ sich der afghanische König Amanullah Khan bei einem Staatsbesuch in Berlin 1927 vom Schwarz-Rot-Gold der Weimarer Flagge inspirieren und führte in Afghanistan ebenfalls eine Trikolore ein.
Mit der Einnahme Kabuls durch die Taliban 2021 musste die afghanische Trikolore einer weißen Fahne mit der Schahada, dem islamischen Glaubensbekenntnis, weichen. Die neue Flagge ist international so wenig anerkannt, wie die neue Taliban-Regierung selbst: Für die UN ist das »Islamische Emirat« kein offizieller Rechtsnachfolger.
Die alte Flagge bleibt ein Symbol der Gegner der neuen islamistischen Regierung und wird in der internationalen Diplomatie weiterhin verwendet. Wenn aber die Taliban-Regierung international Anerkennung finden würde, könnte deren Flagge bald vor dem UN-Sitz in New York wehen oder Einzug in die Riege an Emojis auf unseren Smartphones halten.
Drei ist Trumpf
Der Ursprung der schwarz-grün-weißen Flagge mit rotem Dreieck ist umstritten: Entwarf der britische Diplomat Sir Mark Sykes (bekannt durch das Sykes-Picot-Abkommen) die Kombination für die Haschemiten bei deren Aufstand gegen die Osmanen im Ersten Weltkrieg? In jedem Fall erlebt sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Aufschwung: 1952 rebellierte Ägypten gegen die Monarchie. In Kairo hissen die »Freien Offiziere« die »Arabische Befreiungsflagge«. Die Farbenkombination rot-weiß-schwarz setzte sich endgültig durch. Bis heute ist sie, ergänzt durch den mittig platzierten »Adler Saladins«, das Nationalsymbol Ägyptens. Aber auch in den Flaggen von Syrien, Palästina, Jemen, Jordanien und weiteren arabischen Ländern ist das Farbmuster präsent.
Gaddafigrün
Unter dem Einfluss des arabischen Nationalismus verbreitete sich das Motiv der ägyptischen »Befreiungsflagge« in großen Teilen Nordafrikas und der Levante. Die politische Bewegung wollte alle Araber in einem »Superstaat« vereinen. Arabisch-nationalistische Regierungen – unter der Hegemonie Ägyptens – führten bald überall rot-weiß-schwarze Flaggen ein.
So auch in Libyen, als der Hauptmann und spätere Diktator Muammar Al-Gaddafi 1969 die Macht im Mittelmeerstaat übernahm. Doch als Ägypten sich Israel annäherte, tobte Gaddafi vor Wut. Der erratische Diktator wollte nicht mehr die nahezu identische Flagge wie die »Verräter« haben. Libyen bekam eine neue Flagge – eine komplett grünfarbige Fahne ohne weitere Symbolik. Libyen war zu diesem Zeitpunkt der einzige Staat der Welt mit einer einfarbigen Flagge.
Der rote Ischtar-Stern
Als General Abd Al-Karim Qasim 1958 den irakischen König Faisal II. stürzte, wurde die alte Flagge mit den panarabischen Farben abgeschafft. Der Linksnationalist Al-Karim verfolgte einen inklusiveren Nationalismus: Auch Kurden und Assyrer sollten in den Nationalstaat Irak eingebunden werden. Das spiegelte sich auch in Iraks neuer Flagge wider: die panarabischen Farben blieben, doch man fügte ihnen eine kurdische Sonne und den roten Stern von Ischtar, ein Symbol der assyrischen Minderheit, bei.
Doch Qasims schwieriger Balanceakt zwischen arabischen Nationalisten und Kommunisten wurde ihm schließlich zum Verhängnis: Die arabisch-nationalistische Ba’ath-Partei rebellierte 1963, Qasim wurde hingerichtet. 40 Jahre später, nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003, versuchte die Autonome Region Kurdistan durchzusetzen, dass die irakische Nationalflagge in der Region nicht gehisst werden dürfe. Zu stark verwoben war sie mit Saddams Verbrechen gegen die kurdische Minderheit. Die Alternative: Einzig Qasims Design, inklusive kurdischer Sonne und dem Stern Ischtars, wurde von den Kurden geduldet.
Eine Flagge für das Rückkehrrecht
In Folge der Staatsgründung Israels 1948 wurden viele Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben, ebenso im Nachgang des Sechstagekriegs. Im Exil formierten sich unter den Flüchtlingen politische Parteien, die ein Rückkehrrecht für die Vertriebenen forderten. Eine davon: die kommunistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) im Jahr 1967.
Der palästinensische Grafiker Vladimir Tamari skizzierte zu diesem Zeitpunkt unabhängig ein Logo: Es zeigte einen Punkt (das palästinische Volk), einen Pfeil (die Rückkehr), der auf einen Umriss des historischen Palästina zeigt. Ein Freund Tamaris stellte das Motiv PFLP-Pressesprecher Ghassan Kanafani vor. Ein roter Hintergrund wurde hinzugefügt – so entstand 1969 die Flagge der Volksfront. Spätere Gewalttaten der PFLP gegen Zivilisten desillusionierten Tamari, der Künstler ging nach Tokio ins Exil. Sein Design prangt aber noch heute auf der roten Fahne der PFLP.
Die hässlichste Fahne der Welt
Für eine schöne Flagge gibt es laut dem Flaggenkundeverein »North American Vexillological Association« einige Regeln: So soll man das Design einfach halten und keine Schrift verwenden. Auf diese Regeln pfeifen die Huthis im Jemen. Die islamistische Gruppierung, offizieller Name »Ansar Allah«, hat einfach ihren Parteislogan auf eine Fahne gedruckt. Und der lautet: »Gott ist groß, Tod Amerika, Tod Israel, Verflucht seien die Juden, Sieg dem Islam«.