Hodeida ist heute von großer geostrategischer Bedeutung. Die Hafenstadt verhalf der Miliz zu nie dagewesener Macht und könnte sich als ihre verwundbarste Stelle erweisen.
Anfang der 1960er-Jahre erkannte der zaiditisch-schiitische Herrscher im Norden des Jemen, dass seine bisherige Politik der Isolation seine Fähigkeit gefährdete, Aufstände niederzuschlagen. Aus der Notwendigkeit heraus, das eigene Waffenarsenal aufzustocken, versuchte Imam Ahmad Hamid Al-Din, die Beziehungen zur Sowjetunion zu stärken. Der Hafen von Hodeida diente den Machthabern als Lebensader für ihr religiöses Regime und versorgte die im Bergland gelegene Hauptstadt Sana'a. Das Problem: Hodeida verfügte nicht über einen Hafen, der den Containerschiffen genug Platz bot, die für solche Rüstungsgeschäfte und den reibungslosen Ablauf des Weitertransports erforderlich waren.
1961 weihte die Regierung des Mutawakkilitischen Königreichs (1911–1962) mit sowjetisch-chinesischer Unterstützung zwei ihrer wichtigsten Neubauten ein: den Tiefseehafen von Hodeida und die Schnellstraße von Hodeida nach Sana'a. Beide Projekte waren Teil einer Initiative, die die Staatskasse des Imams teuer zu stehen kam. Die finanzielle Schieflage trug zur raschen Destabilisierung bei. Nur wenige Monate später fiel das Imamat und der Nordjemen versank in einen acht Jahre währenden Bürgerkrieg.
Über ein halbes Jahrhundert später hegen die Huthis ähnliche Ambitionen, um den Zugang zum Roten Meer abzusichern und auszubauen. Die vor etwa dreißig Jahren gegründete Bewegung hat nicht mehr viel mit dem jahrhundertelangen Erbe der nordjemenitischen Imame zu tun und hat sich auch ideologisch vom Fünferschiitentum der Zaiditen entfernt. Dennoch sehen sich die »Ansar Allah«, wie sie sich offiziell nennen, als Nachfolger des Imamats – und wollen die strategischen Versäumnisse ihrer Vorgänger vermeiden. Aus diesem Grund stießen sie in den vergangenen Jahren bewusst demografische Veränderungen an: Denn die Küstengebiete in und um Hodeida waren Kernland der sunnitischen Bevölkerung Nordjemens und standen den Schiiten im Hochland von Sana'a oft ablehnend gegenüber.
1961 weihte die Regierung des Mutawakkilitischen Königreichs mit sowjetisch-chinesischer Unterstützung zwei ihrer wichtigsten Neubauten ein
Als Israel im Juni 2024 in Reaktion auf den Raketenbeschuss Luftangriffe auf den Hafen von Hodeida flog, tauchten im Netz bald Videos von vor Ort auf. Die dort zu sehenden Personen sprachen meist im Dialekt des Kernlandes der Huthis in Saada und den angrenzenden Bergregionen – ein Hinweis auf die sektaristisch begründete Hegemonie der Huthis an Schlüsselpositionen in Hodeida, insbesondere am Hafen. Der Hafen von Hodeida fiel den besser ausgerüsteten Huthi-Truppen bereits zu Beginn ihrer Machtübernahme in weiten Teilen des Landes im Oktober 2014 ohne nennenswerten Widerstand in die Hände. Mit Ausnahme einiger weniger Notabeln misstrauen die Huthis der Lokalbevölkerung bis heute und sehen sie als potenzielle Bedrohung für Waffenschmuggel und Truppentransporte über ihren wichtigsten Logistik-Hub.
Vor ein paar Jahren machte eine Videoaufnahme die Runde, in der ein Militärberater der libanesischen Hizbullah die Huthis an die Kandare nahm: »Sollte Hodeida fallen, endet die iranische Unterstützung«. Im Sommer 2018 hatten mehrere Quellen berichtet, dass Huthi-Kommandeure aus Hodeida geflohen waren, nachdem Truppen der nach Aden exilierten Regierung, unterstützt von der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, die Stadt umzingelt hatten – sehr zum Missfallen der Hizbullah und Irans. Die unmissverständlichen Drohungen unterstrichen die strategische Bedeutung des Knotenpunkts Hodeida für die gesamte von Teheran koordinierte »Achse des Widerstands«.
Tatsächlich geriet die geplante Einnahme von Hodeida ins Stocken – dabei profitierten die Huthis auch von den diplomatischen Bemühungen, den Kriegsschauplatz aus humanitären Gründen zu befrieden. Das im Dezember 2018 ausgehandelte Stockholm-Abkommen verschaffte ihnen genug Luft, um ihre Pläne voranzutreiben. Bereits kurz nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands verzeichneten Beobachter einen deutlichen Anstieg der Schmuggelaktivitäten – insbesondere Waffen aus Iran.
In Abwesenheit der mandatierten UN-Aufsicht haben die Iraner gar eines der Docks bestimmten Schiffen zugewiesen
Zudem ließen die Huthis das Areal um Tunnel, Lager und Docks erweitern. Eine der Hauptaufgaben der eigens eingerichteten »UN-Mission zur Unterstützung des Abkommens von Hodeida« (UNMHA) hatte eigentlich darin bestanden, den Warenverkehr zu überwachen. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass der Hafenbetrieb in erster Linie die Versorgung der Zivilbevölkerung stabilisiert, anstatt als Einfallstor für die weitere Aufrüstung der Huthis missbraucht zu werden.
Tatsächlich ist genau das Gegenteil eingetreten. In Abwesenheit der mandatierten UN-Aufsicht haben die Iraner gar eines der Docks bestimmten Schiffen zugewiesen. Die für diese Fracht zuständigen Arbeiter gehören nicht zum offiziellen Hafenpersonal und diesen Teil des Areals verwaltet ein unter dem Nom de Guerre »Abu Najad« bekannter iranischer Mittelsmann, der im Mai 2022 die Verhaftung von neun Hafenarbeitern anordnete. Nach Angaben einer Quelle aus dem Umfeld des UN-Sondergesandten für den Jemen lagen dem Büro von Hans Grundberg auch entsprechende Berichte über die iranischen Aktivitäten am Hafen von Hodeida vor, sie blieben allerdings folgenlos.
Diese (Nicht)-Reaktion ist eines der fatalen Ergebnisse des Stockholm-Abkommens. Denn das Dokument gewährte den Huthis mehr, als sie sich je hätten erträumen können – und presste ihnen nicht einmal nennenswerte Zugeständnisse ab. Das Abkommen lieferte der Vision der Huthis für den Hafen von Hodeida Vorschub. Die zielte darauf ab, sämtliche wichtigen Akteure vor Ort, inklusive Küstenwache und lokale Sicherheitskräfte, durch eigene Parteigänger zu ersetzen.
Die Einnahmen aus dem Hafengeschäft in Hodeida sind für die Huthis ebenso wichtig wie das Schmuggel-Business
Zudem nahm die Aushebung eines Tunnelsystems an Fahrt auf. Quellen berichten von drei Haupttunnelstrecken, die am Hafen zusammenlaufen. Der Waffenschmuggel über den Hafen von Hodeida läuft über eine Flotte, die der Hizbullah und anderen von Iran unterstützten schiitischen Gruppierungen gehört und meist nicht offiziell gemeldet ist. Diese Schiffe transportieren nicht nur Rüstungsgüter, sondern etwa auch Militärberater der Revolutionsgarde, die dann mit kleineren Booten an Land gebracht und vom Hafen aus an die Front weiterreisen.
Die zunehmende Abhängigkeit der Huthis vom Hafen Hodeida in den vergangenen vier Jahren ging mit einem Rückgang der Nutzung anderer Schmuggelrouten einher, insbesondere jener entlang der omanisch-jemenitischen Grenze. In dem Bestreben, die Schmuggelrouten zu diversifizieren und über den Jemen hinaus zu expandieren, haben die Huthis insbesondere nach dem 7. Oktober ihre Aktivitäten am Horn von Afrika mit Hilfe der Hizbullah intensiviert. Weil die libanesische Miliz sowohl den Flughafen wie den Hafen von Beirut kontrollierte, erleichterte sie etwa den Handel mit Drogen und Waffen von und nach Somalia. Ein in diesem Jahr geleaktes Dokument belegt ein Abkommen zwischen Iran und den Huthis, die Anlagen in Hodeida um einen Militärhafen für die iranische Marine zu erweitern. Beide Seiten bestreiten bislang öffentlich diesen Verstoß gegen das Stockholm-Abkommen.
Die Huthis nutzten ihre Kontrolle über Hodeida, um strategische Botschaften an Moskau und Peking zu senden, indem sie den Hafen als vordere Verteidigungslinie gegen die US-Marine präsentierten. Nach Beginn der Invasion in der Ukraine unterstützte Moskau über Iran indirekt die militärische Präsenz der Huthis an diesem strategisch wichtigen Knotenpunkt. Diese internationale Gemengelage hat mit dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahren Hunderte von Waffenlieferungen unkontrolliert nach Hodeida flossen. Jemenitische Analysten gehen davon aus, dass iranische Schiffe mittlerweile direkt die Route von Bandar Abbas nach Hodeida nehmen.
Die Einnahmen aus dem Hafengeschäft in Hodeida sind für die Huthis ebenso wichtig wie das Schmuggel-Business. Sie haben im Innern ein Regime aufgebaut, das auf dem Austausch von Lebensmitteln gegen Loyalität basiert. Etwa 20 Millionen Jemeniten sind von den Nahrungsmittellieferungen abhängig, die über den Hafen abgewickelt werden. Diese Gleichung ist die Grundlage für die Ermächtigung der Huthis, macht sie aber potenziell ebenso verwundbar. Trotz oder gerade weil Schlüsselpositionen ausschließlich mit Loyalisten besetzt wurden, bleibt das Verhältnis zu den Einwohnern vor Ort extrem angespannt.
Tatsächlich formulieren Nationalisten auf beiden Seiten territoriale Ansprüche auf den Küstenstreifen entlang des Roten Meeres
Das Narrativ der Huthis, mit dem sie ihre Präsenz in Hodeida rechtfertigen, bricht immer wieder in sich zusammen. Tatsächlich sehen viele der Einheimischen die komplette Kontrolle der Huthis über den Hafen als eine Fortsetzung der Marginalisierung der Küstenregion Tihama durch die Erben der Herrscher von Sana'a. Und trotz erheblicher Anstrengungen ist es den Huthis bislang nicht gelungen, ihre Ideologie entlang der dicht besiedelten Westküste wirksam zu verankern. Im Jahr 2022 stellte ein Expertenbericht im Auftrag des UN-Sicherheitsrats fest, dass die Huthis innerhalb von nur sieben Monaten umgerechnet fast eine Milliarde Euro mit dem Hafengeschäft in Hodeida erwirtschafteten. Trotz beträchtlicher Einnahmen weigern sie sich zum Teil weiter, Gehälter im öffentlichen Dienst auszuzahlen.
Der Hafen von Hodeida liegt etwa zwei Stunden von der jemenitisch-saudischen Grenze entfernt und ist Teil der Tihama-Ebene, die sich bis nach Saudi-Arabien erstreckt. Dieser demografisch und geopolitisch diversen Region fällt im Ringen um Hodeida eine oft übersehene Rolle zu. Die »Tihama-Bewegung« gehört zu den am tiefsten vor Ort verankerten Anti-Huthi-Kräften. Doch gerade die Tatsache, dass die Region sich auch auf Gebiet erstreckt, das heute zu Saudi-Arabien gehört, macht sie etwa in den Augen Riads zu einem problematischen Partner.
Tatsächlich formulieren Nationalisten auf beiden Seiten territoriale Ansprüche auf den Küstenstreifen entlang des Roten Meeres, während die Tihama-Aktivisten selbst eher eine Abspaltung von beiden Staaten anstreben – auch aus diesem Grund ist aus ihren Reihen noch keine Miliz hervorgegangen, die von einem der im Jemen involvierten Regionalmächte militärisch unterstützt wird und den Huthis Paroli bieten könnte. Auf der anderen Seite bleibt die Hizbullah ein zentraler Akteur im Logistik-Geflecht der »Achse des Widerstands«. Allerdings ist bislang noch nicht abzusehen, inwieweit die israelischen Angriffe der vergangenen Monate im Libanon auch die Operationsfähigkeit der Miliz im Roten Meer beeinträchtigen.
Mahmud Al-Otimi ist arbeitet als Redakteur für jemenitische Angelegenheiten beim Sender Al-Arabiya. Er erwarb einen Abschluss in Medienwissenschaften an der Universität Hodeida und arbeitete zuvor als Außenreporter für Sky News Arabia und Al-Ain News. Während seiner Tätigkeit als Korrespondent für die Sender Al-Arabiya und Al-Hadath überlebte er ein Attentat in Aden, bei dem seine Frau, die Journalistin Rasha Al-Harazi, und ihr ungeborenes Kind ums Leben kamen.