Magen Inon verlor am 7. Oktober seine Eltern. Warum sich der Israeli seitdem mehr denn je für Friedensbündnisse einsetzt, erklärt er in diesem Gastbeitrag. Auch an die Bundesregierung richtet er eine Forderung.
Vor fast acht Monaten, am 7. Oktober, veränderte der Mord an meinen Eltern durch die Hamas mein Leben für immer. Ich war jemand, der Frieden wollte, aber wenig unternahm, um ihn zu erreichen. Seit ihrem Tod widme ich den Großteil meines Tages dem Streben nach einer besseren Zukunft für Israelis und Palästinenser.
Vor fast zehn Jahren habe ich Israel verlassen, um in London zu leben. Das ermöglichte es mir, den israelisch-palästinensischen Konflikt aus meinem täglichen Fokus zu rücken. Ich las immer noch Nachrichten aus Israel und verfolgte genau, was geschah, verspürte jedoch nicht den Drang, mich intensiv für eine Lösung einzusetzen. Es war eine latente Sorge, die von den täglichen Routinen und den Herausforderungen, meine Kinder großzuziehen und zu arbeiten, überschattet wurde.
Unter derselben Denkweise litt in vielerlei Hinsicht sowohl die israelische Gesellschaft insgesamt als auch die internationale Gemeinschaft: Wir alle gingen irgendwie davon aus, dass, wenn wir unsere Aufmerksamkeit einfach auf etwas anderes richten, nichts allzu Schreckliches passieren wird. Der Hamas-Angriff am 7. Oktober und der fortlaufende Krieg im Gazastreifen haben gezeigt, wie falsch wir alle lagen. Ich habe einen furchtbar hohen Preis für diesen Fehler bezahlt.
Kürzlich bin ich als Teil eines großen Teams von Israelis, Palästinensern und internationalen Partnern nach Washington gereist, um amerikanische Führungskräfte und Entscheidungsträger zu bitten, Maßnahmen zur Friedens- und Vertrauensbildung in Israel und Palästina zu unterstützen. Die Reise wurde von der »Alliance for Middle East Peace« (ALLMEP) organisiert, einem Dachverband von mehr als 160 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich seit Jahrzehnten für einen Weg des Friedens und der Gleichberechtigung für alle Menschen in Israel und Palästina einsetzen.
Für fast alle der amerikanischen Politiker die wir trafen, war es das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass sie auf eine Delegation trafen, die sowohl Israelis als auch Palästinenser umfasste. Jenseits dessen, was wir zu sagen hatten, war allein dies bereits ein Beweis dafür, dass die Menschen vor Ort die Hoffnung auf eine andere Zukunft nicht verloren haben. Persönlich war ich beeindruckt von der Leidenschaft und dem Talent der anderen Teammitglieder. Ich war auch beschämt, dass diese Gruppe engagierter Aktivisten viel mehr unternommen hatte, um meine Eltern zu schützen, als ich dies jahrelang getan hatte.
Nach dem Mord an meinen Eltern habe ich mir geschworen, meine Zeit und Energie dafür einzusetzen, dass der israelisch-palästinensische Konflikt auf gewaltlose Weise gelöst wird. Die Ereignisse der letzten acht Monate zeigen, dass militärische Stärke allein keine Sicherheit für die Bewohner Israels und Palästinas bieten kann, genauso wenig wie sie meinen Eltern Sicherheit bot. Wir müssen uns fragen, was wir alle jetzt tun sollten, damit wir uns in zwanzig Jahren nicht vor uns selbst schämen müssen.
Was wir in den USA gefordert haben und wozu wir als »Peacebuilder« unermüdlich weiterarbeiten werden, ist dies: Zunächst muss es einen sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln geben. In den Gesprächen, die wir geführt haben, wurde wiederholt deutlich, dass die USA nicht der einzige internationale Akteur sein können, der sich mit einer nachhaltigen Lösung dieses Konfliktes beschäftigt. Daher müssen sich andere Nationen, insbesondere europäische und arabische Länder, als multinationale Gruppe zusammenschließen, die die Legitimität hat, sowohl Israelis als auch Palästinenser zu einer Lösung zu drängen.
Ein solcher Prozess darf sich nicht – wie in der Vergangenheit – ausschließlich auf einen Top-down-Ansatz konzentrieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen dabei unterstützt werden, politischen Willen innerhalb der Bevölkerung zu schaffen. Gerade in einer Zeit, in der die politische Führung in Israel und in Palästina der Idee einer gemeinsamen Zukunft feindlich gegenübersteht, ist es wichtig, den Menschen vor Ort, die an eine solche Zukunft glauben, Ressourcen, Schutz und Legitimität zu bieten.
Gerade die Deutschen sollten verstehen, dass ein stabiler Frieden nur dann geschaffen und erhalten werden kann, wenn die Bevölkerung Teil der Lösung ist
Die deutsche Bundesregierung will eine moderne und feministische Außenpolitik führen, die zivile Konfliktprävention und Friedensförderung bevorzugt. Damit ist sie vielen ihrer europäischen Partner voraus. Die Versöhnung, die Deutsche und Israelis nach dem Holocaust erreichten, fußt vor allem auch auf zivilgesellschaftlichen Initiativen. Gerade die Deutschen sollten verstehen, dass eine Aussöhnung zwischen Völkern, Sicherheit und ein stabiler Frieden nur dann geschaffen und erhalten werden kann, wenn die Bevölkerung Teil der Lösung ist.
Es wird daher Zeit, dass die Bundesregierung – gemeinsam mit ihren internationalen Partnern – diesen Weg auch in ihrer Israel/Palästina-Politik einschlägt. Eine konkrete Möglichkeit bietet sich dafür beim G7-Gipfel im Juni. Es wäre eine starke und wichtige Botschaft, wenn die weltweit wohlhabendsten und mächtigsten Demokratien sich gemeinsam und deutlich für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Friedensorganisationen aussprechen – und damit einem Aufruf folgen, hinter den sich diesen Monat über 250 NGOs aus der ganzen Welt – darunter 160 aus Israel/Palästina – und Papst Franziskus gestellt haben.
Die Verantwortung für Frieden muss geteilt werden zwischen denen, die sich diplomatisch für ein Ende des Konfliktes einsetzen, und denjenigen, die das vor Ort tun. Denn Frieden braucht Verbündete in der tief traumatisierten israelisch-palästinensischen Bevölkerung zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer.