Sie gelten als die größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland – dank tatkräftiger Unterstützung aus der Türkei. Wie gefährlich sind die Grauen Wölfe?
Ilias Uyar kämpft für die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich – und fürchtet deshalb um seine Gesundheit. Vor seinem Büro und seiner Wohnung in Köln hat er Überwachungskameras angebracht. Telefonate führt er nur mit unterdrückter Nummer. »Und ich nehme nie denselben Weg zur Arbeit«, berichtet der Anwalt im Gespräch mit zenith.
»Es standen schon Leute vor meiner Wohnung.« Uyar ist im Visier der Grauen Wölfe, den türkischen Nationalisten, die sich selbst Ülkücüler nennen, zu Deutsch »Idealisten«, ist Uyar ein Dorn im Auge, weil er sich für die armenische Community einsetzt.
Auch Kerem Schamberger wird von den Grauen Wölfen bedroht. »Der Tod wird dich finden«, schreiben deren Anhänger in den sozialen Netzwerken. Dazu Fotos von Waffen und erschossenen kurdischen Kämpfern in der Türkei, versehen mit Kommentaren wie diesem: »Leuten wie dir müsste man den Kopf abschneiden«. Der Blogger engagiert sich bei der Linkspartei und lebt in München. Wie Anwalt Uyar will auch er nicht sagen, wo genau. Weder an Büro- noch Wohnungstür steht sein Name, für seine Wohnadresse hat er einen Sperrvermerk einrichten lassen.
Die Grauen Wölfe sind laut Bundeszentrale für politische Bildung die größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland. Als Anhänger eines radikalen türkischen Nationalismus stehen sie immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit. In den letzten Jahren häufen sich die Berichte über Angriffe der Gruppe in Deutschland.
Und es verdichten sich Hinweise für eine Zusammenarbeit zwischen Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP mit der Ülkücü-Bewegung – auch in Deutschland. Das wirft Fragen auf: Wie nahe steht Erdoğan den Grauen Wölfen wirklich? Welche Auswirkungen hat das auf unsere Gesellschaft? Und wie groß ist die Gefahr, die von den Ülkücüler ausgeht?
Belegt ist, dass Anhänger der Grauen Wölfe auch vor Mord nicht zurückschrecken
Dass es nicht bei Drohungen bleiben muss, zeigt der Fall des Journalisten Erk Acarer. Im Juli 2021 wird der türkische Journalist, der seit 2017 in Deutschland im Exil lebt, in seinem Vorgarten in Berlin-Neukölln von drei Männern angegriffen. Einer der Schläger schreit auf Türkisch: »Du hörst mit dem Schreiben auf, du Mistkerl!« Dann prügelt er auf Acarer ein, schildert der Journalist den Vorfall in der ZEIT.
Belegt ist ebenfalls, dass Anhänger der Grauen Wölfe auch vor Mord nicht zurückschrecken. Zwischen 1980 und 1999 sollen sie für mindestens fünf Tode in Deutschland verantwortlich sein. Die Opfer: Kurden, Aleviten und linke Aktivisten. Der bekannteste Fall ist wohl der des Lehrers und Gewerkschaftlers Celalettin Kesim, der 1980 in Berlin- Kreuzberg getötet wurde. Eine Gedenktafel und eine Stele in der Kottbusser Straße erinnern an ihn.
Angehörige und Freunde der Getöteten beklagen, dass die deutschen Behörden türkische Nationalisten nicht auf dem Schirm haben, selbst wenn sie morden: Erol Ispir etwa wurde am 1. Juli 1999 im Lokal des Vereins für Arbeitsmigranten in Köln erstochen. Medienberichten zufolge sind die Täter eindeutig dem Spektrum der Grauen Wölfe zuzuordnen. Die Polizei Köln jedoch lässt zenith auf Anfrage wissen, dass bei den Tätern zwar »eine politisch rechte Gesinnung vermutet« wurde.
Eine »dahingehende Motivlage« konnte jedoch »zum Zeitpunkt der polizeilichen Ermittlungen nicht nachgewiesen werden«. Ispirs Vereinskollegen demonstrierten noch 2019 für Gerechtigkeit und monierten, dass die Täter aus ihrer Sicht nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.
Die Ülkücüler träumen von »Turan«, einem großtürkischen Reich
Im Mai 2020 wurde in Dortmund der Kurde Ibrahim Demir brutal zusammengeschlagen und erlag später seinen Verletzungen. Der Täter soll Anhänger der Grauen Wölfe gewesen sein, wurde allerdings lediglich wegen Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt.
Mittlerweile haben Landeskriminalämter und örtliche Polizeibehörden einige in Deutschland lebende Türkeistämmige gewarnt, die zuvor offen den türkischen Präsidenten Erdoğan oder dessen Politik kritisiert hatten. Ihre Namen stünden auf Feindeslisten, erfuhren etwa der Musiker Ferhat Tunç von der Polizei Darmstadt oder der Journalist Celal Başlangıç von Beamten in Köln. Auch das Innenministerium spricht von Hinweisen auf Listen »mit Namen von Personen, die der türkischen Regierung mutmaßlich kritisch gegenüberstehen«. Darunter sind Musiker, Journalisten und Aktivisten.
Hervorgegangen ist die Ülkücü-Bewegung aus der türkischen »Partei der Nationalistischen Bewegung« (MHP). Gegründet wurde die MHP von Alparslan Türkeş (1917–1997), einem Hitler-Verehrer, dessen Foto Ülkücüler bis heute auf ihren Social-Media-Kanälen teilen. Ab 1965 rekrutierte die MHP paramilitärische Gruppierungen, die blutige Kämpfe gegen ihre politischen Gegner führten. Hunderte Menschen fielen der Ülkücü Gençlik zum Opfer. Sozialisten und Gewerkschafter, Kurden und Aleviten – auch das Attentat auf Papst Johannes- Paul II. 1981 wurde von einem Ülkücü verübt.
Die Ülkücüler träumen von »Turan«, einem großtürkischen Reich, das vom Balkan bis nach China reichen und alle Turkvölker vereinen soll. Die Symbolik des »Bozkurt«, des grauen Wolfs, dem der »Wolfsgruß« nachempfunden ist, basiert auf der alttürkischen Mythologie. Entsprechende Runen nutzen die Ülkücü bis heute als Symbole. Für ihre Ideologie ist die »türkisch-islamische Synthese« zentral.
»Die MHP und die Grauen Wölfe sind ideologisch mit der NPD vergleichbar«
Die Grauen Wölfe glauben an die Überlegenheit der »türkischen Rasse« und propagieren vorgeblich islamische Werte. Damit einher geht die Abwertung von Minderheiten: Kurden, Aleviten, Armenier und Juden zum Beispiel. Wer »Feind der türkischen Nation« ist, muss eliminiert werden. »Homophobie und ein überhöhtes Männlichkeitsbild sind ebenfalls Teil dieser Überzeugung«, erklärt Kemal Bozay, Professor für soziale Arbeit und Sozialwissenschaften an der IUBH Düsseldorf, im Gespräch mit zenith.
»Die MHP und die Grauen Wölfe sind ideologisch mit der NPD vergleichbar«, sagt Bozay über die Partei, die heute gemeinsam mit Erdoğans AK-Partei die Türkei regiert. Die Grundlage für solche Bündnisse liegt in der türkischen Staatsräson begründet: Der Nationalismus ist einer der »sechs Pfeile« des Kemalismus. Die größte Oppositionspartei des Landes, die »Republikanische Volkspartei« (CHP), führt die Pfeile im Wappen.
Und auch führende Vertreter der islamistischen AK-Partei bedienen sich nationalistischer Symbolik. 2017 geriet Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in die Schlagzeilen, als er bei einer Rede am türkischen Generalkonsulat in Hamburg den Wolfsgruß zeigte, auch sein Parteikollege Recep Erdoğan bediente sich in der Vergangenheit bei öffentlichen Auftritten der Geste.
Die Bundeszentrale für politische Bildung rechnet 18.000 Menschen dem Ülkücü-Spektrum zu. Doch wie viele Graue Wölfe es in Deutschland genau gibt, ist nicht bekannt. »Diese Frage ist schwer zu beantworten«, sagt der Politikwissenschaftler und Historiker Ismail Küpeli im Gespräch mit zenith. »Das zeigt, wie sehr es an Forschung und Aufklärung fehlt.« Er selbst sei einer von nur fünf Forschern, die sich in Deutschland langfristig mit der Thematik auseinandersetzen, bemängelt Küpeli.
Organisiert sind die Ülkücü in rund 300 Vereinen, darunter in Moscheeverbänden und Elterngruppen, aber auch Fußballklubs oder Boxvereinen
Diese strukturellen Mängel bestätigt auch Bernd Wagner, Gründer von EXIT-Deutschland. Die Initiative hilft Menschen beim Ausstieg aus rechtsextremen Milieus. Aus der Szene der Grauen Wölfe habe sich noch niemand bei ihnen gemeldet, der aussteigen will, erzählt Wagner auf Nachfrage von zenith.
Das sei angesichts der Größe der Bewegung verwunderlich, »aber wir konnten noch keine szeneinternen Angebote zum Ausstieg machen. Da fehlen uns die Mittel und das Personal«. Es brauche Willen in der Politik, findet Wagner, und eine Menge Geld, um bundesweit ein System zu schaffen und das Narrativ zu verbreiten, dass ein Ausstieg möglich ist.
Organisiert sind die Ülkücü in rund dreihundert Vereinen. Darunter in Moscheeverbänden und Elterngruppen, aber auch in Sportvereinen wie Fußballklubs oder Boxvereinen. Kleinere Vereine unterstehen meist einem der drei Dachverbände: der ADÜTDF (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland), der ATIB (Union der Türkisch- Islamischen Kulturvereine in Europa) oder der ATB (Verband der türkischen Kulturvereine in Europa). Sowohl die ADÜTDF, die als Auslandsvertretung der türkischen MHP gegründet wurde, als auch die ATIB werden vom Verfassungsschutz beobachtet. ATIB und ATB schätzt Kemal Bozay außerdem als islamistisch orientierte Flügel der Grauen Wölfe ein.
Dass über die Bewegung verhältnismäßig wenig bekannt ist, liegt auch daran, dass sie Journalisten, die in dem Milieu recherchieren, nur selten Auskunft geben. Erhält man doch eine Antwort, trifft man auf Menschen wie Fevzi, der sich in einem Münchener »Idealistenheim« engagiert, in dem sich regelmäßig Anhänger der Grauen Wölfe treffen.
Gastronomen aus der Oranienstraße berichten von unangenehmen Begegnungen und einem Klima der Angst
»Wir sind Opfer von Vorurteilen«, sagt der junge Mann vom »Münih Türk Ülkücüler Birliği« auf telefonische Nachfrage von zenith – man würde lediglich Kultur- und Bildungsangebote bereitstellen, etwa gemeinsam Bücher besprechen oder musizieren: »Wir wollen in Deutschland integriert werden und gleichzeitig unsere Wurzeln nicht verlieren.«
Das Facebook-Profil des Münchner »Idealistenheims« zeigt Alparslan Türkeş, den Gründer der Bewegung. Dazu Werbung für die MHP, Bilder alttürkischer Runen, heulende Wölfe und Fotos junger Menschen, die den Wolfsgruß zeigen. Türkeş sei kein Faschist gewesen, glaubt Fevzi. Das würde in den Medien verdreht dargestellt. Und die Ülkücü hätten nichts mit Morden oder Massakern zu tun gehabt. »Die Berichterstattung ist unfair«, findet Fevzi.
Auch in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg steht ein »Idealistenheim«. Der Facebook-Auftritt ähnelt dem des Münchner Vereins. Biegt man vom Trubel der Bars und Restaurants in einen Hinterhof ab, steht man vor dem »Türk Ülkü Ocağı« und der benachbarten Moschee.
Gastronomen aus der Oranienstraße berichten von unangenehmen Begegnungen, Beleidigungen und einem Klima der Angst. Namentlich zitiert werden möchte hier niemand, aus Furcht, dass sich die Situation weiter zuspitzt. Mittlerweile ist auch die Politik auf die Szene aufmerksam geworden.
»Die Frage ist: Was soll genau eigentlich verboten werden?«
Als Frankreich im November 2020 alle Organisationsstrukturen und Aktivitäten der Grauen Wölfe verbietet, beginnt die Verbotsdebatte auch in Deutschland. Der Bundestag fordert im November 2020 in einem Mehrheitsantrag die Bundesregierung auf, den Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückzudrängen und Organisationsverbote gegen ihre Vereine zu prüfen.
Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli glaubt allerdings, dass die Debatte bereits an Fahrt verloren hat. »Die Frage ist: Was soll genau eigentlich verboten werden?« Denn die Grauen Wölfe sind keine einheitlich organisierte Gruppe, vielmehr mobilisieren sie sich in vielen kleinen Vereinen. »Gerade Moscheeverbände zu verbieten, ist schwierig. Die rechtlichen Hürden sind hoch«, gibt Küpeli zu Bedenken.
Nun räche sich die Forschungslücke über die Grauen Wölfe in Deutschland, findet Kemal Bozay: »Es mangelt an Informationen zu Strukturen, Verflechtungen und Mitgliederzahlen. Das erschwert es, Verbote durchzusetzen.« Die Linken- Abgeordnete Sevim Dağdelen glaubt hingegen, dass die Organisationen der Grauen Wölfe nicht verboten werden, weil Deutschland und die Türkei in vielen Bereichen kooperieren.
»Geopolitische Interessen sind offenbar wichtiger als die Sicherheit von Minderheiten«, sagt die kurdischstämmige Politikerin gegenüber zenith. Dağdelen steht nach Drohungen und Übergriffen der Ülkücüler unter Personenschutz und findet es absurd, dass Vereine, die zur ADÜTDF gehören, Gemeinnützigkeit geltend machen können: »Das heißt, dass Spenden an türkische Faschisten auch noch von der Steuer abgesetzt werden können.«
Als Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 Krieg um Bergkarabach führen, landen in den Briefkäste von Armeniern in Köln Drohbriefe
Doch unabhängig von potenziellen finanziellen Sanktionen sind viele Kritiker der Grauen Wölfe vom symbolischen Nutzen eines Verbots überzeugt. Denn nicht nur Aktivisten fühlen sich bedroht: »Die Angst in den Gemeinden ist groß«, erzählt Kerem Schamberger. »Und viele dieser Armenier, Aleviten und Kurden stehen nicht in der Öffentlichkeit.«
Als Armenien und das von der Türkei unterstützte Aserbaidschan im Herbst 2020 Krieg um Bergkarabach führen, landen in den Briefkäste von Armeniern in Köln Drohbriefe. »Die Grauen Wölfe werden euch kriegen«, steht dort, oder »Wir kennen euch, wir wissen, wo eure Kinder sind, Tag und Nacht.«
Doch fast keiner der Betroffenen habe sich getraut, Anzeige zu erstatten, erzählt Ilyas Uyar: »Also ziehen sie sich weiter zurück, aus Angst.« Ismail Küpeli bemängelt, dass solche Einschüchterung keine Ermittlungen oder gar Strafverfolgung nach sich ziehen: »Die Devise lautete lange: Das betrifft doch nur die Ausländer.« Diese Erfahrung haben Uyar und Schamberger ebenfalls gemacht – alle von ihnen erstatteten Anzeigen sind im Sande verlaufen.
Dass sie Polizeischutz bekommt, empfindet Sevim Dağdelen als Privileg, das ihr zugesprochen wird, weil sie im Bundestag sitzt: »So vielen anderen aber wird dieser Schutz nicht zuteil.« Wie gefährlich die Ülkücüler sind, sei bei den Behörden noch nicht durchgedrungen, meint Ismail Küpeli: »Dabei haben sie feste Strukturen, seit dreißig bis vierzig Jahren.«
In Deutschland etablierten sich die Grauen Wölfe in den 1970er Jahren. Damals wird die Grundlage für die Ülkücü-Bewegung gelegt: 1978 empfängt der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) den MHP-Gründer Alparslan Türkeş in München. Der Spiegel berichtet, dass Strauß dem Hitler-Verehrer damals verspricht, seinen Grauen Wölfen ein »günstiges psychologisches Klima« zu verschaffen.
Konservative Politiker wie Strauß befürchteten eine Politisierung der aus der Türkei eingewanderten Arbeitskräfte, eine Verbreitung sozialistischer Ideen unter den Arbeitern. »Also hat man als Gegengewicht die Grauen Wölfe gewähren lassen«, sagt Ismail Küpeli.
Die Anschläge von Mölln und Solingen trieben in den 1990er Jahren junge Deutschtürken in die Arme der Grauen Wölfe. »Viele begaben sich nach diesem Vertrauensbruch der Gesellschaft auf Identitätssuche«, erklärt Kemal Bozay. Auf einer Versammlung der ADÜTDF forderte Alparslan Türkeş 1996 seine Anhänger auf, Parteien beizutreten, insbesondere der CDU. Tatsächlich fallen seitdem immer wieder Unionsmitglieder mit einer Nähe zu den Grauen Wölfen auf.
Etwa Zafer Topak, der sich offen zu den Bozkurtlar bekannte und 2017 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Oder Şevket Avcı, CDU-Stadtrat in Duisburg. Dem wiesen Journalisten des ARD-Magazins »Report Mainz« im Herbst 2020 enge Kontakte zu den Grauen Wölfen nach, sogar das Gelände des Duisburger »Idealistenheims« soll dem Lokalpolitiker gehören. Im Telefonat mit zenith wird Avcı wütend, spricht von »manipulierten Fotos« und Verwechslungen: »Ich will nichts wissen von irgendwelchen Linken oder Rechten, von Wölfen oder anderen Tieren.«
Doch auch in anderen Parteien finden Anhänger der Grauen Wölfe ein politisches Zuhause. Nebahat Güçlü war von 2008 bis 2010 Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft. Ihre Verbindungen zum Milieu der Grauen Wölfe gerieten erst in den Fokus der Öffentlichkeit, als sie 2015 auf einer Veranstaltung der ADÜTDF eine Rede hielt. Zudem kursierten Fotos, auf denen sie Müslüm C. umarmt – den Hamburger Boss der 2018 verbotenen nationalistischen Rockergruppe Osmanen Germania. Seit 2018 ist sie SPD-Mitglied.
Seit die AKP und die MHP in der Türkei zusammenarbeiten, treten die Grauen Wölfe auch in Deutschland stärker in Erscheinung
Üben die Grauen Wölfe auch strukturellen Einfluss auf die Politik in Deutschland aus? Sie versuchen es zumindest, glaubt Kemal Bozay: »Durch die Arbeit in Parteien und Integrationsräten versuchen die Ülkücü-Anhänger, die Interessen des ›europäischen Türkentums‹ zu vertreten.« Und durch die Nähe zu demokratischen Parteien können sie ihre Ideologie legitimieren, so Bozay.
Beobachter fürchten, dass der Einfluss der Nationalisten wächst. Auch weil sie politische und finanzielle Unterstützung aus der Türkei zu erhalten scheinen: 2017 etwa soll der AKP-Abgeordnete und Erdoğan-Freund Metin Külünk einer führenden Person der verbotenen Osmanen Germania mehrmals Geld zukommen lassen haben. Bereits 2016 sollen die »Osmanen« aus AKP-Kreisen beauftragt worden sein, Rache an Jan Böhmermann für dessen Schmähgedicht über Erdoğan zu üben, der ZDF-Moderator wurde von Ermittlern gewarnt.
Seit die AKP und die MHP in der Türkei zusammenarbeiten, treten die Grauen Wölfe auch in Deutschland stärker in Erscheinung, beobachtet Kemal Bozay. Und auch wenn die DITIB, die staatliche Religionsinstitution der Türkei in Deutschland, immer schon nationalistische Züge aufwies, hätten sich auch hier durch die Koalition mit der MHP die Strukturen verändert. »Die Verflechtungen werden immer stärker und undurchsichtiger«, befindet Bozay.
2020 bestätigte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei, dass Anhänger der Grauen Wölfe als Helfer bei Wahlkampfveranstaltungen der türkischen Regierung in Deutschland fungierten. Darüber hinaus, heißt es in der Auskunft weiter, sei es »wahrscheinlich«, dass Kontakte zwischen Grauen Wölfen und dem Erdoğan-Regime seitens des türkischen Geheimdienstes MIT »auch genutzt werden, um nachrichtendienstliche Belange zu fördern«.
Ismail Küpeli glaubt, dass zwar die klassischen Moscheeverbände in Zukunft weniger Zulauf bekommen. »Aber einige regierungsnahe Verbände und Einzelpersonen werden offenbar auch finanziell unterstützt. Die sprechen über ihre Social-Media-Kanäle vor allem junge Menschen an.« Auch militante, gewaltbereite Gruppierungen sind weiterhin attraktiv, gerade für junge Männer, warnt Küpeli. »Wenn wir jetzt keine Präventions- und Aufklärungsarbeit leisten, wird sich das Problem nicht in Luft auflösen.«