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Interview mit Investigativ-Journalistin Rana Sabbagh aus Jordanien

»Wege finden, die Gesetze zu umgehen«

Interview
Interview mit Investigativ-Journalistin Rana Sabbagh
Investigativ-Journalistin Rana Sabbagh bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Verleihung des »Raif Badawi Preis 2018« Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Rana Sabbagh, Leiterin des Recherchenetzwerks »Arab Reporters for Investigative Journalism«, spricht im Interview über korrupte Premierminister, elektronische Milizen und die Fallstricke von Enthüllungsgeschichten in der arabischen Welt.

zenith: Der Journalist Jamal Khashoggi soll womöglich im saudischen Konsulat in Istanbul getötet worden sein. Geht es immer weiter bergab mit der Pressefreiheit in der Region?

Rana Sabbagh: Ja, die Situation hat sich deutlich verschlechtert. Eigentlich haben wir nach dem Arabischen Frühling gehofft, dass sich etwas verändert. Doch die meisten Menschen in der arabischen Welt hatten andere Forderungen, wie beispielsweise einen sicheren Arbeitsplatz, eine gute Schulausbildung für ihre Kinder oder medizinische Versorgungssicherheit. Pressefreiheit oder Gleichberechtigung wurden nur von der Elite gefordert und die konnte sich damit nicht durchsetzen.

 

Inwieweit ist die Pressefreiheit in Jordanien denn eingeschränkt?

Das jordanische Gesetz legt fest, dass man den König nicht kritisieren darf. Man darf keine Informationen veröffentlichen, die dem Ruf der Polizei, der Armee und dem Geheimdienst schaden könnten. Man darf keine Berichterstattung betreiben, die zu sozialen oder religiösen Spannungen führen könnten. Auch Kritik an Regierungen befreundeter Staaten ist verboten, was eigentlich auf alle Staaten außer Israel und andere westliche Staaten zutrifft. Arabische Regierungen sind tabu. Die Liste ist lang und so unspezifisch, dass im Endeffekt flexibel entschieden werden kann, wen man wann festnimmt. Man muss Wege finden, um die Gesetze zu umgehen. Man darf zum Beispiel nicht den König kritisieren, wohl aber die Regierung, die ja de facto unter dem Befehl des Königs steht.

 

Mein erster Gegner war der damalige Premierminister Ali Abu Al-Ragheb. Ein sehr korrupter Mann, der später auch durch die Panama Papers entlarvt wurde.

 

Bis 2002 waren sie Chefredakteurin der Jordan Times. Dann wurden Sie entlassen. Warum?

Das war der erste Fall in Jordanien, bei dem die Regierung dafür gesorgt hat, dass ein Chefredakteur rausgeschmissen wurde. Früher war die Jordan Times eine sehr pluralistische Zeitung. Als ich dort Chefredakteurin wurde, habe ich die Veränderungen unterschätzt. Ich hatte außer Acht gelassen, dass die Regierung mittlerweile 60 Prozent des Präsidiums kontrollierte. Mein erster Gegner war der damalige Premierminister Ali Abu Al-Ragheb. Ein sehr korrupter Mann, der später auch durch die Panama Papers entlarvt wurde. Es störte ihn, dass ich in meinen Reportagen versuchte, ausgeglichen zu argumentieren. Als ich eines Tages einen Artikel über seine Firma schrieb, in dem er nicht zu Wort kam, rief er mich an und schrie: »Wieso bin ich nicht auf der ersten Seite zu sehen? Ich bin der Premierminister von Jordanien. Was denkst du, wer du bist? Du bist die Chefredakteurin der Jordan Times, du kannst nicht machen, was du willst.« Ich sagte ihm, dass ich die Zeitung weiterbringen möchte. Ich wollte sie glaubwürdiger machen.

 

Und das war der Grund für Ihre Kündigung?

Nein, noch nicht. Über Freunde erfuhr ich aber, dass die Regierung versuchte, mich zu ersetzen. Entlassen wurde ich wegen eines anderen Artikels. 2002 starb ein 16-jähriger Junge im Zuge von heftigen Proteste in Maan. Die offizielle Version lautete, dass er von einem Dach gestürzt sei, als er vor der Polizei floh. Meine Reporter, die vor Ort waren, kamen jedoch mit einer ganzen anderen Geschichte wieder. Sie hatten herausgefunden, dass der Junge zu Tode gefoltert wurde. Ich veröffentlichte diese Version, obwohl unser Chef uns angewiesen hatte, dem offiziellen Narrativ zu folgen. Die Tatsache, dass ich der Polizei Folter unterstellte, kostete mich meinen Posten als Chefredakteurin. Ich wurde durch den heutigen Außenminister Ayman Safadi ersetzt, der von Anfang an klarmachte, dass die Jordan Times von nun an die Zeitung des Regimes, des Palasts und der Regierung sei.

 

Also ein weiteres Element staatlicher Propaganda.

Ja richtig. Was erwarten Sie von der arabischen Welt? Die Ausnahmen sind Tunesien und Libanon. Die Medien dort sind einigermaßen frei in ihrer Berichterstattung. Trotzdem sind sie von Korruption durchzogen. In Tunesien ist der Grund dafür die wirtschaftliche Krise der Medien. Die reichen Geschäftsleute, aber auch die Muslimbrüder haben sich in die Medienhäuer hineingekauft. Im Libanon ist die Berichterstattung zwar unabhängig vom Staat, jede Nachrichtenagentur untersteht dafür aber einer bestimmten Gruppe beziehungsweise Miliz. Wenn man einen Eindruck davon gewinnen möchte, was dort passiert, muss man viele verschiedene Nachrichten lesen. Die arabischen Medien sind voll von Falschinformationen und Lügen.

 

Einige Chefredakteure opfern unabhängigen und glaubwürdigen Journalismus, um mit den Wichtigen zu reisen, um in Palästen zuhause zu sein und um im Dezember VIP-Weihnachtskarten zu bekommen.

 

Und aus diesen Gründen wurden sie 2005 Teil von »Arab Reporters for Investigative Journalism« (ARIJ).

Richtig. ARIJ hat sich seitdem toll entwickelt. Am Anfang haben mich die Leute ausgelacht, wenn ich sagte, dass ich mich für investigativen Journalismus in der arabischen Welt einsetze. Die ersten Länder, in denen wir mit ganz kleinen Geschichten anfingen, waren Syrien, Jordanien und Libanon. Zu dieser Zeit wurde unsere Arbeit sogar noch mehr oder weniger von den Regierungen akzeptiert. Die Regierung von Baschar Al-Assad nutzte ARIJ zum Beispiel, um der Welt zu zeigen, dass er angeblich professionelle Berichterstattung toleriere.

 

Heute sind Ihnen die Regierungen nicht mehr so wohl gesonnen.

Nein, leider nicht. Journalist im Nahen Osten zu sein, ist ein taffer Job. Als wir an den Panama Papers arbeiteten, veröffentlichen wir auch einen Artikel über Baschar Al-Assad und seine Cousins. Natürlich waren wir vorsichtig und veröffentlichten unter Pseudonym. Trotzdem machte das Regime unseren syrischen Kollegen für die Recherchen verantwortlich. Der Geheimdienst ließ ihm über seinen ehemaligen Chef die Nachricht ausrichten: »Sag Deinem Mitarbeiter, dass er nicht einmal davon träumen soll, wieder hierher zu kommen. Wir werden ihm seine Zunge und seine Finger abschneiden.« Trotzdem sind unsere größten Feinde nicht die Regierungen. Es sind die Chefredakteure, die es akzeptieren, Instrumente der Regime zu sein. Sie opfern unabhängigen und glaubwürdigen Journalismus, um mit den Wichtigen zu reisen, um in Palästen zuhause zu sein und um im Dezember VIP-Weihnachtskarten zu bekommen. Heute stellt sich nur noch die Frage, ob man für oder gegen die Regierung ist, dazwischen gibt es nichts.

 

Wir sind nicht länger diese kleine Gruppe, die sich als Einzelkämpfer für investigativen Journalismus in der arabischen Welt einsetzt

 

Wie haben die Panama Papers, an denen ARIJ als Teil des Recherchenetzwerks beteiligt war, Ihre Arbeit verändert?

Die Panama Papers haben weniger unsere Arbeit, als viel mehr unser Ansehen verändert. Ich denke, das besondere an den Panama Papers war, dass das »International Consortium of Investigative Journalists« (ICIJ) mit über 440 Journalisten kooperiert hat. Die Story war zu groß, um sie alleine durchzuziehen. Wir sind nicht länger diese kleine Gruppe, die sich als Einzelkämpfer für investigativen Journalismus in der arabischen Welt einsetzt. Die Panama Papers haben uns zu einem Teil einer großen globalen Bewegung gemacht. Dadurch bekommen wir zum einen mehr Unterstützung, zum anderen aber auch mehr Schutz.

 

Viele andere Reportagen, die ARIJ veröffentlicht, ziehen deutlich weniger internationale Aufmerksamkeit auf sich. Haben sie trotzdem Einfluss auf das Leben vor Ort?

Wir haben über 500 investigative Reportagen veröffentlicht – sowohl Print und Online als auch im Fernsehen. Jede einzelne Story hat, unterschiedlich im Ausmaß und unterschiedlich schnell, eine Veränderung bewirkt. Wenn wir eine Reportage beginnen, schauen wir zuerst, welchen Themen ein öffentliches Interesse zugrunde liegt. Dann beobachten wir die Situation und überprüfen die rechtlichen Grundlagen, sowohl die Gesetze auf dem Papier, wie auch in der Praxis. Wenn wir alle Informationen gesammelt und dokumentiert haben, suchen wir nach Lösungen.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

In Jordanien haben wir beispielsweise undercover in Zusammenarbeit mit der BBC systematische Misshandlung von Kindern in privaten Einrichtungen für geistig Behinderte aufgedeckt. Sie wurden an Heizkörper gebunden, geschlagen und sexuell missbraucht. Als wir die Reportage veröffentlichten, folgte ein riesiger Aufschrei. Auch der jordanische König bekam davon Wind und besuchte diese Zentren. Er wies die Regierung an, Gesetze zu erlassen, sodass so etwas kein zweites Mal passiert. Es wurden Kameras installiert und eine Hotline eingerichtet.

 

Wir haben als europäisch finanzierte NGO einen deutschen Preis zu Ehren von Raif Badawi gewonnen, der sowieso als Verbündeter des Westens gilt. Unsere Feinde werden das sicherlich gegen uns verwenden.

 

Undercover-Recherchen sind gefährlich, andere Journalisten nutzen heutzutage stattdessen beispielsweiße die sozialen Medien oder Crowdsourcing, um an Informationen zu gelangen. Wie verändern diese Möglichkeiten Ihre Arbeit?

Ja, das stimmt. Elliot Higgins, der Gründer des Crowdsourcing-Portals Bellingcat, war zum Beispiel sehr erfolgreich, indem er über im Internet zugängliche Fotos den Einsatz bestimmter Waffen in Syrien untersucht hat. Technologischer Fortschritt erleichtert unsere Arbeit durchaus. Trotzdem bin ich gespalten. Manchmal schadet Technologie uns auch. Zum einen ist es durch die sozialen Medien viel einfacher geworden, Desinformationen und Lügen zu verbreiten. Zum anderen hat die Technik die Überwachung von Journalisten deutlich einfacher gemacht. Wir sprechen von »elektronischen Milizen«, die jeden auf Schritt und Tritt verfolgen können. In der arabischen Welt finden sich viele Meister dieser elektronischen Überwachung.

 

Sie sind gerade in Deutschland, weil das ARIJ-Netzwerk den »Raif Badawi Preis 2018« gewonnen hat. Wie beurteilen Sie diese internationale Aufmerksamkeit? Nützt oder schadet sie Ihrer Arbeit vor Ort?

ARIJ wird in der arabischen Welt immer häufiger als Agent des Westens diffamiert. Wir haben als europäisch finanzierte NGO einen deutschen Preis zu Ehren von Raif Badawi gewonnen, der sowieso als Verbündeter des Westens gilt. Unsere Feinde werden das sicherlich gegen uns verwenden. Dennoch ist die internationale Vernetzung wichtig für uns. Wenn wir nicht Teil einer weltweiten Bewegung wären, würden wir wahrscheinlich als Einzelkämpfer in unseren Ländern dahinsiechen. Für uns ist es also auch eine Chance, wenn unsere Arbeit international geschätzt wird.

 

Sie sprechen von internationaler Vernetzung. Mit wem konkret arbeiten Sie zusammen?

Wir arbeiten mit der BBC und der Deutschen Welle zusammen. Außerdem ist Al Jazeera Englisch – nicht Al Jazeera Arabisch – ein enger Partner. Ihre Reportagen sind für ein internationales Publikum bestimmt. Deswegen folgen sie ganz anderen, besseren Standards als Al Jazeera Arabisch. Manchmal arbeiten wir auch mit Al-Araby zusammen. Weil das Portal von Katar finanziert wird, müssen wir dabei allerdings sehr vorsichtig sein. Wir möchten nicht in Katars außenpolitische Spannungen hineingezogen werden. Der Krieg in Jemen hat uns das gelehrt. Dort sehen wir, wie saudisch finanzierte Medien den Krieg beeinflussen. Den Journalisten wird genau gesagt, was sie zu sagen und zu schreiben haben. Das entspricht nicht unseren Grundsätzen.

 

Wie sollen sich westliche Regierungen für freien Journalismus einsetzen, wenn sogar der US-Präsident Journalisten beleidigt und die Medien der Lüge bezichtigt?

 

Wünschen Sie sich auch auf politischer Ebene mehr internationale Unterstützung?

Ich bin sehr enttäuscht vom Westen. Der »Krieg gegen den Terror« und die Bewältigung der Flüchtlingskrise stehen über allem. Dafür sind die westlichen Regierungen auch bereit, Probleme wie die Unterdrückung der Pressefreiheit zu ignorieren. Damit helfen sie uns nicht. Am Ende sind alle Politiker nur Lügner und Manipulatoren. Wie sollen sich westliche Regierungen für freien Journalismus einsetzen, wenn sogar der US-Präsident Journalisten beleidigt und die Medien der Lüge bezichtigt? Die Grenzen zwischen dem »Krieg gegen den Terror« und dem Krieg gegen die Meinungsfreiheit sind sehr klein geworden. Das ist kein arabisches Problem, sondern ein weltweites.

 

Sie sind als erfolgreiche weibliche Journalistin zurzeit noch eine Seltenheit in der arabischen Medienlandschaft. Warum?

Eigentlich mag ich es nicht, Journalisten in Männer und Frauen aufzuteilen. Alle arabischen Journalisten sind – unabhängig von ihrem Geschlecht – Opfer. Sie leiden unter fehlender Demokratie, fehlender Transparenz und der Bekämpfung unabhängiger Medien. Natürlich haben Sie Recht. Frauen sind in einer männlich dominierten Gesellschaft wie der arabischen eine Minderheit. Dennoch gibt es Erfolgsgeschichten von Frauen, die Zeitungen oder Fernsehsender führen. Bis vor 50 Jahren waren weibliche Journalisten auch in Europa noch eine Seltenheit. Ich bin sicher, dass der Anteil von Frauen in der arabischen Medienlandschaft wachsen wird.


Rana Sabbagh ist Leiterin des Recherchenetzwerks »Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ)« mit Sitz in Amman. Als Chefredakteurin der Jordan Times war sie die erste Frau im Nahen Osten, die eine politische Zeitung leitete. Am 10. Oktober 2018 wurde ihre Arbeit auf der Frankfurter Buchmesse mit dem »Raif Badawi Preis« geehrt.

Von: 
Franziska Jostmeier

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