In der Hitze der Wüste begehen sogar die Krähen Selbstmord. Ein Besuch im Südwesten Algeriens, wo die Bewohner eigene Lösungen für die Herausforderungen des Klimawandels finden.
Vor nicht einmal 10.000 Jahren gedieh in der heutigen Sahara ein üppiges Waldgebiet durchzogen von unzähligen Seen. Dann neigte sich die Erdumlaufbahn ein wenig und Menschen ließen sich in der Region nieder, wodurch ein Wüstenbildungsprozess angestoßen wurde, der seitdem unaufhaltsam voranschreitet, so der wissenschaftliche Konsens. Eine Studie aus dem Journal of Climate besagt, dass die Sahara allein im vergangenen Jahrhundert um ungefähr 10 Prozent angewachsen ist.
Um diesem Vormarsch der Wüste entgegenzuwirken, pflanzen die Sahel-Länder eine Barriere aus Bäumen entlang der Südgrenze der Sahara – ein Vorzeigeprojekt der Afrikanischen Union, bekannt unter dem Namen »Great Green Wall«. Mehr als 247 Millionen Hektar sollen wieder aufgeforstet werden. Richtung Norden schreitet die Sahara jedoch weiter voran, eine vergleichbare Initiative ist bisher nicht geplant.
zenith hat die algerischen Provinzen Djelfa, Biskra und Adrar besucht und mit den Bewohnern der Wüste gesprochen. Sie stehen vor der gewaltigen Herausforderung, ihre Lebensgrundlagen und ihre Kultur zu bewahren.
»Früher gingen wir noch auf Herdenwanderungen«
Die Schnellstraße Richtung Djelfa wird von Hunderten provisorischen Zelten flankiert. Diese Mini-Haushalte 400 Kilometer südlich von Algier sind charakteristisch für die algerische Steppe: Sie zeugen von der Bedeutung der Weidewirtschaft.
In den Sommermonaten von Juni bis August, wenn die Sonne die Herrschaft in der Steppe übernimmt, verbrennt hier die Erde. Djelfa gehört zu den Regionen Algeriens, die am offensichtlichsten unter dem Klimawandel leiden. Immer heißere Temperaturen, der Vormarsch der Wüste und die Wehen der Moderne bringen die erst neuerdings sesshaften Bewohner von El Guedid, 70 Kilometer von Djelfa, in nie dagewesene Schwierigkeiten.
1984 war Mohamed Dahmoune gerade 21 Jahre alt, als er sich zum letzten Mal zu den Achaba- und Azzaba-Wanderungen aufmachte. Damals half er seinem Vater, eine stattliche Schafherde durch die Steppe zu führen. Die Achaba-Wanderungen fanden in den Wintermonaten statt, wenn die Nomaden Richtung Wüste zogen, um dort Weideland zu finden und der Kälte zu entfliehen. Die Azzaba-Wanderungen hingegen lebten vom sommerlichen Streben nach kühleren Temperaturen am nördlichen Rand der Steppe.
»Früher gingen wir noch auf Herdenwanderung«, erklärt Dahmoune. »Wir legten den ganzen Weg bis nach Marokko zurück. Aber die Zeiten haben sich geändert«. Während er spricht, wischt er Schweißperlen von seiner Stirn.
Dahmoune wird oft liebevoll El Hadj genannt. Sein langes Gesicht ähnelt der Region, in der er lebt: wettergegerbt, vernarbt und trocken. Seine fast zwei Meter große Statur wirkt durch den eierschalenfarbenen Cheche, den algerischen Turban auf seiner Glatze, noch beeindruckender. Als Patriarch lebt er mit mehreren Familiengenerationen in seiner bescheidenen Behausung, ohne fließend Wasser und mit nur wenigen Stunden Strom am Tag.
Das einzige Überbleibsel, das an die Tausenden Kilometer erinnert, die Dahmoune früher jedes Jahr zurückgelegt hat, ist eine Guitoune. Das traditionelle Zelt steht einige Kilometer entfernt auf einem gepachteten Fleckchen Erde. Nur einen Steinwurf entfernt liegen zwei Gehege mit je 80 Schafen.
Dass Dahmoune aus seiner Komfortzone getrieben wurde und sein Leben komplett umkrempeln musste, dafür gibt es zahlreiche Ursachen. An erster Stelle steht die Verschlechterung der Weiderouten. Jahrhundertelang zogen Nomaden durch die Wüste, immer entlang bekannter Wege, die aufgrund reichlicher Regenfälle von Halfagras und Beifuß nur so strotzten. »Das letzte Jahr mit ausreichend Regen, an das ich mich erinnern kann, war 2009«, erzählt El Hadj.
Den Rückgang des Regens beobachten auch Wissenschaftler vor Ort. »Die saisonalen Dürreperioden in der Region sind über den Verlauf der letzten 30 Jahre immer häufiger und länger geworden«, konstatiert der Hirtenforscher Mohamed Kanoun, der seit den frühen 1990er Jahren in Djelfa wohnt. »Die Hirtenrouten in der Region sind um ungefähr 27 Prozent geschrumpft, während die Wüstenbildung um 11 oder 12 Prozent zugenommen hat.«
Algeriens Nationales Amt für Meteorologie bestätigt diese Zahlen: Im vergangenen Jahr fielen sieben Prozent weniger Regen als im Durchschnitt der letzten dreißig Jahre. Außerdem leidet die Vegetation in der Region unter der industriellen Landwirtschaft, die das bereits halbtrockene Land überbeansprucht. Es gibt zwar noch hier und dort Weideflächen. »Aber selbst, wenn ich meine Tiere woanders weiden lassen wollte, würde der Besitzer dieses Landes mich wegschicken«, sagt El Hadj. »Es ist einfach nicht mehr so wie früher.«
Normalerweise macht Dahmoune während des islamischen Opferfestes Eid Al-Adha genug Gewinn, um für den Rest des Jahres über die Runden zu kommen. Jahr für Jahr strömen Algerier aus allen 58 Provinzen nach Djelfa, um Schafe für die rituelle Schlachtung zu kaufen. Das Jahr 2020 fiel für die Hirten in der Region jedoch katastrophales aus.
In den Monaten vor dem Feiertag, der in diesem Jahr auf den 30. Juli fiel, schlossen die Behörden wegen der Coronavirus-Pandemie die Schafmärkte und verhängten ein Reiseverbot zwischen den Provinzen, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. 14 Prozent aller Schafe in Algerien, insgesamt 4 Millionen, kommen aus Djelfa.
Die 18.000 Haushalte, die in der Provinz von der Viehzucht leben, stehen in einem harten Wettbewerb um den Verkauf ihres Viehs – nicht zuletzt, um Schulden zu begleichen. »Wer nicht über die Mittel verfügt, hat nichts. Im Idealfall würde ich ein paar Hektar für 600.000 oder 700.000 Dinar pro Jahr mieten (das entspricht etwa 4.000 oder 4.500 Euro) und die Herde dann auf einen Lastwagen verladen.« Wie viele andere Hirten in der Region hält auch El Hadj seine Herde auf Kredit. »Manche pachten sogar Land für den doppelten Preis.«
Stattdessen besitzt El Hadj ein kleines Stück Land am Fuße eines felsigen Hügels, das er für 80.000 Dinar (520 Euro) pro Jahr von einem Cousin pachtet. Um bürokratische Hindernisse für Bankkredite zu vermeiden, gehen Hirten und Investoren in der Region informelle Quid-pro-quo-Partnerschaften ein.
Finanzkapital wird mit dem Generations-Know-how von Hirten wie Dahmoune ausgetauscht, der selbst versucht, die Kosten für Kauf, Transport und Unterhalt des Viehs zu decken. Dabei profitiert Dahmoune von einem besonders vorausschauenden Investor, der den örtlichen Brunnen mit einem Solarpanel ausgestattet hat. Das Solarstrompotenzial in der algerischen Steppe und in der Sahara ist besonders hoch. Es ist auch sauberer und billiger, als die Brunnen mit einer Diesel- oder Elektropumpe zu betreiben.
Die Partner haben beschlossen, auf Dahmounes kleinem Stück Familienland Luzerne anzubauen, die alle 20 bis 25 Tage geerntet wird. Die Futterpflanze passt sich besonders gut an das trockene Klima an und liefert effiziente Erträge und eine gesunde Energiequelle für die Schafe.
Wenige Tage vor Eid Al-Adha erlaubten die lokalen Behörden die Öffnung der Schafmärkte von Djelfa und El Hadj konnte einige seiner Schafe verkaufen, um einen Teil seiner Schulden zu begleichen. Der 67-Jährige ist der Beweis dafür, dass in einer sich ständig verändernden Welt die traditionellen Bevölkerungsgruppen, die am stärksten den Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt sind, oft die ersten sind, die geeignete Lösungen finden, um ihm zu begegnen.
Algeriens Dattelhaine trocknen aus
Die Veränderungen machen auch vor dem Hunderte Kilometer entfernten Biskra keinen Halt. Seine Bewohner sind seit jeher Spezialisten für die Dattelproduktion. Hier, im nordöstlichen Zipfel der algerischen Sahara, leben sie nach dem Motto: »Gib der Dattelpalme, und sie wird es dir zurückzahlen.«
Seit Jahrhunderten kultivieren die Einheimischen des Ziban-Gebirges ihre wertvollen Dattelpalmen voller Sorgfalt in der Nähe einiger Oasen. Mehr als hundert verschiedene Dattelarten wachsen an 500.000 Bäumen in Biskra und bilden die wirtschaftliche Lebensader der Region.
Allein im Jahr 2019 wurden 200.000 Tonnen Datteln im Wert von 50 Millionen Dollar aus Algerien exportiert. Datteln kommen damit direkt nach Öl und Gas in der Liste der ertragreichsten Rohstoffe des Landes. Doch auch hier steigen die Temperaturen, fehlt der Regen und werden die vorhandenen, aber knappen Ressourcen überbeansprucht. Für die Bauern in Biskra bedeutet das, dass sie auf Dauer neue Lösungen brauchen, wie sie ihre Datteln anpflanzen, pflegen und ernten.
»Dieser Garten ist mein Paradies«, schwärmt Khaled, ein Fellache, der auf der Palmenfarm einer reichen Familie in der Nähe des Flughafens von Biskra lebt und arbeitet. »Wenn ich morgens aufwache, trinke ich meinen Kaffee und esse etwas Süßgebäck. Dann bin ich bei meinen Freunden.« Er deutet auf die Dattelpalmen, die ihn von allen Seiten umgeben.
Für Khaled und Zehntausende wie ihn dreht sich das ganze Leben um die Dattelpalme. Aus den gerösteten Kernen kann ein Kaffeeersatz gewonnen werden, der getrocknete Stamm wird zu Möbeln verarbeitet, und aus den welken gefiederten Blätter werden Körbe, Trittmatten oder Strohhüte geflochten. Die Königin der Palme jedoch ist die Deglet Nour, »Die Dattel des göttlichen Lichts«, eine längliche, fleischige, samtige Frucht mit honigartigem Nachgeschmack. Wegen ihres Geschmacks und ihrer Vielseitigkeit stellt in Biskra niemand die Göttlichkeit der Dattel in Frage.
Khaled erinnert sich, wie sein Vater ihn als kleinen Jungen schon nach einem Monat Schule wieder aus dem Unterricht abzog, da er Hilfe beim Binden der Dattelstiele brauchte. Nun, da er sich dem Rentenalter nähert, kann Khaled bezeugen, wie dramatisch sich sein Beruf verändert hat.
»In meiner Kindheit gab es im Winter heftige Regenfälle und manchmal regnete es sogar im Sommer. Das Land sog all die Feuchtigkeit auf und in den Flussbetten der Wadis strömte das Wasser nur so. Die Bauern bewässerten damit sorgfältig ihre Gärten und überall wuchsen exzellente Früchte.«
Die Produktion wirklich guter Datteln wird durch die sich wandelnden Niederschlagsmuster zunehmend schwierig. 2020 fiel nach Angaben mehrerer Dattelbauern schlicht zu wenig Regen. Deswegen mussten einige von ihnen Pestizide verwenden, um Spinnen abzuwehren, die normalerweise durch den Regen weggewaschen werden.
Mohamed Kamel Bensalah arbeitet am »Zentrum für Wissenschaftliche und Technische Erforschung von Trockenregionen« in Biskra. Er beobachtet, dass sich sogar die Bestäubungszyklen mancher Dattelarten verändern – einige werden länger, andere kürzer.
»In manchen Gegenden können die Palmen schon im Februar bestäubt werden, in anderen erst im Mai. Auch die Erntezeiten des Zyklus variieren je nach Region um bis zu zehn Tage«, erläutert Bensalah. »Und ein weiteres Klimaproblem, dass die Qualität der Datteln in Biskra bedroht, sind die steigenden Temperaturen. Das Risiko, dass die Früchte in der brennenden Sonne austrocknen, wird immer größer.«
Der Copernicus-Klimawandeldienst deklarierte 2019 als das heißeste Jahr seit 1981. Auch algerische Institute wie das Nationale Zentrum für Klimatologie bestätigen das: »Der Juli 2019 war im gesamten Land besonders heiß. Fast in allen Provinzen lagen die Temperaturen zwischen 0,2 und 3,3 Grad Celsius über dem normalen Durchschnitt.«
Obwohl Biskra das Tor zur größten Hitzewüste der Welt ist, liegt es gleichzeitig auf dem weltgrößten Frischwasserreservoir. Das Albian-Aquifer ist fast zweimal so groß wie Frankreich. 70 Prozent davon liegen im Südosten Algeriens. Deshalb baut jeder Dattelbauer einen Brunnen in seinen Garten – die meisten bohren Hunderte Meter tief, um die 50 Milliarden Kubikmeter heißen Wassers anzuzapfen.
So beeindruckend dieser Speicher auch sein mag, das Wasser ist endlich und seine Nutzung muss kontrolliert werden. Algerien, Tunesien und Libyen haben daher multilaterale Abkommen getroffen, um die nasse Ressource verantwortungsvoll zu nutzen und zu verhindern, dass eines Tages das Wasser ausgeht. Gleichzeitig zwingt der Klimawandel die lokalen Dattelproduzenten dazu, das Reservoir eigenmächtig anzuzapfen.
Einer von ihnen ist Lamri Bennacer, ein 36-jähriger Dattelbauer, der bereitwillig allen, die zuhören, vom Elend seiner Dattelpalmen erzählt. Mit Müh und Not erhält er die 1.200 Bäume auf fast 7 Hektar Familienland am Leben – seit Anfang der 2000er wurden sie nicht mehr richtig bewässert. Der selbstgebaute Brunnen reicht zwar 130 Meter in die Tiefe, liefert aber schlicht nicht genug Grundwasser. Mit Tröpfchenbewässerung kann Bennacer seinen Bäumen gerade genug anbieten, damit sie nicht eingehen.
»Das Wasser reicht einfach nicht für die Bewässerung. Wenn ich einen tieferen Brunnen hätte, könnte ich 500 oder 600 neue Bäume pflanzen und eine wirklich große Ernte einfahren. Selbstgebaute Brunnen sind nutzlos.«
Viele kleine Brunnen beschleunigen den Schwund des Wassers – die Bauern würden einen industriellen Brunnen bevorzugen, der 500 Meter tief reicht und gleich mehrere Palmenhaine versorgen könnte. Doch nur selten erteilen die Behörden eine Genehmigung für solche Projekte.
Kein Hitzefrei im »Dreieck des Feuers«
Die Probleme infolge schlechter Regierungsführung in der Sahara reichen allerdings noch viel tiefer. Die am meisten marginalisierten Bevölkerungsgruppen leben bis heute in den heißesten Ecken der Wüste. Nirgends wird das deutlicher als in der Provinz Adrar, wo es keine Seltenheit ist, dass die Temperaturen in den höllisch heißen Sommermonaten auf über 50 Grad klettern. Meteorologen vor Ort sprechen vom »Dreieck des Feuers« zwischen den Städten Adrar, Reggane und In Salah – die Region von über 400.000 Quadratkilometern Fläche im Südwesten Algeriens gilt als eine der heißesten Gegenden der Welt.
Die Temperaturen hier werden im Sommer so lebensfeindlich, dass den örtlichen Legenden zufolge immer wieder sogar die Krähen Selbstmord begehen. Zoologen sind sich zwar noch nicht sicher, ob die Vögel überhaupt fähig sind, sich selbst das Leben zu nehmen, aber Augenzeugen sollen berichtet haben, wie Krähen sich in vollem Tempo selbst in den Boden torpedierten. Einige Theorien führen dieses Phänomen auf Dehydrierung zurück. Andere sprechen von Fata Morganas, die die Vögel getäuscht haben könnten. Wie dem auch sei: Die Sommermonate in Adrar sind für jegliches Leben schwer zu ertragen.
Die Daten der Klimatologen zeigen, dass der Klimawandel diese ohnehin schon schwierigen Bedingungen weiter verschärft. Abdelkader Laaboudi, Direktor der Forschungsstation des Nationalen Instituts für Agrarforschug in Adrar, beobachtet, wie die Temperaturen stetig ansteigen und die Sommerhitze Jahr für Jahr länger andauert.
»Seit den 1940ern haben wir in den Sommermonaten ab und zu Temperaturen um die 49 Grad gemessen, aber eher selten – an vielleicht ein oder zwei Tagen pro Monat«, sagt er. »In den letzten Jahren nimmt die Zahl der Tage mit solchen Höchsttemperaturen stetig zu«. Die Wetteraufzeichnungen von Laaboudis Institut zeigen, dass die durchschnittliche Höchsttemperatur im Juli in den Jahren 1980 bis 2000 noch 0,5 Grad niedriger lag als zwischen 2000 und 2017.
2018 ging das Facebook-Foto eines Thermometers aus Adrar viral – es zeigte unglaubliche 65 Grad Celsius. Das wäre ein neuer Weltrekord gewesen. Aber für eine Standardmessung hätte das Thermometer vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt werden müssen. In Wirklichkeit betrug die Temperatur im Schatten an diesem Tag »nur« 54 Grad – immerhin genug für einen Landesrekord.
Leila Assas ist Lehrerin aus Oran und lernte Adrars heiße Realität persönlich kennen, als sie sich in dem winzigen Dorf Azgar, 70 Kilometer entfernt von der malerischen Timomoun-Oase, niederließ. Da es in vielen Regionen der südlichen Sahara zu wenig Sprachlehrer gibt, lockt die algerische Regierung Fachkräfte mit stattlichen Gehaltsaufschlägen. Assas unterrichtet deshalb Französisch an einer Grundschule in Adrar. Sie beschreibt die Region um Azgar als eine »ländliche Gegend, in der die Bewohner im Rhythmus der Jahreszeiten leben.« Der Klimawandel beeinflusse sogar ihre Arbeit als Lehrerin.
»Ich bemerkte den Klimawandel, als Sandstürme immer häufiger und vor allem zunehmend unberechenbar wurden«, erinnert sie sich. »Den Ernst der Situation begann ich zu begreifen, als ich sah, wie schockiert die älteren Frauen im Dorf davon waren – die Stürme bedrohten die Ernte.«
Aber nicht nur die Landwirtschaft leidet unter dem Klimawandel – auf Platz zwei der am stärksten betroffenen Gesellschaftsbereiche liegt der Bildungssektor. Adrar hat die niedrigste Alphabetisierungsrate in ganz Algerien. Beim letzten Zensus im Jahr 2008 gaben fast 20 Prozent der Männer an, die Schule nicht abgeschlossen zu haben. Satte 34,9 Prozent der Frauen sagten sogar, sie seien noch nie zur Schule gegangen. Das Nationale Statistikamt geht davon aus, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung von Adrar weder lesen noch schreiben kann.
Assas sieht das Kernproblem in der Hyper-Zentralisierung des algerischen Bildungssystems. »Alles in Algerien wird zentral geregelt. Deswegen beginnt das Schuljahr in Adrar, wie überall sonst auch, in der ersten Septemberwoche«, erklärt sie. »Aber in der Wüste ist es im September noch unglaublich heiß. Unterricht ist bei einer solchen Hitze schlicht nicht machbar – einige der Kinder werden krank, bekommen Nasenbluten oder kippen einfach um.«
Die Lehrerin erinnert sich, wie sie deshalb während ihrer Zeit in Adrar bereits morgens um halb sieben mit dem Unterricht anfangen und sich für ein paar Wochen mit Halbtagsschule zufriedengeben musste. »Obwohl das von oben nicht offiziell erlaubt war. Die verlorene Zeit versuchten wir dann im Laufe des Jahres wieder einzuholen«, beteuert Assas.
»Die Klassenzimmer sind nicht für solche Temperaturen gebaut, sie bestehen aus Betonblocks und Industrieziegeln, die sich schnell aufheizen. Schon im Frühling haben wir deswegen die Hitze der Sonne gespürt. Manchmal betrieben wir drei oder vier Klimaanlagen pro Raum, und trotzdem hat das nicht ausgereicht.«
Trotz der Entbehrungen, die die Arbeit im Süden mit sich bringt, erinnert Assas sich gern an ihre Zeit in Adrar. Regelmäßig ruft sie ihre ehemaligen Schüler oder deren Eltern an, um sich nach ihnen zu erkundigen und sicherzustellen, dass sie weiterhin ordentlich arbeiten – Zeugnis dafür, dass es praktisch unmöglich ist, keine enge Verbindung zur Sahara aufzubauen, sobald man einmal dort gelebt hat.
Diese Reportage wurde durch den Candid Journalism Grant gefördert.