Der Zermürbungskrieg im Jemen verschafft weder der saudisch-geführten Koalition noch den Huthis einen militärischen Vorteil. Dafür zwingt er die Menschen in die Knie. Eine Reise durch ein Land, das verhungert.
Ibrahim Al-Abid ist 14 Jahre alt und trägt einen sandfarbenen Kaftan. Er führt uns durch die Altstadt von Sana՚a und bleibt vor den Trümmern eines Gebäudes stehen. Sein Haus steht vor dem zerbombten Gebäude. »Meine Cousins und Onkel hatten sich eingefunden, um gemeinsam im Innenhof zu Abend zu essen. Sie warteten auf Ahmeds Rückkehr vom Bäcker. Als er zurückkam, wollte der Hund ihn nicht reinlassen. Ahmed nahm einen Stein und versuchte ihn zu verscheuchen. Aber der Hund wollte ihn nur warnen. Wenige Minuten später wurde das Gebäude, in dem sich zehn unserer Verwandten aufhielten, von einer Rakete getroffen. Sie alle starben.«
Von seinem Zimmer aus habe er nichts gehört, sagt Ibrahim »Im Krieg lernt man schon als Kind, dass es zu spät ist, wenn man den Einschlag hört.« Er spürte, so erzählt er, wie die Mauern erzitterten. Dann eilte er hinaus, um die Toten aus dem Schutt zu bergen und nach Überlebenden zu suchen. Ibrahims Cousin hätte überleben können, wenn der Krankenwagen Sauerstoff gehabt hätte.
Mit einer Hand imitiert er die Schwingungen. Er schaut in den Himmel und beschreibt das Geräusch der Drohnen. »Wir sind es mittlerweile gewohnt«, sagen seine Cousins, Mohammed und Kamal, jeweils 12 und 11 Jahre alt. Sie gehen nicht zur Schule, sie wollen Kampfpiloten werden. »Um das Land zu schützen«.
Der prophetische Hund überlebte die Bombennacht und bewacht noch immer den Eingang der Ruinen im Erdgeschoss. Vor dem Luftangriff waren es einmal ein Bad und eine Küche. Es scheint, als würde er die Erinnerung an die Opfer beschützen.
Der Eingang zur Altstadt, zwischen den Checkpoints der Huthis und ihrer allgegenwärtigen Propaganda, versprüht trotz allem noch immer den Charme des altarabischen Handelszentrums. Ein geschäftiges Durcheinander zwischen den Lehmhütten, der Geruch von Weihrauch und Gewürzen liegt in der Luft. Ein Sinnbild der vielen Widersprüche, die diesen Konflikt im Süden der Arabischen Halbinsel prägen.
Die Stände auf den Märkten sind prall gefüllt: Obst, Gemüse – und Qat. Auch in den Ladenzeilen stehen Brot und Mehl in den Regalen. Gleiches gilt für die Auslagen in den Apotheken. Und dennoch sind die Kühlschränke in vielen Haushalten leer und die Notaufnahmen der Krankenhäuser voller unterernährter Kinder. Das sind die Folgen des Wirtschaftskrieges, der seine Opfer indirekt trifft und dessen Täter ungestraft davonkommen.
Der Eingang des Al-Sabeen-Krankenhaus in Sana’a ist schon seit dem frühen Morgen überfüllt. Mütter, Neugeborene und Senioren warten geduldig vor dem Empfangsschalter, von dem aus sie auf die Stationen weitergeleitet werden. Jede medizinische Einrichtung im Land, die den Betrieb noch aufrechterhält, ist mittlerweile mit Fachbereichen für Unterernährung und Cholera ausgestattet.