Über ein Jahr, nachdem der IS aus Mosul vertrieben wurde, bangen die Viehzüchter im Umland um ihre Existenz: Denn neben den Kriegsfolgen dezimiert auch die Wasserkrise die Herdenbestände. Unterstützung erhält nur, wer gute Beziehungen hat.
Muhammad Jassim kann nur noch die Toten zählen. Die Herrschaft des sogenannten Islamischen Staates kostete nicht nur Tausende Menschen im Irak das Leben. Auch die Viehzucht im Norden des Landes kämpft mit dem Vermächtnis der Dschihadisten. »Etwa 60 Prozent meiner 900 Ziegen sind verhungert – die wirtschaftliche Lage ist so desaströs, dass wir uns das Futter für unser Vieh nicht mehr leisten können«, klagt Jassim. Der Landwirt lebt in Tishtah, einem Dorf knapp 50 Kilometer westlich von Mosul, dessen Herdenbestand auf die Hälfte geschrumpft ist.
Im Juni 2014 hielten die Gotteskrieger auf ihren Pick-ups nicht nur Einzug in der zweitgrößten Stadt Iraks, sondern übernahmen auch auf den Weiden und Äckern rund um Mosul die Kontrolle – und verfolgten handfeste Interessen. Der Weizenhandel sollte, wie auch andere Handelsgüter, die Kassen des IS füllen – zum Leidwesen der Landwirte. Die Dschihadisten trieben den Preis für einen Sack Weizen (jeweils 50 Kilogramm) um umgerechnet 10 Euro auf 70 Euro hoch. »Für uns bedeutete das eine Frage von Leben und Tod: Denn wir hungerten ja auch und mussten den verfügbaren Weizen mit unseren Nutztieren teilen«, erinnert sich Jassim.
Neben den überteuerten Futterpreisen setzte die Steuerpolitik der IS-Verwaltung den Viehzüchtern besonders hart zu. Unter dem Deckmantel der Zakat, einer der fünf Säulen des Islam in Form einer Abgabe für wohltätige Zwecke, konfiszierten die Dschihadisten einmal jährlich eines von vierzig Tieren – meist die kräftigsten Exemplare der Herde.
Oktober 2018: Ein Jahr nach der militärischen Niederlage des IS im Irak läuft der Wiederaufbau der Städte im Norden und Westen des Landes auf Hochtouren. Auf dem Land hingegen fühlen sich die Menschen im Stich gelassen. »Die meisten Landwirte können es sich schlicht nicht leisten, ihre Herdenbestände wieder aufzufüllen. Und einen Kredit gewährt uns auch niemand.« Viele Optionen bleiben den Landwirten nicht. Etwa die Hälfte der 60 Viehzuchtbetriebe in Tishtah mussten mittlerweile schließen. Das Durchschnittseinkommen der Familien in dem Dorf ist auf die Hälfte gesunken, auf umgerechnet 75 Euro im Monat.
Und wie reagiert der Staat? Nachfrage bei der zuständigen Behörde. Ja, Initiativen zur Unterstützung der Viehzüchter im ehemaligen IS-Gebiet gebe es, erklärt der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums gegenüber zenith. Aber ihnen fehle oft die notwendige Finanzierungsgrundlage und ohnehin stünden Gelder aus den Hilfsfonds nur beim Ministerium lizensierten Landwirten zur Verfügung, räumt Sprecher Hamid Al-Nayef ein.