Im ländlichen Afghanistan haben die Taliban über Jahre eine Verwaltung aufgebaut. Kann die Gruppe mehr als Krieg?
Immer am Mittwoch und Sonntag tagte das Gericht der Taliban. Bürokratisch, routiniert, denn schon im Februar 2019 hatten die Aufständischen die Kontrolle über Ghoryan übernommen, berichtet ein Mann aus dem Ort in der westafghanischen Provinz Herat. Im Westen sind die Taliban vor allem als bewaffnete Gruppe bekannt, die überwiegend mit Anschlägen und Sprengfallen operieren.
In Ghoryan hingegen sind sie seit geraumer Zeit für die Verwaltung zuständig, darunter auch die Rechtsprechung. Eine Realität, mit der sich zwei Jahre später die meisten Afghanen konfrontiert sehen – und sich fragen: Wie werden die Taliban regieren?
Die Geschwindigkeit, mit der die Taliban das Land erobert haben, überraschte viele Beobachter. Wie aber das Beispiel aus der Provinz Herat zeigt, hat die Gruppe bereits seit Jahren stetig an Einfluss gewonnen. In vielerlei Hinsicht profitierten sie dabei vom US-amerikanischen »Krieg gegen den Terror«, der sich auch gegen die Taliban richtete. Gewaltige Geldsummen wurden nach Afghanistan gepumpt und befeuerten dort die Korruption. Eine Entwicklung, die es den Taliban ermöglichte, sich als die vermeintlich saubere und ehrlichere Alternative zu präsentieren.
Doch es ging nicht nur um veruntreute Gelder. Dazu kamen zahlreiche zivile Opfer fehlgeleiteter US-Luftangriffe und missglückter Militäroperationen. Auch frühere Kriegsfürsten in Afghanistan, denen weitreichende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, waren 2001 Teil der neuen politischen Ordnung geworden, darunter etwa der berüchtigte General Raschid Dostum, bis 2020 Vizepräsident des Landes. Ihr erneuter Aufstieg erlaubte es den Taliban, sich als Kämpfer für ein gerechteres Afghanistan zu verkaufen.