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Twitter, Facebook und Zensur in Ägypten

Wie Twitter und Co. vor dem ägyptischen Regime einknicken

Kommentar
Twitter, Facebook und Zensur in Ägypten
Die Zeiten, in denen sich Ägypter auf Facebook und Twitter verlassen konnten, um sich frei zu äußern, sind längst vorbei. Essam Sharaf / Wikimedia Commons

In Ägypten sind Digitalkonzerne und Internetdienstleister zu Helfershelfern der Zensur geworden. Die Verantwortung wollen sie dafür nicht übernehmen.

Um seinem Ärger über das ägyptische Militär Luft zu machen, wählte Mohamed Ali Facebook. Der exilierte Immobilienunternehmer warf dem Militär vor, ihm Millionensummen aus einem Bauprojekt zu schulden. Anfang September veröffentlichte er schließlich ein 35-minütiges Video, in dem er voller Wut die Armee und Präsident Abdel-Fattah Al-Sisi der Korruption beschuldigt.

 

Mit immer weiteren Videos schuf er eine Art Seifenoper, die Millionen von Ägyptern online verfolgten. Er deckte weitere Fälle auf, es ging unter anderem um massive Ausgaben für einen neuen Präsidentenpalast just zu der Zeit, als einschneidende Sparmaßnahmen etwa ein Drittel der Bevölkerung unter die Armutsgrenze zu drücken drohen.

 

Innerhalb weniger Stunden sahen Hunderttausende Menschen das erste Video. Es löste die ersten relevanten Massenproteste gegen das Sisi-Regime aus. Allerdings geriet Alis Kampagne schon in der ersten Nacht ins Stottern. Facebook löschte das Video, nachdem ein regierungsnaher ägyptischer Fernsehsender Ali einen Verstoß gegen das Urheberrecht vorwarf – eine unbegründete Anschuldigung, wie Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch anmerkten. Später war das Video wieder zu sehen, Facebook bezeichnete die Löschung als »Fehler«. Allerdings erklärte das Unternehmen nie, ob ein Algorithmus dafür verantwortlich war.

 

Auch der Account der ägyptischen Schriftstellerin Ahdaf Soueif wurde vorübergehend stillgelegt

 

In der Zwischenzeit verhafteten Sicherheitskräfte in Ägypten mehr als 4.300 Menschen – die größte Verhaftungswelle seit Sisis Machtübernahme. Auch der Twitter-Zentrale für den Nahen Osten mit Sitz in Dubai wurde vorgeworfen, der Repression Vorschub geleistet zu haben. Hunderte Accounts von ägyptischen Regierungskritikern wurden eingefroren.

 

Der Journalist Wael Eskandar meint, das Vorgehen widerspreche ganz klar den Richtlinien von Twitter. Im Gespräch mit zenith sagt er, dass Accounts gesperrt wurden, die ägyptische Offizielle beschimpften. Jegliche Anfechtungen dieses Vorgehens wurden von Twitter zurückgewiesen, als Begründung für das Einfrieren der Accounts gab das Unternehmen an, »Hassinhalte« herauszufiltern. Seither, so Eskandar, übten sich die Nutzer in Selbstzensur. Twitter habe die Welle der Sperrungen zudem als Folge von Routine-Überprüfungen erklärt, die eigentlich Bots aussortieren sollen. Gleichwohl wurden auch etwa das Benutzerkonto der ägyptischen Schriftstellerin Ahdaf Soueif und mehrerer prominenter Journalisten vorübergehend stillgelegt, ohne dass die Betroffenen dafür eine Erklärung erhielten.

 

Inwieweit die großen sozialen Netzwerke systematisch Zensur ausgeübt haben, bleibt bis auf Weiteres umstritten. Klar ist jedoch, dass Ägyptens Regierung digitale Infrastruktur zur Repression der Bevölkerung nutzt. Genauer gesagt, zur Einschränkung der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit. Die digitale Infrastruktur ist so etwas wie die Wirbelsäule des Internets – sie umfasst weit mehr als die sozialen Netzwerke. Dazu gehören die Internetanbieter, die Domain-Verwaltung und das Webhosting.

 

Das Monopol von Telecom Egypt schränkt die Autonomie der Provider strukturell ein

 

»Man kann sagen, dass jeder Zugang zum Internet in Ägypten über ein Kabel läuft«, bemängelt Hossam Fazulla vom »Verband für Gedanken- und Meinungsfreiheit« (AFTE) im Gespräch mit zenith die zentralisierte Netz-Infrastruktur. Die staatliche Telecom Egypt kontrolliert den Markt und vergibt Lizenzen an Provider wie Vodafone und Etisalat. Das schränkt die Autonomie der Internetanbieter grundlegend ein, dazu kommen juristische Risiken.

 

2018 wurde ein Gesetz gegen Cyber-Kriminalität erlassen, das hohe Strafen vorsieht, wenn Provider Webseiten nicht blockieren, wie von den Behörden angeordnet. Wer den Anweisungen des Obersten Rates für Medienregulation (SCMR) nicht Folge leistet, muss mit einer Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr rechnen, sowie mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu einer Million ägyptischer Pfund. Umgerechnet rund 56.000 Euro.

 

Besonders aufwändig ist die Internetzensur für die Behörden deshalb nicht. Kein Wunder, dass sie massiv davon Gebrauch machen. Vor dem Verfassungsreferendum 2019, das Sisi ermöglicht hat, mehr als zwei Amtszeiten lang zu regieren, wurden 34.000 Seiten geblockt. Im September wurde außerdem der Zugang zu Twitter, Facebook Messenger, Skype und zu zahlreichen Nachrichtenseiten, darunter dem Webauftritt der BBC, eingeschränkt, um das Potenzial für Proteste im Keim zu ersticken.

 

In der Praxis bleibt das Blockieren von Inhalten im Netz ein äußerst undurchsichtiger Prozess

 

In der Praxis, sagt Fazulla, bleibe das Blockieren aber ein äußerst undurchsichtiger Prozess: »Niemand weiß, wie das genau vonstatten geht.« Als AFTE einen Prozess gegen die Sperrung der Website der Zeitung Mada Masr anstrengte, erklärte sich der SCMR für nicht zuständig. Es gab weder eine Erklärung noch eine Rechtfertigung für die Sperre dieser und anderer Internetseiten.

 

Die Bereitschaft der Digitalkonzerne und Internetdienstleister, staatlichen Anweisungen Folge zu leisten, ohne dass die Zuständigkeit und Rechtmäßigkeit dieser Sperr- und Löschanfragen überprüfbar sind, wirft eine Reihe von Fragen auf: Wer ist dafür verantwortlich, den Zugang zu Information und das Recht auf Meinungsfreiheit zu schützen? Und was passiert, wenn die ägyptischen Behörden ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen?

 

Im vergangenen Jahr warf der US-amerikanische Verfassungsrechtler Jack Balkin von der Universität Yale in einem viel beachteten Essay zur freien Rede im Zeitalter der Algorithmen einen Blick auf das frühe 20. Jahrhundert. Damals änderten viele Zeitungen ihre Ausrichtung. Sie sahen sich nicht mehr als Diener politischer Parteien, sie übernahmen gesellschaftliche Verantwortung. Wäre es nicht an der Zeit, dass auch Digitalkonzerne und Internetdienstleister anfangen, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen?

Von: 
Yahia Dabbous

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