Wie die dpa den Oscar-Sieg von »No Other Land« für die deutschen Medien einordnet – und warum das problematisch ist.
»Israel sieht Sieg von ›No Other Land‹ als ›traurigen Moment‹« – so lautet der Titel einer dpa-Meldung, die am Morgen nach der Oscar-Verleihung erschien, bei der »No Other Land« in der Kategorie »Bester Dokumentarfilm« ausgezeichnet wurde. In dem rund 1.100 Zeichen langen Text dominiert die Stimme des israelischen Kulturministers Miki Zohar, dessen Vorwürfe von »Diffamierung« und »Sabotage« fast drei Viertel des Berichts ausmachen. Informationen zum Film selbst sowie eine Kontextualisierung beschränken sich auf lediglich drei Sätze:
»In dem Film geht es um die Räumung palästinensischer Dörfer im Westjordanland. Die rechtsreligiöse israelische Regierung, der Zohar angehört, gilt als siedlerfreundlich. Die Regisseure Basel Adra und Yuval Abraham nutzten die Bühne in Los Angeles, um auf die Situation in ihrer Region hinzuweisen.«
Die Verantwortlichkeit für die Räumung der Dörfer bleibt unerwähnt, und Begriffe wie »Besatzung« – das zentrale Thema des Films – werden vermieden. Auch die Bezeichnung »siedlerfreundlich« lässt außer Acht, dass rechtsextreme Siedler wie Bezalel Smotrich und Orit Strook längst Teil der israelischen Regierung sind. Die Reden von Basel Adra und Yuval Abraham werden als »Hinweis auf die Situation in ihrer Region« zusammengefasst – eine äußerst vage Beschreibung, die keinerlei Aufschluss über deren eigentliche Botschaft gibt.
Der Inhalt der Meldung wiegt besonders schwer, weil es sich keineswegs um eine Randnotiz handelt
Besonders bedenklich ist, dass Miki Zohar im Text ausgiebig zu Wort kommt, seine politischen Positionen jedoch gänzlich verschwiegen werden. Der Likud-Abgeordnete befürwortete 2017 die Annexion des Westjordanlands und erklärte 2018 in einem Radiointerview, die »jüdische Rasse« sei die intelligenteste der Welt und verfüge über das »höchste Humankapital«. Als Kulturminister geht Zohar in Israel gegen Filme vor, die er als staatsfeindlich einstuft: So drohte er vergangenen Herbst, Kultureinrichtungen mit dem Entzug finanzieller Mittel, falls sie die Nakba-Dokumentation »1948: Remember, Remember Not« zeigten, und setzte ein Aufführungsverbot für den Film »Lyd« in Jaffa durch. Im Februar unterzeichnete Zohar außerdem ein Reformpaket, das unter anderem lokale Filmfonds stärkt. Kritiker in Israel sehen darin den Versuch, zusätzliche finanzielle Mittel für Einrichtungen wie den einflussreichen »Shomron Cinema Fund« bereitzustellen, der jüdisch-israelische Filmemacher unterstützt, die als Siedler im Westjordanland leben.
Angesichts der fehlenden Einordnung ist die Pressemeldung in dieser Form problematisch – gerade, weil auf eine in Deutschland hoch umstrittene Debatte Bezug genommen wird. Politiker wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und Kulturstaatsministerin Claudia Roth ebenso wie viele deutsche Medien verurteilten »No Other Land« bei der letztjährigen Berlinale und weigerten sich ebenso, die Botschaft der beiden Filmemacher Basel Adra und Yuval Abraham auch in Deutschland ernsthaft zu diskutieren. Eben dieser Art eines spezifisch deutschen Diskurs, der im Ausland stetig für Irritationen sorgt und auch hierzulande zunehmend in die Kritik gerät, leistet die Meldung Vorschub.
Der Inhalt der Meldung wiegt besonders schwer, weil es sich keineswegs um eine Randnotiz handelt, sondern eben jener Text von mehreren großen Medien in Deutschland unverändert übernommen wurde. Punktgenau um 9:12 Uhr tauchte die dpa-Meldung am 3. März zeitgleich auf den Onlineportalen der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie bei der Zeit, dem Stern und bei zahlreichen weiteren Publikationen auf. Im Falle von SZ und Zeit weist immerhin ein Disclaimer darauf hin, dass die Meldung »von der dpa stamme und von der Redaktion nicht bearbeitet wurde«.
Der Titel suggeriert, dass Israel als Ganzes »traurig« über den Erfolg des Filmes sei – Kulturminister Miki Zohar wird also mit Israel gleichgesetzt
Tatsächlich existiert noch eine zweite dpa-Meldung, welche wiederum die Regisseure Basel Adra und Yuval Abraham zitiert. Datiert ist sie ebenfalls auf den 3. März, wurde von FAZ, SZ und Zeit übernommen, war aber zumindest in den ersten Tagen nach Veröffentlichung online weniger sichtbar als ihr entsprechendes Gegenstück. Bei näherer Betrachtung fällt die dadurch scheinbar entstandene Ausgewogenheit jedoch sofort in sich zusammen.
Die zweite Meldung berichtet neutral über den Filmerfolg, wohingegen der ersten Meldung eine negative Interpretation vorangestellt ist, ohne dass einer Gegenperspektive Raum gegeben wird. Der Titel suggeriert, dass Israel als Ganzes »traurig« über den Erfolg des Filmes sei – Kulturminister Miki Zohar wird also mit Israel gleichgesetzt. Während Zohar für die israelische Gesellschaft als Ganzes spricht, sprechen die Regisseure nur für sich und ihren Film. Insofern lässt die dpa zwei unterschiedliche Meinungen letztlich nicht gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Dahinter steckt allerdings auch ein anderes Problem: Stellenabbau und Unterfinanzierung sowie der konstante Informationsdruck veranlassen viele Medienhäuser, immer mehr auf Agenturmeldungen zurückzugreifen, die ohne weitere Überprüfung automatisch veröffentlicht werden. Wenn sich Fehler in eine Meldung einschleichen, werden sie weiterverbreitet, bevor eine Korrektur erfolgt. Nachrichtenagenturen sind außerdem stark auf offizielle Quellen wie Regierungen, Behörden oder Unternehmen angewiesen.
Deren Narrative werden entsprechend oft ungefiltert reproduziert, während alternative Perspektiven oder kritische Stimmen unterrepräsentiert bleiben. Das Resultat ist eine oftmals einseitige, oberflächliche Berichterstattung, die sich über verschiedene Plattformen hinweg stark ähnelt und im schlimmsten Fall zu großflächiger Desinformation führt. Im Fall von »No Other Land« und den Oscars ist es somit möglich, dass eine kontextarme und deswegen problematisch gefärbte Agenturmeldung die deutsche Presselandschaft bestimmt.