Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Persern und Iranern? Im Land selbst ist diese Frage gar nicht so banal.
Viele Versprechungen hatte Hassan Ruhani im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2013 den iranischen Türken, Kurden, Arabern und anderen nicht-persischen Ethnien sowie religiösen Minderheiten im Land gemacht: Sie sollten, so der als moderat bezeichnete Kandidat, in alle politischen und administrativen Ebenen der Regierung, einschließlich des Kabinetts, einbezogen werden.
Auch sicherte Ruhani im Fall seines Wahlsiegs die Erlaubnis zu, dass in Iran beheimatete Sprachen wie Türkisch, Kurdisch, Arabisch oder Belutschisch neben dem Persischen, der offiziellen Amtssprache, unterrichtet werden dürften. Darüber hinaus versprach er, nach seiner Wahl in Täbris eine Akademie für Sprache und Literatur der Türken zu gründen.
Die nicht-persischen Ethnien und religiösen Gruppen nahmen Ruhani beim Wort und votierten 2013 in großer Mehrheit für den Kandidaten der sogenannten Reformer. Doch der Sieger lieferte nicht oder nur teilweise. Statt, wie versprochen, eine Akademie für Sprache und Literatur der Türken ins Leben zu rufen, wurde im Mai 2016 eine Stiftung für Kultur, Kunst und Literatur Aserbaidschans gegründet, die deutlich hinter den Erwartungen seiner türkischen Wähler zurückblieb.
Im Vorfeld des Wahlgangs im Mai 2017 bereiste Amtsinhaber Ruhani wie sein Herausforderer, der konservative Ebrahim Raisi, gezielt die Regionen, in denen Nichtperser leben. Doch dieses Mal hielten sich die Kandidaten mit Versprechungen zurück. Dennoch votierten auch die nicht-persischen Ethnien und religiösen Minderheiten mehrheitlich für Ruhani und ermöglichten ihm so eine zweite Amtsperiode. Damit goutierten sie in erster Linie seine Politik, die auf mehr Freiheiten in Iran selbst und auf eine primär wirtschaftliche Öffnung gegenüber den USA und Europa abzielt.
Während religiöse Minderheiten wie Christen, Juden und Zoroastrier jeweils mindestens einen Abgeordneten im Madjles, dem iranischen Parlament, stellen, sind die Rechte der nicht-persischen Ethnien schon seit Jahrzehnten ein brisantes Thema, das aufgrund des Drucks höchster Stellen in der iranischen Regierung, der Islamisten und der mit ihnen kooperierenden persischen Nationalisten, nicht angetastet wird. Darum herrscht große Unzufriedenheit bei den von persischer Seite gern diminutiv als »Minderheiten« bezeichneten Ethnien. Dabei sind einige der in Iran lebenden Völker zahlenmäßig gar nicht so klein.
Irans Verfassung stellt den »Gebrauch der einheimischen Sprache und Dialekte in der Presse und anderen Medien« sowie den »Unterricht der entsprechenden Literatur an den Schulen« frei
So hat der frühere iranische Außenminister Ali Akbar Salehi bei einem Türkei-Besuch 2012 gesagt, dass 40 Prozent der iranischen Bevölkerung Türkisch sprechen würden. Die Ungeduld der nicht-persischen Ethnien wird zudem nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die Verfassung der Islamischen Republik in Kapitel 2, Artikel 15, den »Gebrauch der einheimischen Sprachen und Dialekte in der Presse und anderen Medien« sowie den »Unterricht der entsprechenden Literatur in den Schulen« neben der persischen Sprache freistellt.
Darum fordern die nicht-persischen Ethnien immer wieder ihr gesetzlich garantiertes Recht ein, ihre Sprachen und Kulturen pflegen zu können. So verteilten beispielsweise Lehrer in Urmia, der Hauptstadt der Provinz West-Aserbaidschan, anlässlich des Internationalen Tags der Muttersprache am 21. Februar 2017 in Schulen und Kindergärten Lehrbücher in ihrer Muttersprache Türkisch. Tausende Bürger derselben Stadt forderten darüber hinaus bei einem Volleyballspiel im heimischen Stadion, dass in Schulen in Türkisch unterrichtet werden solle.
Die Unterdrückung und Diskriminierung der nicht-persischen Ethnien in Iran hat ihren Ursprung in der Herrschaftszeit der Pahlavi-Dynastie. Damals wurde die Tatsache, dass Iran ein Vielvölkerstaat ist, zum Tabu gemacht. Nachdem die Abschaffung der Monarchie und die Installierung einer Republik von der schiitischen Geistlichkeit abgelehnt worden war, bestieg der wenig gebildete Offizier Reza Khan, der zu diesem Zeitpunkt Premierminister war, im Oktober 1925 mit massiver Einflussnahme der Briten den Pfauenthron. Reza Khan gab sich, nach der gleichnamigen mittelpersischen Sprache, den Nachnamen Pahlavi.
Unter Reza Pahlavi wurde befohlen, den Menschen in Iran zu lehren, dass die Perser arischen Ursprungs wären und eine höherwertige Kultur besäßen als die anderen Ethnien im Land. Es sollen tatsächlich Stämme, die sich selbst als Arier bezeichneten, mehrere Jahrtausende vor Christus aus der Region nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres nach Nordindien und Iran migriert sein. Die »Aufwertung« als Bezeichnung für eine Herrenrasse erhielt der Begriff Arier allerdings erst im 19. Jahrhundert durch europäische Rassentheorien.
Die Pahlavis wollten aus dem multiethnischen Iran einen persischen Nationalstaat kreieren
Reza Schah und sein Sohn und späterer Nachfolger Mohammed Reza Pahlavi machten sich dieses Wissen zunutze. Ziel ihrer rassistischen Politik war, aus dem Vielvölkerstaat einen zentralistischen, sprachlich und kulturell rein persisch geprägten Nationalstaat zu schaffen, dem das antike, zoroastrische Perserreich als Vorbild diente. Diese Art Konstruktion eines Nationalstaats war typisch für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Pahlavis, bestärkt durch ihre britischen Schutzherren, wollten mit ihrer Arier-Ideologie dem Nachbarland Türkei nicht nachstehen, das nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs unter Mustafa Kemal, dem späteren Atatürk, eine neue Identität mithilfe von Nationalismus und Laizismus suchte.
Die Ideologisierung und Radikalisierung in dieser Epoche und in dieser Region hatte mehrere Gründe. Im Fall Irans wollten die Briten mit der Installierung von Reza Khan als Schah und seinem Arier-Kult unter anderem ein Bollwerk gegen die 1922 gegründete Sowjetunion schaffen, die wie das Zarenreich an den Persischen Golf und so an die Ölvorkommen Irans drängte. Reza Schah nutzte die Arier-Ideologie seinerseits auch, um die Absetzung seines Vorgängers Ahmad Schah aus der Dynastie der türkstämmigen Kadscharen zu legitimieren, diesen Nomadenstamm, überhaupt alle Türken in Iran zu verunglimpfen und die Erinnerung an alles Türkische – etwa durch Städteumbenennungen – Schritt für Schritt auszulöschen.
Unter den Pahlavis wurde es Usus, alle vorherigen negativen Ereignisse und Entwicklungen in Iran zu Recht oder zu Unrecht den Kadscharen zur Last zu legen – auch und gerade weil sie türkischer Herkunft waren und damit von persischen Nationalisten als minderwertig angesehen wurden.
Zu diesen negativen Ereignissen und Entwicklungen zählen vor allem: 1. Die Niederlagen in Kriegen und Gebietsverluste Irans seit der Machtübernahme der Kadscharen Ende des 18. Jahrhunderts; 2. die Infiltrierung der iranischen Zentralregierung und der Provinzgouvernements durch feindliche Spione; 3. die Aufteilung und Besetzung des nördlichen und südlichen Teils des Landes durch Russen und Briten im Jahr 1907 sowie 4. das große Elend, der Hunger und das Massensterben unter der einheimischen Bevölkerung im Ersten Weltkrieg und in der Folgezeit aufgrund der Missachtung der iranischen Neutralität und der Besetzung des Landes durch kriegführende ausländische Armeen.
Reza Schah und sein Regime unterdrückten und entrechteten die nicht-persischen Ethnien im Land und verboten ihnen, ihre Sprachen und Kulturen zu pflegen. Gleichzeitig nutzten die Pahlavis die Geschichtsschreibung, um die persische Kultur hochleben zu lassen, die ihrer Meinung nach deshalb höherwertig war, weil sie sich angeblich durch die Jahrtausende gegen äußere Feinde – Araber, Mongolen und Turkvölker – behauptet hatte. Dass es die in Iran herrschenden türkischen Dynastien waren, die seit dem Mittelalter an Persisch als Amts- und Literatursprache festgehalten und diese so bis ins 20. Jahrhundert hinübergerettet hatten, wurde der Bevölkerung dagegen verschwiegen – was bis heute auf fatale Weise nachwirkt.
Die Bezeichnung »Iran« war bereits seit Langem im Gebrauch aller Ethnien für das Land, allerdings ohne den rassistischen Beigeschmack, den sie erst durch die Pahlavis erhielt
Fatal wirkte sich auch die Kooperation der Pahlavi-Regierung mit Hitler-Deutschland aus. Es war im Geist und Glauben an die gleiche höherwertige Herkunft, dass Reza Schah 1934/35 anordnete, das im Westen bisher als »Persien« bezeichnete Land offiziell in Iran – »Land der Arier« – umzubenennen. Die Bezeichnung »Iran« war bereits seit Langem im Gebrauch aller Ethnien für das Land – allerdings ohne den rassistischen, die nicht-persischen Ethnien ausschließenden Beigeschmack, den sie erst durch die Pahlavis erhielt.
Reza Schah erlaubte auch, dass NS-Propaganda in Form kostenloser Zeitschriften und Filme in Massen nach Iran eingeführt wurde. 1936 empfing der Schah Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht. Ein Jahr später reiste auch Reichsjugendführer Baldur von Schirach ins Land. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der rassistische Spuk kein Ende. Anfang der 1950er Jahre entstand die nationalsozialistische Partei SUMKA.
Andere persische Nationalisten gründeten in den 1940er Jahren eine paniranistische Partei und zielten auf die Schaffung eines einzig persisch geprägten Groß-Iran. Mohammed Reza Pahlavi setzte wie sein Vater auf diese Ideologie, um die Herrschaft seiner Familie zu legitimieren und sie in eine Tradition mit dem antiken Persien zu stellen. So ließ er 1971 in Persepolis eine 2.500-Jahr-Feier auf die Beine stellen, die an das Todesjahr von Kyros II. erinnern sollte, der das antike Perserreich gegründet hatte.
Die Revolution 1979, die zur Gründung der Islamischen Republik führte, hat der Politik der Diskriminierung der nicht-persischen Ethnien keinen Abbruch getan. Zwar sehen persische Nationalisten in der Herrschaft der schiitischen Geistlichen, die dem Arierkult sowie der Verwestlichungs- und Modernisierungspolitik der Pahlavis eine strikte Re-Islamisierung entgegensetzten, eine »zweite Invasion der Araber«, die Iran besetzt hielten und darum bekämpft werden müssten. Große Einigkeit zwischen Islamisten und persische Nationalisten herrscht aber in der Aufrechterhaltung der von den Pahlavis geschaffenen Strukturen, die die nicht-persischen Ethnien bis heute daran hindern, ihre Sprachen und Kulturen zu pflegen.
Soll Iran auch künftig als ein Staat in einer von Krieg und Terror heimgesuchten Region bestehen bleiben, sollten diskriminierende Strukturen beseitigt werden
Ein gängiges Totschlagargument persischer Nationalisten dafür ist die Behauptung, dass Separatisten die Pflege ihrer Sprachen und Kulturen instrumentalisierten, um die von nicht-persischen Ethnien bewohnten Regionen von Iran abzutrennen und eigenständige Staaten zu gründen. Fakt ist aber: Soll Iran auch in Zukunft als ein Staat in einer von Krieg, Terror und zerfallenen Staaten heimgesuchten Region bestehen bleiben, sollten diskriminierende Strukturen beseitigt werden, wie es unter anderem türkische, kurdische, arabische Aktivisten und Gruppierungen iranischer Herkunft fordern.
Die wichtigsten Punkte lauten: 1. Die nicht-persischen Ethnien sollen ihre Sprachen und Kulturen pflegen dürfen; 2. ihre Regionen sollen deutlich mehr politische Autonomie von der Hauptstadt erlangen und 3. Staatseinnahmen sollen gerechter in alle Regionen (zurück-)fließen und dort reinvestiert werden.
Das heißt konkret: Im Bildungsbereich, also in der Kita, der Schule und der Universität, sollen die nicht-persischen Sprachen dem Persischen auch realiter rechtlich gleichgestellt und im Unterricht künftig genauso gesprochen und gelehrt werden wie die offizielle Amtssprache. Auf politischer Ebene sollen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit erhalten, die Vertreter ihrer Kommunen und Regionen selbst zu bestimmen, ohne dass Teheran, wie bisher, Einfluss darauf nimmt.
Schließlich soll darauf geachtet werden, dass ein dem deutschen Bund-Länder-Finanzausgleich ähnlicher Pakt dafür sorgt, dass alle Regionen des Iran gleiche Entwicklungsmöglichkeiten haben – das heißt, dass die von den nicht-persischen Ethnien bewohnten Gebiete nicht nicht vernachlässigt oder gar heruntergewirtschaftet werden.
Iran ist wegen seiner geostrategischen Lage zwischen Kleinasien und Nordafrika, dem Kaukasus und Zentralasien, Indien und dem nach dem Subkontinent benannten Ozean schon immer ein Durchzugsgebiet und Schmelztiegel vieler unterschiedlicher Ethnien und Religionen gewesen. Diese Vielfalt und dieser Reichtum macht die Geschichte und Identität Irans aus. Daher: Statt eines strikten Zentralismus und einer brutalen Assimilierungspolitik der Islamisten und persischen Nationalisten gegenüber den nicht-persischen Ethnien ist eine gleichberechtigte, friedliche Partizipation aller Völker Irans an der Macht im Land dringend geboten – wodurch separatistische Bestrebungen übrigens auch ihren Reiz verlieren würden.
Dr. Behrang Samsami, geboren 1981 in Urmia (Iran), ist freier Journalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag.