Irans jüngste Protestwelle brach im Sommer 2021 in Khuzistan aus. Das ist kein Zufall. Denn in der Provinz entscheidet sich die Zukunft der Islamischen Republik.
Bauer Abbas Bohranipour hält ein Dutzend Datteln in seinen Händen. Es sind die Überreste der diesjährigen Ernte. Die Dattelbäume waren zuvor schon ausgetrocknet, nun sind sie niedergebrannt. Abbas ist einer von vielen Bauern im Südwesten Irans, dessen Lebensgrundlage in Gefahr ist – und dessen Situation die Fotografin Solmaz Daryani im Herbst 2021 dokumentiert hat.
In Khuzistan sorgte die Wasserknappheit im Juli vergangenen Jahres für Protest. In etwa 700 Dörfern der Provinz versiegten die Wasserquellen damals komplett. Die Menschen gingen auf die Straße, vor allem in der Nacht, wenn es kühler ist und die Bauern sich vor den iranischen Sicherheitskräften in Sicherheit wähnen. Die Proteste blieben nicht auf die Provinz am Persischen Golf beschränkt. Solidaritätskundgebungen kamen bald auch aus der Hauptstadt Teheran sowie den Provinzen Lorestan, Ost-Aserbaidschan und Iranisch-Kurdistan.
Proteste sind keine Seltenheit mehr. Bereits Ende 2019 und Anfang 2020 entlud sich die Wut der iranischen Bürgerinnen und Bürger. Während des so genannten Blutnovembers gingen Menschen in allen Provinzen auf die Straßen – aus unterschiedlichen Motiven. Anlass waren damals unter anderem die steigenden Verbraucherpreise. Irans Sicherheitsbehörden schlugen die Proteste brutal nieder – Beobachter schätzen, dass damals hunderte Iranerinnern und Iraner getötet wurden.
Die Situation in Khuzistan ist allerdings besonders. Dort leben anderthalb Millionen Araber, die rund ein Drittel der dortigen Bevölkerung ausmachen. Sie beklagen nicht nur zunehmenden Wassermangel, sondern auch die politisch gewollte Marginalisierung ihrer Heimatprovinz. Die Slogans auf Arabisch wichen schnell Protestrufen auf Persisch – die Demonstranten wollen vermeiden, von der Regierung als arabische Separatisten gebrandmarkt zu werden.
Denn die Anhänger eines von Teheran unabhängigen »Arabistan« kämpfen seit einhundert Jahren für dieses politische Ziel – auch mit Gewalt. Entsprechend groß ist die Sorge der iranischen Regierung, die Rivalen am Golf könnten die Wasserproteste als Gelegenheit zur Destabilisierung nutzen – und so versucht Teheran, die Proteste als vom Ausland gesteuerte Provokation zu diskreditieren.
Verhaftungen, Tränengas, Schießbefehl: Die Sicherheitskräfte gehen mit voller Härte gegen die Bauern vor, die um ihre Lebensgrundlage fürchten. Weil Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen abgeschaltet wurden, bleibt das genaue Vorgehen der Regierung ebenso wie die Zahl der Todesopfer unbekannt. Die Proteste kühlen erst im Herbst mit sinkenden Temperaturen ab.
Teheran hat sich also Zeit erkauft und muss sich nun gut überlegen, wie es in Khuzistan weitergeht. In der Gegend liegen mehr als die Hälfte der iranischen Erdölvorkommen, auch deswegen war die Provinz Schauplatz im Ersten Golfkrieg in den Achtzigern. Heute hinkt die Provinz trotz des Ölreichtum in seiner Entwicklung dem Rest Irans hinterher, etwa bei Bildung und Gesundheitsversorgung.
Doch es ist vor allem das schlechte Wassermanagement, das die Bürgerinnen und Bürger wütend macht. Die Regierung hat in ganz Khuzistan Dämme aus dem Boden gestampft – doch die Baupolitik ist geprägt von Fehlplanungen und Misswirtschaft. Manche Stauseen sind leer, weil die Regierung Wasser in andere Provinzen ableitet, um dort Felder zu bewässern. Und während Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, erzeugen die Stauseen keinen Strom.
Einer der für die Stromgewinnung aufgestaute Flüsse ist der Karun, der einzige schiffbare Wasserweg Irans. Seit Jahren sinkt sein Pegel, weil Wasser für die Landwirtschaft abgeleitet wird. Andere Seen und Flüsse sind bereits ausgetrocknet. Wenn in Flüssen noch Wasser fließt, ist es oft aufgrund der Erdölförderung verschmutzt. Viele Menschen sind für die Trinkwasserversorgung mittlerweile auf Lieferungen aus anderen Landesteilen angewiesen.
Abadan: Abbas Bohranipour steht vor den Überresten seines 30 Jahre alten Hains auf der Insel Minu. Wenige Tage zuvor hatten die Palmen nach Monaten extremer Hitze Feuer gefangen. »Dabei liegt mein Hain ganz in der Nähe des Flusses Arvand (persischer Name für den Tigris, Anm. d. Rd.)«, sagt er. »Im vergangenen Jahr sollte die Firma Jihad Nasr einen Kanal anlegen, aber der ist nie fertiggestellt worden.« Das Bauunternehmen gehört zum Firmennetzwerk der iranischen Revolutionsgarde.
Das UNESCO-Welterbe von Shushtar beherbergt ein komplexes Bewässerungssystem. Die antiken Strukturen wurden unter den Achämeniden bis zu den Sassaniden angelegt. Der Karun erreicht Shushtar, nachdem er das Zagros-Gebirge überquert hat. Die Anlage besteht aus Dämmen, Kanälen und hydraulischen Systemen für Wasserversorgung, Mühlenbetrieb, Bewässerung und Fischzucht. Seit einigen Jahren zersetzen Salzablagerungen die historische Bausubstanz. Experten machen dafür den Gotvand-Damm verantwortlich, der noch unter dem Schah nach Vorbild des US-amerikanischen Hoover-Damms angelegt wurde.
Ramhormoz: Tashkuh, die »brennenden Berge«, liegen etwa 50 Kilometer östlich von Ahvaz. Der Hauptgrund für dieses natürliche Phänomen ist das Entweichen von Erdgas durch Risse im Boden.
Izeh: Ein Landwirt sprüht auf seinem Reisfeld Pestizide. Reis gehört zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln Irans und den traditionellen Kulturpflanzen in Khusistan. Reis verbraucht dreimal so viel Wasser wie der Anbau anderer Feldfrüchte. Hier im Norden der Region, näher an den Bergen gelegen, wurden in den vergangenen Jahrzehnten Tausende Hektar Reisfelder angelegt – auf Kosten des Wasserflusses stromabwärts. Weil der Reisanbau außerdem vergleichsweise lukrativ ist, sind alternative, weniger wasserintensive Kulturen für die Landwirte unattraktiv.