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Zum Tod des zenith-Mitgründers Veit Raßhofer

Ohne ihn hätte es zenith nicht gegeben

Nachruf
Veit Raßhofer
Foto: Le Sprenger

Mit nur 54 Jahren ist Veit Raßhofer, Mitgründer und langjähriger Mitherausgeber unseres Magazins, gestorben. Ein Abschied

Vermutlich spricht es Bände, dass uns die Nachricht von Veit Raßhofers Tod mit Verspätung erreicht hat. »Ich wollte mich eigentlich längst mal wieder bei ihm gemeldet haben« – so haben viele bei zenith reagiert, als sie davon erfahren haben. Wir alle wollten das, wir alle haben es zu selten getan in den letzten Jahren. Und jetzt sehen wir ihn alle wieder vor uns. Der rote Pulli, die selbstgedrehte Zigarette hinterm Ohr oder im Mundwinkel, das schelmische Grinsen, das laute Lachen. Sein langgezogenes »Jaaa«, dem häufig ein substanzieller Widerspruch folgte, ist uns allen im Ohr. Ebenso sein bayrischer Zungenschlag, das rollende »R«, das in Hamburg schon fast exotisch klag. Veit Raßhofer war im oberbayrischen, zwischen München und Bad Tölz gelegenen Thankirchen aufgewachsen, wo die Familie ein renommiertes Ingenieursbüro im Bauwesen betrieb. 

 

Ohne Veit hätte es zenith nie gegeben. Er war Gründer, er war Herausgeber und – das sagt viel mehr als irgendwelche Titel – er war hartnäckig. Einige lernten ihn als Tutor kennen, der Anfängern geduldig die arabische Grammatik näherbrachte. Die Gründung von »zenith – Zeitschrift für den Orient« ging auf seine Initiative zurück, als er im Sommer 1999 am Seminar für Kultur und Geschichte des Vorderen Orients (Islamwissenschaft) einen Aushang anbrachte, um eine Institutszeitschrift zu gründen. Er fand Gleichgesinnte und ließ sich schnell von deren Ehrgeiz anstiften, die Sache größer zu denken. Ein echtes Magazin, wie es noch keines gab in Deutschland, das journalistisches Handwerk mit Fachwissen über die arabisch-muslimische Welt und ihre Nachbarschaft verband.

 

Als Ältester der Gründerriege übernahm er auch das Amt des Vorstandsvorsitzenden des Vereins forum zenith e.V., der bald gegründet wurde, um die Herausgabe des Magazins auf institutionelle Füße zu stellen. Als das Projekt einige Jahre später in eine finanzielle Schieflage geraten war, hatten sich viele von uns schon schweren Herzens damit abgefunden, die gedruckte zenith-Ausgabe einzustellen. Seinem bayrischen, manchmal auch anarchistischen Kämpferherz ist zu verdanken, dass das nicht geschah. »Wenn es hart auf hart kommt, übernehme ich die Haftung«, sagte er damals in einer denkwürdigen Sitzung im Hinterzimmer eines Weinladens auf St. Pauli, das der Redaktion als Hauptquartier diente. Es gelang, zenith wieder flott zu machen, aber die bloße Ansage von Veit gab die Sicherheit, auf der man wieder mit Mut agieren und Ausgaben tätigen konnte. 2008 wurde er auch Mitgründer des Deutschen Levante Verlags, der zenith fortan produzierte.

 

Wenn Not am Mann war, offenbarte sich Veit als Autodidakt mit beeindruckenden technischen Fähigkeiten: Als in einer nächtlichen Sitzung die zenith-Druckdaten übertragen werden mussten, aber der nötige Datenträger fehlte, baute er Festplatten ein und wieder aus. Wer kurz vor Abgabe verzweifelt vor den losen Blättern seiner Magisterarbeit stand, fand in Veit sogar einen geschickten Buchbinder. Aus der Wohnung in Hamburg-Bahrenfeld betrieb er zwischenzeitlich auch einen kleinen Nahost-Pressedienst mit Übersetzungen aus dem Arabischen.

 

Einen liebenswerten Dickkopf hat ihn einer von uns genannt. Gerade in den ersten Jahren nach der Gründung von zenith haben wir alle viel miteinander und mit Veit gerungen: über die Ausrichtung der Zeitschrift – eher wissenschaftlich oder doch lieber populär? –, über politische Fragen, über Überschriften oder Formulierungen in einzelnen Artikeln. »Ich bin jetzt noch und nöcher in mich gegangen und habe mich gefragt: Kann ich mich mit der Unterzeile nicht doch noch anfreunden?«, schrieb er in einer seiner vielen mit Argumenten gespickten E-Mails. Veit war für Kompromisse zu haben, aber er hat sie nicht leicht gemacht. Er stand fest in seiner Haltung. Die war immer auf Seiten der Schwachen, dafür spricht auch sein Engagement im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein.

 

So richtig beschwingt konnte Veit über Musik sprechen und schreiben, da begannen seine Augen zu leuchten. Er widmete sich kenntnisreich und voller Begeisterung der Kombination von Oud und Bassgeige bei Marcel Khalife, israelischem und äthiopischem Jazz und indonesischem Pop. Vor zwei Jahren entdeckte er die Vielfalt der japanischen Metal-Musik für sich; seine Begeisterung war so groß, dass er deshalb begann, Japanisch zu lernen – in seinem eigenen Tempo und mit seiner Gründlichkeit. Veit war ebenso wissend wie wissbegierig. Das Studium der Islamwissenschaft, Geschichte und Romanistik nahm er sehr ernst – so sehr, dass manche Frist für die Abgabe von Hausarbeiten verstrich, weil er sich noch tiefer in die Themen einarbeitete, weil er immer weiter nach Quellen suchte. Veit war mitunter auch das, was man als Bummelstudent bezeichnete: einer, der das Studium nicht als Karrierechance, sondern als humanistische Beschäftigung ansah.

 

Ihm reichte es nicht, nur Arabisch zu lernen, es sollte auch noch Amharisch sein. Und das in einer Zeit vor dem Internet, als am Kiosk höchstens Ausgaben der Zeitung internationalen »Al-Hayat« zu finden waren. Für 3 Mark und 50. Von diesem Wissen und von dieser Neugier haben wir alle profitiert.

 

2015 hat ein Schlaganfall Veit gesundheitlich sehr mitgenommen. Der alte Kämpfer kommt schon wieder auf die Beine, dachten wir. Dennoch: An Fahrten mit seinem geliebten Rennrad war nicht mehr zu denken und unsere Kontakte wurden seltener. Wenn wir, was viel zu selten war, wieder mit ihm ins Gespräch kamen, war vieles wie früher. Jetzt wird es nie wieder so sein. Veit, wir haben Dir viel zu verdanken!

 

Hannes Alpen, Moritz Behrendt, Christoph Ehrhardt, Felix Eikenberg, Yasemin Ergin, Wiebke Fleig, Daniel Gerlach, Lutz Jäkel, Julia Jaki, Kamila Klepacki, Elisabeth Knoblauch, Christian Meier, Özgür Uludağ, Lisa Royaee (geb. Akbary), Sara Winter-Sayilir, Jörg Schäffer, Reiner Sprenger, Holger Tillmann

Von: 
zenith-Redaktion

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