Waad al-Kateab dokumentiert in ihrem Oscar-nominierten Film »Für Sama« das Kriegsgrauen in Syrien. Im Interview erklärt sie, warum sie die Deutungshoheit über den Konflikt nicht dem Assad-Regime überlassen will – und auch mit Ivanka Trump redet.
zenith: Als Sie zum ersten Mal Ihre Kamera in die Hand nahmen und mit dem Filmen begannen, dachten Sie da jemals, einen Film wie »Für Sama« zu drehen?
Waad al-Kateab: Überhaupt nicht. Zunächst wollte ich durch das Filmen nur die Wirklichkeit einfangen. Das Regime leugnete ja, dass es die Revolution in Aleppo überhaupt gibt. Für den Fall, dass wir getötet werden, war dies die einzige Möglichkeit, unsere Geschichte zu erzählen. Nachdem wir Aleppo verlassen hatten, dachte ich aber auch noch nicht an einen Film.
Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen, über 500 Stunden Filmmaterial auf eine Dokumentation von 100 Minuten Länge zu reduzieren?
Das gesamte Material immer wieder ansehen zu müssen, wie Kinder sterben, all die Emotionen, das war schwer. Aber auch das Schneiden selber. Mit über 500 Stunden Material hätte man so viele Geschichten erzählen können, jede Entscheidung gibt dem Film eine bestimmte Richtung. Gleichzeitig habe ich damit nur wenig Erfahrung. Da ich all das aber selbst erlebt habe, kann ich auch am besten mit dem Material arbeiten. Als wir dann das Material zu einem Film zusammenstellten, wurde mir oft gesagt, niemand interessiere sich mehr für syrische Filme. Ich hielt es trotzdem für sehr wichtig, diesen Film zu zeigen.
Sie sagen, Sie wollten zunächst keinen Film machen, Ihnen wurde sogar davon abgeraten. Warum haben Sie sich dennoch dafür entschieden?
Viele Menschen hatten bereits vor dem Film meine Berichte für Channel 4 über die Situation in Syrien gesehen. Verändert hat sich dadurch nichts. Da stellt man sich schon die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit. Und dennoch: Wir haben Aleppo verloren und Assad kontrolliert Syrien immer noch. Gegen die Propaganda der Regierung zu kämpfen und unsere Version der Geschichte zu erzählen, ist das einzige, was wir noch tun können. Unsere Version der Geschichte wird von Menschen erzählt, die keiner politischen Agenda folgen – unabhängig sind von der Opposition, den Lügen des Regimes oder der medialen Darstellung des sogenannten Islamischen Staates und anderer Extremisten. Der Film zeigt, was wir normale Syrer erlebt haben. Ich möchte den Menschen daher auch die Bilder zeigen, die sie vielleicht nicht sehen wollten.
»Das Regime versuchte von der ersten Minute an, unsere Revolution zu diffamieren«
Im Film ist zu sehen, wie Sie das belagerte Ost-Aleppo zunächst verlassen, dann aber zurückkehren. Viele Zuschauer konnten das nur schwer nachvollziehen.
Wir wussten von der ersten Minute an, dass dieser Moment Teil des Filmes sein muss. Schon vor der Belagerung Aleppos haben uns viele Leute gefragt: »Warum bleibt ihr in Syrien?«. Wir und viele andere Menschen hätten die Möglichkeit gehabt, das Land zu verlassen – und blieben dennoch. Alles, wofür wir in der Revolution kämpften, war ein Leben in Würde, Freiheit und Sicherheit. Das war eine der wichtigsten Botschaften der Syrer an die Welt, aber niemand wollte sie hören. Der Film soll auch zeigen: Nicht alle Syrer sind Flüchtlinge! Wenn wir die Chance gehabt hätten, an einem Ort zu sein, der für meine Kinder sicherer ist, hätten wir sie vielleicht ergriffen. Gleichzeitig war uns auch bewusst, wie dringend Aleppo Ärzte und Journalistinnen brauchte, die alles dokumentieren. Wir konnten auch denen, mit denen wir fünf Jahre lang zusammengelebt hatten, nicht einfach den Rücken kehren. Es ging nicht nur um uns, es ging um alle.
Sie haben sich dagegen entschieden, Kampfhandlungen zwischen den verfeindeten Gruppen im Film zu zeigen.
Das Regime versuchte von der ersten Minute an, unsere Revolution zu diffamieren und sie wie einen Bürgerkrieg aussehen zu lassen: Syrer, die sich gegenseitig umbringen, Sunniten und Alawiten. Selbst jetzt, nachdem Russen und Iraner, die Hizbullah und die Türkei in Syrien kämpfen. Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber das hier hat nichts mit einem Bürgerkrieg zu tun. Wir wollen dieser Darstellung keinen Vorschub leisten, indem wir Kämpfer an der Front zeigen. Andere Gruppen haben sich auch Kriegsverbrechen schuldig gemacht, ja. Uns geht es aber darum, zu zeigen, dass diese Verbrechen hauptsächlich vom Regime begangen werden.
Ihr Mann, Hamza al-Kateab, ist Protagonist des Films. War das von Anfang an geplant?
Der Film soll nicht von Hamza oder dem Krankenhaus selbst handeln. Aber durch diese persönliche Geschichte kann man viele Details des Lebens in Aleppo und in anderen syrischen Städten aufgreifen. Unsere Perspektive stellt in gewisser Weise die Erfahrung des medizinischen Personals dar. Als Journalistin kann ich zeigen, was in der Gesellschaft passiert ist. Aber ich glaube nicht, dass irgendein Film die Revolution in Gänze abbilden kann.
Wie wichtig war Ihnen Ihre eigene Präsenz im Film?
Glücklicherweise zeigt der Film nicht besonders viele Szenen mit mir. Der Film verwischt die Grenzen zwischen Waad – der Person, der Mutter, der Frau, die diese Erfahrung durchlebt hat, und Waad – der Filmemacherin und Journalistin, die versuchte, ein Teil dieser Revolution zu sein. Ich glaube, dass Journalismus und Filmemachen Formen des Aktivismus sind. Das lässt sich nicht voneinander trennen. Ich bin Filmemacherin geworden, weil ich eine Aktivistin bin, die über Syrien berichtet. Selbst, wenn ich ein anderes Projekt in Angriff nehme, werden dabei Syrien und Aktivismus im Mittelpunkt stehen.
Ihr Treffen mit Ivanka Trump im vergangenen Monat hat Ihnen viel Kritik eingebracht. Was sagen Sie dazu?
Ich kann verstehen, dass viele Menschen von dem Treffen irritiert waren. Aber ich habe Ivanka Trump nicht getroffen, um über mich zu sprechen – meine persönlichen Probleme, meine Familie oder meine Zukunft. Ich habe sie getroffen, um ihr aktuelle Bilder aus Idlib zu zeigen. Hier geht es darum, was mit meinem Land geschieht. Ich klopfe an jede Tür in dieser Welt und spreche mit allen, die jetzt etwas tun könnten für die Menschen in Idlib. Ivanka Trump ist da eine von mehreren Personen. Es macht mir nichts aus, mit ihr zu sprechen, im Gegenteil.
»Für Sama« ist längst mehr als nur ein Film. Wie geht es jetzt weiter mit dem Projekt?
»Für Sama« ist nicht nur ein Film. Es ist mein Leben. Wir haben eine Kampagne ins Leben gerufen, damit sich Menschen weiterhin mit der Situation in Syrien beschäftigen können. Sie entstand, weil die Zuschauer wissen wollten, was sie tun können. Gleichzeitig wollen wir den Menschen sagen, dass Veränderung möglich ist. Außerdem geht es uns darum, Kriegsverbrechen nachzuweisen – all die Angriffe auf Zivilisten, in Schulen und in Krankenhäusern. Wir fordern ein Ende der Bombardierung von Krankenhäusern. Diese Botschaft haben wir bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes und auf anderen Preisverleihungen formuliert. Wegen der Angriffe auf Krankenhäuser arbeiten wir gerade an einem Gerichtsverfahren gegen Russland und das syrische Regime.
»Für Sama« startete am 5. März in den deutschen Kinos. Der Film begleitet das Umfeld der Aktivistin und Filmemacherin Waad al-Kateab von den Anfängen der syrischen Revolution bis zur Belagerung Aleppos 2016. Im Mittelpunkt steht die Arbeit ihres Mannes in einem Untergrund-Krankenhaus, sowie deren Tochter Sama. Der Film gewann mehrere Preise und war unter anderem für den Oscar als »Bester Dokumentarfilm« nominiert.