Worüber lacht ein Land, das Jahrzehnte des Krieges hinter sich hat? Der irakische Comedian Ali Fadel hat auf YouTube die »Bananenrepublik« ausgerufen und erreicht damit ein Millionenpublikum.
zenith: Mehr als elf Millionen Abonnenten hat Ihr Comedy-Kanal auf YouTube. Was macht »Wilayat Al-Batikh« so erfolgreich?
Ali Fadel: Für uns zählen drei Kriterien für den Erfolg der Show. Das erste Kriterium ist die Anzahl der Zuschauer: Wenn die Sendung weiterhin so viele Menschen anzieht, dann ist sie erfolgreich. Das zweite Kriterium ist der Inhalt selbst – und hier stehen wir vor einem Problem.
Ein Problem?
Wir arbeiten über einen langen Zeitraum mit den gleichen Werkzeugen und den selben Schauspielern, deshalb besteht die Gefahr, dass wir uns wiederholen. Das dritte Kriterium ist der technische Standard, also die Bild-, Ausgabe- und Schnittqualität. Dieser Bereich entwickelt sich ständig weiter, wir müssen immer auf dem neuesten Stand sein. Das gelingt uns manchmal, aber nicht immer.
Sie erhielten Morddrohungen, nachdem Sie Folgen Ihrer Sendung ins Internet gestellt hatten, die sich über Politiker oder Stammesführer lustig machten. Denken Sie manchmal daran, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen?
Ich erhielt Drohungen von Anhängern einer politischen Partei. Sie drohten damit, den Sitz der Produktionsfirma zu stürmen. Ich hatte damals so viel Angst, dass ich im Auto schlief, um mich und meine Familie zu schützen. Diese Drohungen ließen mit der Zeit nach, nachdem die Zuschauer verstanden hatten, dass wir keiner Partei angehören und keine Agenda gegen sie verfolgen. Ich habe auch schon mal eine Drohung erhalten, weil ein Sketch als Beleidigung eines bestimmten Stammes angesehen wurde. Mein Haus wurde von einem bewaffneten Angehörigen dieses Stammes ins Visier genommen, meine Familie war verängstigt und mein Sohn ist an diesem Tag nur knapp dem Tod entkommen.
Welche Rolle spielen Comedyshows für den gesellschaftlichen Wandel in der arabischen Welt?
Es gibt ein Bedürfnis, die Mängel der Politiker und der Mächtigen zu kritisieren. Eigentlich wollte ich mich nicht zum Gesellschaftskritiker aufschwingen, aber die Gesellschaft drängt mich dazu, diese Rolle zu übernehmen. Deshalb ist einer der Gründe für den Erfolg von »Melon City«, dass wir gesellschaftliche Probleme mit Humor angehen. Die Show ist erfolgreich, weil sie einen Sinn hat und Iraker diese Art von Comedy mögen.
Gibt es Tabuthemen, die Ihre Show nicht aufgreift?
Es gibt nur ein Thema, das für uns ein Tabu ist, und das ist die Religion. Es besteht durchaus ein Bedürfnis, dass wir die Kleriker oder bewaffnete religiöse Strömungen und Gruppen kritisieren, aber da wir im Irak leben, wäre das für uns lebensgefährlich. Darüber hinaus wahren wir den Respekt vor dem Glauben anderer, diese Grenzen überschreiten wir nicht.
»Eigentlich wollte ich mich nicht zum Gesellschaftskritiker aufschwingen«
Wie gelingt es, die feine Linie zwischen Mobbing und Comedy nicht zu überschreiten?
Der Begriff »Mobbing« ist erst vor Kurzem in der arabischen Welt aufgetaucht und ist für uns neu. Der berühmteste Komiker in der arabischen Welt, der Ägypter Adel Imam, war zwar per Definition das, was man im Englischen als »Bully« bezeichnen würde, aber der Begriff existierte damals noch nicht. Wir versuchen, diese feine Linie nicht zu überschreiten, und wir überprüfen uns ständig. Wir wollen niemanden vorsätzlich verletzen.
Wie viel Spielraum bleibt Ihnen für diese Verbindung von Humor und Kritik?
Eigentlich braucht man für sarkastische Kritik ein aufgeschlossenes und kritiktolerantes Publikum. Der Druck der Kriege der letzten Jahrzehnte hat uns Iraker verkrampfen lassen. Wir sind überempfindlich; wir fühlen uns beleidigt, wenn die Nation kritisiert wird oder unsere Provinz oder unsere Stadt, selbst unser Viertel. Diese Komplexe zwingen uns in unseren Sketchen zur Vorsicht.
Welche Themen stoßen bei Ihren Zuschauern auf besonders große Resonanz?
Die meisten Reaktionen bekommen wir, wenn wir aktuelle gesellschaftliche Probleme und die bittere Realität in unserem Land auf sarkastische Art und Weise kritisieren. In der letzten Folge der sechsten Staffel haben wir zum Beispiel einen satirischen Sketch gezeigt, in dem irakische Charaktere in ihrem täglichen Leben leiden, aber dennoch lächeln, während im Hintergrund die schnulzige Ballade »Mein süßes Land« der Sängerin Dalida ertönt. Das ist die Art von sarkastischer Kritik, die im Irak gut ankommt.
Wollen Sie mit Ihrer Show auch ein arabisches Publikum außerhalb Iraks erreichen?
Irakische Inhalte sind attraktiv, und der Beweis dafür ist die Verbreitung irakischer Musik in allen Ländern der arabischen Welt. Doch das Problem im Irak ist, dass die Medienindustrie nicht wirklich kommerziell ausgerichtet ist. Die meisten unserer Satellitenkanäle sind im Besitz von politischen Parteien. Und die sind nicht daran interessiert, die Arabische Welt zu erreichen oder sich mit gesamtarabischen Themen zu beschäftigen. Trotzdem haben wir ein Publikum in den Golfstaaten, besonders in Kuwait, und in anderen Ländern wie Syrien, Libanon und Jordanien. Für unsere neue Staffel arbeiten wir an einem Sketch, der sich an die gesamte Arabische Welt richtet, um unser Publikum in der Region langsam, aber sicher zu vergrößern.
Ist Ihre Show auf die netzaffine Jugend Iraks ausgerichtet oder richten Sie sich an alle Generationen?
In unserer Show präsentieren wir ein bestimmtes Genre von Sketchen, die alle zum Lachen bringen. Aber natürlich hat jede Generation ihre eigene Art von Humor. Comedy ist nicht statisch. Aus diesem Grund besteht unser Team aus 22 Schauspielern und einer Moderatorin. Wir haben sieben sehr verschiedene Charaktere in der Show, um alle Altersgruppen zum Lachen zu bringen. Auf diese Weise haben wir alle Iraker erreicht, unabhängig vom Alter, und wir hoffen, dies auch weiterhin tun zu können.
Ali Fadel wurde 1982 in Bagdad geboren und hat an der Universität Bagdad Theaterproduktion studiert. Seine Comedyshow »Wilayat Al-Batikh« oder »Melon City« wirft einen satirischen Blick auf Iraks Gesellschaft. Der Name der Show entspricht in etwa der Bedeutung »Bananenrepublik« und ist eine Verballhornung von Wilayat Al-Faqih (Die Herrschaft des Rechtsgelehrten). Die Show läuft in diesem Jahr in ihrer sechsten Staffel – ausschließlich online – und verzeichnet 11,4 Millionen Abonnenten auf YouTube.