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Kolumne: Der Arabist

Porto zahlt der Briefträger

Essay
von Wim Raven
Der Arabist: Porto zahlt der Briefträger
So stellte sich der persische Maler Kamaleddin Behzad im späten 15. Jahrhundert den Bau der Festung von Hira vor. Die im heutigen Irak gelegene Hauptstadt der christlichen Lakhmiden war in vorislamischer Zeit ein wichtiges Zentrum. The Yorck Project (2002), 10.000 Meisterwerke der Malerei

Ein »Mutalammisbrief« ist ein Schreiben, das für seinen Überbringer Übles bereithält. Eingebrockt hatte sich der Namensgeber das selbst: durch allzu kecke Verse, in denen er seinen König verspottete.

Al-Mutalammis war ein arabischer Dichter, er verkehrte Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. am Hof des christlichen Königs Amr Ibn Hind im irakischen Hira. Auch sein Neffe Tarafa Ibn Abd war in der Hauptstadt der arabischen Lakhmiden-Dynastie. Der war als Dichter viel wichtiger und wurde richtig berühmt, während Mutalammis nur ein kleines OEuvre vorzuweisen hatte, das auch noch zum Großteil von seiner traumatischen Erfahrung mit König Amr und dem sogenannten Mutalammis-Brief (sahifat al-Mutalammis) handelte.

 

Hofdichter hatten damals die Aufgabe, in Lobgedichten den Fürsten und dessen Stamm zu besingen und dessen Feinde oder andere minderwertige Personen oder Stämme in Schmähgedichten kleinzumachen. Manchmal lief das aber etwas anders: Wenn ein Dichter zum Beispiel schlechte Laune hatte, einen Kater hatte, sich überschätzte, in Ungnade gefallen war oder wenn der Fürst mit den Zuwendungen sehr zögerlich war, dann wurde auch schon mal ein Schmähgedicht auf den gütigen Herrn gedichtet. Die Dichter nutzten ihre Meinungsfreiheit maximal aus und schimpften mitunter, was das Zeug hielt.

 

So dichtete Mutalammis zum Beispiel: »Ein König, der mit seiner eigenen Mutter und derer Dienerschaft Verkehr hat. [Vom vielen Beischlaf] ist er schlaff in seinen Gelenken und sein Schwanz ist [dünn geworden] wie ein Kohlestift.« »An der Tür lädt er jeden Bittsteller ein, aber wenn er mit ihm allein ist, legt der Mann los wie eine Bestie.«

 

In Grobheit steht diese Tirade manchen Kommentaren in den heutigen sozialen Medien in nichts nach. Aber bei den alten Dichtern reimte es sich und war das Metrum in Ordnung. Der König war not amused und beschloss, sich der beiden Dichter, Onkel und Neffe, zu entledigen, indem er sie weit weg schickte. Vielleicht waren sie in Hira schon zu populär, um sie vor Ort zu eliminieren? Jedenfalls sandte König Amr sie zum persischen Statthalter in Bahrain, für den er ihnen je einen versiegelten Brief mitgab, gegen dessen Vorlage ihnen allerlei Geschenke zuteil werden sollten.

 

Ibn Qutaiba beschrieb das später in seinem Buch »Die Poesie und die Dichter«. Das Buch wurde mehr als drei Jahrhunderte nach dem Geschehenen verfasst; ist sein Bericht zuverlässig? Wir werden es nie wissen. Auf jeden Fall ist es unterhaltsame Lektüre. Ibn Qutaiba berichtet:

 

»Er (Mutalammis) verkehrte am Hofe des Amr Ibn Hind, des Königs von Al-Hira, er und Tarafa Ibn Al-Abd, und beide verfassten sie Schmähgedichte auf ihn. Der König schrieb für sie je einen Brief an den (persischen) Statthalter zu Bahrain. Er ließ ihnen gegenüber durchblicken, dass er darin befohlen habe, ihnen Zuwendungen zu geben, aber in Wirklichkeit befahl er, sie umzubringen.

 

Sie machten sich auf, und als sie in Nadschaf angekommen waren, trafen sie am Wegrand einen alten Mann, der gleichzeitig urinierte, ein Stück Brot aß und die Läuse aus seinen Kleidern entfernte und totschlug. Mutalammis sagte: ›So einen blöden alten Kerl habe ich noch nie gesehen.‹ – ›Wieso?‹, fragte der Alte. ›Ich entferne etwas Hässliches, führe etwas Gutes herein und ich töte einen Feind. Viel dümmer ist jemand, der sein eigenes Todesurteil mit sich herumträgt.‹

 

Wegen dieser Worte beschlich Mutalammis Zweifel. Es kam ein junger Mann aus Al-Hira vorbei, und Mutalammis fragte ihn: ›Kannst du lesen, Junge?‹ ›Ja‹, antwortete der, worauf er das Siegel brach und dem Jungen den Brief überreichte. Darin stand: ›Wenn Mutalammis zu dir kommt, hacke ihm seine Hände und Füße ab und beerdige ihn lebendig!‹ Darauf sagte er zu Tarafa: ›Gib ihm auch deinen Brief zu lesen; bei Gott, darin steht bestimmt dasselbe.‹ Aber Tarafa sagte: ›Nein, mir wagt er so etwas nicht anzutun.‹

 

Mutalammis warf seinen Brief in den Fluss mit den Worten: ›Hiermit werfe ich auch mein Haus weg‹, und er zog nach Syrien. Aber Tarafa zog weiter nach Bahrain [und wurde umgebracht]. So wurde der ›Mutalammisbrief‹ sprichwörtlich.«

 

Merkwürdig ist, dass Mutalammis und Tarafa in der Erzählung offenbar nicht lesen konnten, während sie das von irgendeinem Jungen auf der Straße durchaus erwarteten. Gingen die Erzähler davon aus, dass die Briefe auf Pahlavi oder vielleicht Aramäisch geschrieben waren? Aber Hira war doch ein arabisches Königreich – und konnte dort ein beliebiger Straßenjunge wirklich eine fremde Amtssprache lesen?

 

Bei uns heißt ein Brief, der seinem Überbringer Unheil bringt, Uriasbrief, nach der biblischen Erzählung von König David und Batseba (2 Samuel 11). David sah von seinem Dach, wie die schöne Batseba sich wusch, und er fühlte sich zu ihr angezogen. Ihr Mann Urias diente als Soldat in seinem Heer. Er war ein Hethiter: ein Ausländer also, aber gut integriert (2 Samuel 11:11). Das eine führte zum anderen: Batseba wurde schwanger vom König; ihr Mann witterte Unheil und wollte nicht mehr zu ihr zurück. Darauf verspürte der König das Bedürfnis, Urias aus dem Weg zu räumen, damit er die Frau heiraten konnte. Er sandte Urias zum Oberbefehlshaber Joab, mit einem Brief, in dem Letzterem befohlen wurde, Urias bei einer Schlacht ganz vorne aufzustellen, sodass er fallen musste. So geschah es, und so hatte David den Weg freigemacht für seine Ehe mit der Witwe – selbstverständlich nach einer angemessenen Trauerperiode.

 

Wenn Sie noch klassisch gebildet sind, denken Sie vielleicht auch an den bellerophontischen Brief. Bellerophon wurde nämlich von Proteus zu König Iobates von Lykien gesandt mit dem versiegelten Auftrag, ihn zu töten. Aber darauf hatte der König keine Lust, und er schickte den jungen Mann lieber weg, mit der Aufgabe, das feuerspeiende Ungeheuer Chimära zu töten, in der Hoffnung, dies würde ihm nicht gelingen. Es kam aber anders als geplant, denn es gelang Bellerophon durchaus, das Ungeheuer zu vernichten.

 

Und sonst erinnern Sie sich vielleicht daran, was in »Tim und Struppi« den beiden Detektiven Schultze und Schulze in der chinesischen Stadt Hukou wiederfährt. Sie haben ein Empfehlungsschreiben für den örtlichen Polizeikommissar, das sie aber verlieren und das von Tims Freund Tschang durch einen Brief ersetzt wird, in dem auf Chinesisch zu lesen steht: »Sollten Sie nicht bemerkt haben, dass wir zwei Verrückte sind, so ist dies der offizielle Beweis.« Der Kommissar lacht laut und lässt sie vor die Tür setzen.

 

Ein Uriasbrief sollte also gut versiegelt oder in einer Fremdsprache abgefasst sein – oder beides. Wahrscheinlich wimmelt es in der Weltliteratur von Mutalammis-, Urias- oder Bellerophonbriefen. Der Name Uriasbrief passt wohl am besten, denn die dazugehörige Geschichte ist die älteste. Das Buch Samuel datiert aus dem 5. oder 6. Jahrhundert vor Christus. Oder gab es noch eine altägyptische oder babylonische Vorlage?

Von: 
Wim Raven

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