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Rezension zu »A History of Jeddah« von Ulrike Freitag

Dschidda ist anders

Feature
Rezension zu »A History of Jeddah« von Ulrike Freitag
Eine Galerie-Eröffnung im saudischen Dschidda

Umschlagplatz für den Handel und Zwischenstation für die Muslime dieser Welt: Dschidda gehört zu den Knotenpunkten der islamischen Welt. Ein neues Buch porträtiert die saudische Metropole am Roten Meer nun im Detail.

Der Untertitel des Werkes macht bereits deutlich: Die besondere Rolle der heute saudischen Stadt am Roten Meer liegt in ihrer Funktion als Tor zur heiligsten Stadt des Islam, als Hafen von Mekka. Hieraus zu folgern, Dschidda sei »nur« ein Anhängsel der Heiligen Stätten, wäre aber zu kurz gegriffen. Gerade diese Rolle Dschiddas ist das Besondere an der Stadt, macht sie zu einer Metropole sui generis, trägt zu ihrer spezifischen Eigenart bei.

 

Ulrike Freitag, die Direktorin des renommierten Leibniz-Zentrums Moderner Orient (ZMO) in Berlin, hat mit diesem grundlegenden historischen Werk ein besonderes Buch vorgelegt. Wie in dem von ihr geleiteten ZMO geht die Verfasserin auch im Buch nicht in die Zeitgeistfallen, bedient nicht die Erwartungen einer fachfremden Öffentlichkeit, nervt uns nicht mit düsteren Prinzlingen, Islamismus und Terror, sondern bleibt im guten Sinne in den Traditionen der europäischen Orientalistik, die sich nicht hergibt zur wissenschaftlich verbrämten Paraphrasierung von Medienberichten.

 

»Dschidda ghayr – Jeddah ist anders«. Dieser Titel eines Gedichts von Talal Hamzah durchzieht dann auch das Buch wie ein roter Faden. Der Leser, selbst wenn er es bereits früher geahnt oder vage gewusst hat, lernt anhand einer Detailfülle, die zu einem dichten Kontext verwoben wird: Dschidda ist in der Tat eine Stadt, die sich sowohl von ihrem lokalen (heute saudischen), als auch von ihrem regionalen Umfeld, also von anderen Städten an den Küsten des Indischen Ozeans, deutlich abhebt und bis heute ihren ganz eigenen spezifischen Charakter entwickelt.

 

In einer Reihe mit Aden und vielen anderen Hafenstädten zwischen Suez, Sansibar und Aceh

 

Dass Dschidda durch den Monsun mit fernen Ufern verbunden ist und deshalb prädestiniert als Handelsdrehscheibe zwischen den Welten des Indischen Ozeans und des Mittelmeeres, zwischen Afrika und Asien, zwischen christlicher und islamischer Sphäre, hat es gemeinsam mit Massawa, Adulis, Aden, Suakin und vielen anderen Hafenstädten zwischen Suez, Sansibar und Aceh. Als Anlaufstelle und Durchgangsort für Millionen muslimischer Pilger, hat die Hafenstadt aber ein Alleinstellungsmerkmal.

 

Umschlagplatz für den internationalen Handel und Zwischenstation für die Muslime dieser Welt – diese beiden Funktionen ergänzen sich, wirken als Katalysatoren und entfalten weitere dynamische Prozesse. Eine bunte Welt entsteht – Internationalität, kosmopolitischer Facettenreichtum, Vielfalt der Nationen und Stadtviertel, unkontrolliertes Wachstum, Aufstieg und Niedergang von Familien, Gilden und Zünften, religiöse und multikulturelle Diversität, ausländische Konsulate – aber auch Seuchen, Ausbrüche von Fanatismus und Gewalt.

 

Doch verliert sich die Autorin nicht in der Überfülle pittoresker Details, sondern verbindet sie mit den historischen Zusammenhängen, die nicht vernachlässigt werden und dem ganzen einen Rahmen geben, dem Leser das Zurechtfinden zu erleichtern.

 

Von skurrilen Clubs bis zum ältesten saudischen Fußballverein

 

Denn der behandelte Zeitraum ist voller historischer Meilensteine: das Vordringen Europas, der Aufstieg der saudischen Macht, der Beginn des Ölbooms. Dabei wird immer wieder das Spannungsfeld zwischen einem bunten, auch religiös sehr differenzierten, kulturell blühenden Dschidda und einem strengen, rigiden Wahhabitenstaat deutlich. Der Leser möchte zustimmen – ja, Dschidda ist anders.

 

Das Werk ist mit zahlreichen Illustrationen und Karten versehen. Fußnoten und Bibliographie weisen eine beeindruckend breite Quellenbasis aus. Der sorgfältig erstellte Index erleichtert die Benutzung.

 

Wer sich eine breitere, tiefere und reichere Kenntnis des Nahen Ostens erschließen möchte, von skurrilen Clubs bis zum ältesten saudischen Fußballverein, von Gesundheitsfürsorge bis zu Querelen um Grammophonmusik und den Problemen einer Millionenmetropole, kann auf dieses gleichermaßen gelehrte wie anregende Buch nicht verzichten, das für die moderne Geschichte (nicht nur) Dschiddas auf lange Zeit ein Standardwerk sein wird.



Rezension zu »A History of Jeddah« von Ulrike Freitag

A History of Jeddah
The Gate to Mecca in the Nineteenth and Twentieth Centuries

Ulrike Freitag

Cambridge University Press, 2020

404 Seiten, 43,70 Euro

Von: 
Alfred Schlicht

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