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Wohnen

Iran von Innen

Kommentar
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Foto: Hamed Farhangi Hamed Farhangi

Zu kitschig, zu altmodisch: Traditionelles Interieur war in iranischen Wohnzimmern aus der Mode gekommen. Junge Designer sorgen nun für ein Comeback.

September 2008. Es war Spätsommer in Teheran, das erste Mal in meinem Leben betrat ich iranischen Boden und hatte ein Kopftuch auf. Wie so viele vor mir machte ich mich ohne ein realistisches Bild im Kopf auf, die persische Sprache und Menschen und Geschichten hinter den Worten zu entdecken. Meine Füße trugen mich durch die Straßen Teherans, von den Bergen im Norden bis zum Golestan-Palast im Süden. Vorbei an modernen Wolkenkratzern, klassizistischen Villen, grauen Betonklötzen, aber auch dem Erbe glorreicher Zeiten. Die alten Häuser, die sich oftmals im Verfall befanden, verzauberten mich. Ihre Architektur ließ mich das frühere Leben erträumen, gleichzeitig stieg die Frage auf: Wieso scheint kein Iraner diesen Gebäuden mit ihren großen Fenstern, geschwungenen Bögen und verwucherten Gärten verfallen zu sein? Wieso beeindruckt die einzigartige, jahrhundertealte Architektur mit seinen Bögen und Kuppeln nur so wenige? Wieso ist alles, was iranisch ist, nicht wirklich angesagt? 

Im Herbst 2016 brachte mich diese Frage zurück in das Land, das ich über die letzten Jahre oft besucht hatte und das sich ständig veränderte. Der demografische Wandel in Iran ist eine wohlbekannte Tatsache, zeigt sich vor allem darin,
wie schnell Neues angenommen, aber auch ausprobiert wird. So entwerfen viele Iraner selbst Mode, Schmuck, Möbel oder Keramik und verkaufen die Objekte auf unterschiedlichen Wegen. Ein Beispiel ist der Designer Amir Yegane, der sein Studio in einem der ältesten Stadtviertel Teherans eingerichtet hat und dort Stühle aus Rechenschiebern oder Besteck mit kalligrafischen Elementen herstellt. Er hat monatelang nach einem traditionellen Haus gesucht, in dem er seine Idee von persischem Design im 21. Jahrhundert umsetzen kann. 

Es ist diese Idee, die mich auf mein Buch »Behind Closed Curtains: Interior Design in Iran« brachte, die Verbindung von Altem und Neuem. Wie kann der traditionellen persischen Architektur der Staub des wissenschaftlichen Diskurses genommen werden? Die Antwort des Buchs: indem man lebendige Häuser zeigt, in denen Menschen ihre Version eines modernen iranischen Wohnens leben. Viele junge Iraner haben den Bezug zum traditionellen Handwerk und zu der persischen Architektur verloren, auch weil Beispiele fehlten, in denen iranisches Erbe in einer modernen Form in die Neuzeit übersetzt wurde. Sie kennen historische Häuser nur als Museen oder heruntergekommene Regierungsgebäude. Für sie war es bis vor Kurzem unvorstellbar, dass das persische Tagesbett, das Takht, auch als Sofa dienen kann, als Alternative zu westlichen Modellen. Dieses Denkmodell, das westlich mit modern und iranisch mit veraltet gleichsetzt, wird jedoch immer häufiger durchbrochen. 

Heute wird der Begriff der Gentrifizierung im Zusammenhang mit der Renovierungswelle historischer Häuser in Teheran und anderen wachsenden Städten wie Kaschan verwendet. 

Die App Peeyade ruft zur Wiedereroberung der Hauptstadt und speziell der Altstadt durch seine Bewohner auf. Manche vergleichen die derzeitige Stimmung sogar mit dem New York der 1970er Jahre. Eine ganze Generation sucht nach neuen Wegen, in einer traditionellen Gesellschaft zu leben und zu arbeiten, nach einer zeitgemäßen Verbindung von Neu und Alt. »Behind Closed Curtains: Interior Design in Iran« ist ein Zeugnis dieses jungen Trends, der sich – das muss gesagt werden – bisher vor allem auf Teheran und die Mittelund Oberschicht begrenzt. Ein erster Erfolg: Made in Iran ist mittlerweile angesagt.

Von: 
Lena Späth
Fotografien von: 
Hamed Farhangi

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