Die Jordanierin Maria Elayan kämpft mit Satire-Videos gegen Tabus an. Das kommt in ihrer arabischen Zielgruppe nicht bei allen gut an.
Breitbeinig sitzt eine Frau am Schreibtisch. Ein stattlicher Schnurbart ziert ihre Oberlippe. Sie trägt eine blaue Polizeiuniform mit Schirmmütze, wobei das sichtbare ausgestopfte Hemd einen dicken Bauch bildet. Mit dem kleinen Finger pult sie im Ohr und schnipst den gefundenen Dreck weg. Ein Mann kommt herein und möchte eine sexuelle Belästigung melden. Die als Polizist verkleidete Frau winkt ihn näher zu sich heran. Der Mann beugt sich zu ihr herunter: »Ich wurde auf der Straße angefasst«. Die Frau mustert ihn von oben nach unten: »Wo genau wurdest du denn berührt?« – und kneift ihm süffisant lächelnd in die Wange.
Der schmierige Polizist, beziehungsweise die Frau in der Uniform, ist Maria Elayan. Regelmäßig greift sie zu Perücken und Kostümen, verstellt ihre Stimme. Mal ist sie die nörgelnde Tante, dann wieder ein Arzt, der seine Patientinnen ignoriert. Mit kurzen satirischen Videos möchte Elayan auf patriarchale Strukturen aufmerksam machen und traditionelle Narrative zur Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft hinterfragen.
Die Einspieler sind Teil ihrer Show »Smi‘touha Minni« (Ihr habt's von mir gehört), die die palästinensisch-jordanische Schauspielerin und Produzentin für die feministische Plattform Khateera entwickelt. Elayan möchte keine dieser typischen Monolog-Sendungen moderieren, nicht einfach Informationen runterleiern und die Menschen bevormunden.
Was lustig rüberkommt, ist bis ins Detail geplant
Was lustig rüberkommt, ist bis ins Detail geplant. Für die 24-Jährige ist die Arbeit am Skript der aufregendste Teil, aber auch der schwierigste. Denn bevor gedreht wird, entwickelt sie gemeinsam mit ihrer Kollegin, Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Amanda Abou Abdallah ein Grundgerüst für die jeweilige Episode. Danach werden Fakten und Argumente recherchiert, die Elayan und Abou Abdallah später dem Entwurf hinzufügen und weiterentwickeln. Erst zum Schluss kommen die Witze hinzu.
Tagelang sitzt Elayan mit ihrer Kollegin vor den Skripts, verwirft Stellen, feilt an einzelnen Sätzen – bis jedes Wort sitzt. Solch polarisierende Inhalte zu schreiben, bedeutet sehr genau auf die Wortwahl zu achten. Immer wieder fragt sie sich: Überschreite ich eine Grenze? Beleidige ich jemanden? Oder führe ich in die Irre? Regelmäßig liest sie ihren Freundinnen die Skripts vor, sie will wissen, ob die Witze auch ankommen. Wenn die junge Frau über ihre Sendung spricht, kann sie stundenlang reden.
Angefangen hat alles während ihrer Kindheit in der jordanischen Hauptstadt Amman, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Bereits mit elf Jahren habe sie irgendwie geschauspielert, sagt Elayan im Gespräch mit zenith. Damals imitierte sie Leute und lernte Filmszenen auswendig, erzählt sie. Später studierte sie TV und Film im Libanon, stand auf der Bühne und vor der Kamera, führte Regie bei einem Theaterstück.
Direkt nach ihrem Studium fand sie bei der Step Group Anstellung. Die Medienagentur mit Sitz in Dubai produziert unter anderem das erfolgreiche Listenformat Stepfeed, dass sich an Millenials in der arabischen Welt richtet. Und den Youtube-Kanal YallaFeed, der 350.000 Abonnenten zählt und auf dem auch die Folgen von »Smi‘touha Minni« verbreitet werden.
Seitdem führt Elayan ein Leben vor und hinter der Kamera – immer mit einem Ziel vor Augen: »Ich möchte den Feminismus aus der Nische holen, ihn zum Mainstream machen«, sagt Elayan. Sie ist überzeugt, dass sie so mehr Leute erreicht. »Denn ich möchte nicht, dass meine Inhalte nur die Menschen erreichen, die genauso denken wie ich.« Sie möchte gesellschaftliche Gruppen ansprechen, in denen Frauen wie auch Männer an kulturelle Grenzen stoßen.
Elayan spricht in ihrer Sendung offen über Menstruation, Vergewaltigung in der Ehe und Gleichberechtigung und lädt zur Diskussion ein. Ihre Zuschauerinnen sollen merken, dass sie nicht alleine sind und hinterfragen, warum welche Themen tabuisiert werden.
Das scheint zu funktionieren: »Smi‘touha Minni« ist seit dem 4. Juni 2020 auf Sendung. Bis Mitte September wurde jede Folge bereits über 300.000 Mal abgerufen – allein über Instagram.
»Frauen müssen sagen können, was sie für richtig und was für falsch halten«
Zuschauer schreiben Elayan, kommentieren die Folgen und verlangen Nachschub. Elayan ist stolz, dass ihre Show auch in den Sozialen Medien Diskussionen anregt.
Die Kommentare fallen nicht immer positiv aus. Dass Elayan so offen kulturelle Muster hinterfragt und für alle Frauen die gleichen Rechte einfordert, ist nicht jedem recht. Die Feministin wird beschimpft und verurteilt. Dass manche sie deswegen auch als Atheistin bezeichnen, findet Elayan lustig. Es brauche viel Zeit, bis Menschen ihre Perspektive ändern. Bis dahin müsse sie eben mit solchen Hasskommentaren umgehen.
Besonders über die positive Reaktion der Jugend freut sich Elayan. »Das ist genau die Generation, die ich erreichen möchte. Junge Menschen werden der Motor der Veränderung sein, weil sie ein Bewusstsein entwickelt haben«, glaubt die Schauspielerin.
Als arabische Frau fühle sie eine enorme Verantwortung, sagt Elayan. Viele Bereiche der Gesellschaft seien zu sehr von Männern dominiert. Und es sei an der Zeit, dass Frauen mitreden, selbstbewusst auftreten und mitbestimmen. Elayan ist sich bewusst, dass ihre Sendung nur ein erster Schritt in diese Richtung sein kann. Dennoch könne die Show den Weg zumindest ebnen. »Frauen müssen ihre Meinung äußern können. Sagen, was sie für richtig und was für falsch halten. Und sie dürfen keine Angst mehr davor haben – das ist der schwierigste Teil«, sagt sie.
Ende August lief die zehnte und letzte Folge der ersten Staffel von »Smi‘touha Minni«. Derzeit laufen Gesprächen über eine zweite Staffel, aber Genaues könne sie nicht sagen, erzählt sie und lacht. Ob Vergewaltigungen, Belästigung, oder Hindernisse für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die Themen, die sie in ihren Clips aufgreift, bleiben aktuell. Maria Elayan will weiterhin tiefgründigen Klamauk betreiben. Skripts, eine Kamera und Kostüme bleiben ihre Instrumente gegen das Patriarchat.