Auf der Trauerfeier für Hassan Nasrallah versucht die Hizbullah Stärke zu demonstrieren. Dabei wird deutlich, woran es ihrem neuen Führer am meisten mangelt.
Im Süden Beiruts versammelten sich am Sonntag, dem 23. Februar, rund 50.000 Menschen. Naim Qassem, seit wenigen Monaten Generalsekretär der Hizbullah, schlug auf der Gedenkfeier für seinen Vorgänger kämpferische Töne an: »Der Widerstand ist eine Überzeugung und ein Recht – und er wird bleiben.« Die Anwesenden warfen Stoffstücke auf den Sarg – ein religiöses Ritual des Segens für Hassan Nasrallah. An der Beerdigung nahmen Hunderte uniformierter Hizbullah-Kämpfer teil, Trauernde schwenkten die gelb-grünen Hizbullah-Fahnen und Porträts Nasrallahs und schlugen in schiitischer Tradition die Arme auf die Brust.
Hassan Nasrallah betrat bereits 1992 im Alter von 32 Jahren die politische Bühne – auch er war damals mit Abbas Musawi einem Hizbullah-Führer nachgefolgt, den die Israelis ausgeschaltet hatten. Politisch gelang Nasrallah die Integration der Hizbullah in das libanesische Parteiensystem nach dem Bürgerkrieg. Den größten Prestigeerfolg feierte aber der militärische Flügel, der im Jahr den militärischen Rückzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon erzwang. Im Jahr 2006 führte Nasrallah die Hizbullah-Kämpfer in einen Krieg gegen Israel, der weite Teile des Libanon zerstörte, aber das erklärte Ziel Israels, die Gruppe zu zerschlagen, vereitelte. In den beinahe zwei Jahrzehnten – und insbesondere nach der Intervention im syrischen Bürgerkrieg – hatte der Hizbullah-Führer aber vieles von der Popularität eingebüßt, die ihn auch außerhalb der eigenen schiitischen Glaubensgemeinschaft so beliebt gemacht hatte.
Mit Parlamentspräsident Nabih Berri, dessen Amal-Partei weiter engster Partner der Hizbullah bleibt, war zwar ein hoher Repräsentant des Staates zugegen. Bemerkenswert ist allerdings, wer bei der Trauerfeier fehlte: Sowohl Präsident Joseph Aoun als auch Premier Nawaf Salam ließen sich offiziell entschuldigen. Beide Politiker haben seit ihrer Amtseinführung Anfang des Jahres deutlich gemacht, dass für sie die »roten Linien« der Vergangenheit in Bezug auf die Hizbullah nicht mehr gelten. So büßten beide schiitischen Parteien etwa ihre Sperrminoritäten im Kabinett ein. Zudem droht der Hizbullah mit der Neuaufnahme der Ermittlungen zur Hafenexplosion 2020 womöglich bald juristischer Ärger. Und auch die Sonderrechte der Hizbullah, eine eigene Parallelarmee und eigene Waffenarsenale zu unterhalten, stehen zur Disposition.
Ohne Frage markiert Hassan Nasrallahs Tod am 27. September einen Wendepunkt. In welche Richtung, darüber wird aber auch in arabischen Medien noch gestritten
Zwar zeigten auf der Trauerfeier für Nasrallah – und seinen kurz danach ebenfalls getöteten Nachfolger Haschim Safieddin – auch Delegationen irakischer Milizen, der jemenitischen Huthis sowie Irans Außenminister Abbas Araghchi Präsenz. Doch gerade der diplomatische Zwist im Vorfeld der Trauerfeier zeugt vom schwindenden Einfluss der Islamischen Republik. Mitte Februar hatten die libanesischen Luftverkehrsbehörden einer Maschine der iranischen Mahan Air die Landeerlaubnis verweigert. Teheran reagierte mit Unverständnis und in Beirut demonstrierten Anhänger der Hizbullah und Amal seitdem beinahe täglich.
Doch Libanons neue Regierung unter Salam und Aoun rückte nicht von ihrer Entscheidung ab – und ging sogar noch einen Schritt weiter: In der Folge waren sämtliche Flugverbindungen zwischen Beirut und Teheran ausgesetzt. So mussten die iranischen Vertreter auf dem Weg zur Trauerfeier für Nasrallah einen Umweg in Kauf nehmen: Seit Bekanntgabe des Flugstopps sind die Buchungen für die Strecke Bagdad-Beirut nach oben geschnellt.
Ohne Frage markiert Hassan Nasrallahs Tod am 27. September einen Wendepunkt. In welche Richtung, darüber wird aber auch in arabischen Medien noch gestritten. Der frühere libanesische Telekommunikationsminister Issam Naaman sieht in seinem Gastbeitrag für die panarabische Al-Quds Al-Araby in der Tatsache, dass die Hizbullah überhaupt eine öffentliche Trauerfeier mit zehntausenden Teilnehmern und Millionen Zuschauern an TV-Geräten in der gesamten Region auf die Beine gestellt hat, einen Beweis für die Resilienz und anhaltende Popularität der »Partei Gottes«. Andere Kolumnisten bewerten die Trauerfeier genau andersherum: Der saudische Journalist Abdulrahman Al-Raschid schreibt in Asharq al-Awsat, dass sich die Hizbullah symbolisch selbst zu Grabe getragen habe.
Obwohl der 71-Jährige zu den Gründungsmitgliedern der »Partei Gottes« zählt, fehlt ihm das Charisma und damit die Zugkraft seines Vorgängers
Da Israel der Hizbullah so schwere Schäden zugefügt habe, sei sie erst fünf Monate nach Nasrallahs Tod in der Lage gewesen, ihrem Führer die letzte Ehre zu erweisen. Der demonstrative Tiefflug israelischer Kampfjets nach der Enthüllung von Nasrallahs Sarg sowie die zeitgleichen Luftangriffe im Ost- und Südlibanon seien die wirkliche Machtdemonstration gewesen. Die neuen Realitäten habe Naim Qassem akzeptiert, schließlich habe der neue Generalsekretär der Hizbullah erst kürzlich erklärt, dass die Konfrontation mit Israel durch diplomatische Maßnahmen des Staates erfolgen solle.
Zwar schwor Qassem auf der Trauerfeier, Nasrallahs Weg weiter zu verfolgen, »selbst wenn wir alle getötet werden« und erhielt rhetorisch Unterstützung vom Hamas-Repräsentanten im Libanon, Osama Hamdan. Der betonte, dass Nasrallah »auf dem Weg nach Jerusalem mit den gemarterten Führern Ismail Haniyeh und Yahya Sinwar gegangen ist« und dass »das Widerstandsprojekt heute trotz der großen Opfer immer stärker geworden ist.«
Qassems markige Worte konnten die wohl größte Schwäche der Hizbullah nicht überdecken: Obwohl der 71-Jährige zu den Gründungsmitgliedern der »Partei Gottes« zählt, fehlt ihm das Charisma und damit die Zugkraft seines Vorgängers. Das wurde deutlich, als die Menge auf der Trauerfeier seinen Redebeitrag weitgehend ignorierte und stattdessen die Prozession des Sarges mit Sprechchören begleitete.