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Öl und Salafisten: Warum die Türkei sich in den Krieg in Libyen einmischt

Erdoğans neuester Krieg

Analyse
Libysche Milizen
Foto: Mirco Keilberth

Libyens Hauptstadt droht zu fallen, doch Premier Serraj bekommt dank eines Rohstoffdeals Unterstützung aus der Türkei. Und so könnten in Nordafrika bald Türken und Ägypter aufeinander schießen, während deutsche Diplomaten hilflos zuschauen.

Seit acht Jahren tobt in Libyen, Afrikas ölreichstem Land, ein Stellvertreterkrieg um die Schaltstellen der Macht. Katar hatte schon während des Aufstands gegen Muammar Al-Gaddafi Soldaten geschickt. Als radikale Gruppen im Sommer 2012 in das befreite Bengasi einmarschierten, folgten Ägypten, Saudi-Arabien und die Emirate. Ähnlich wie in den anderen Staaten des arabischen Frühlings rangen schließlich Muslimbrüder, Regimeanhänger, lokale Milizen und säkulare Gruppen miteinander.

 

Für das Chaos in dem unbekannten Land am Mittelmeer interessierten sich allerdings nur wenige Diplomaten, denn die Opferzahlen und die Auswirkungen der lokalen Konflikte auf die Nachbarländer schienen gering. Doch das könnte sich 2020 ändern: Der Krieg in Libyen droht zu einem der gefährlichsten Konflikte der Region zu werden.

 

Seitdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Fayez-al Sarraj, der Ministerpräsident der international anerkannten libyschen Einheitsregierung, Ende November einen Vertrag über die Grenzen der Hoheitsgebiete im östlichen Mittelmeer geschlossen haben, geht es im Kampf um Tripolis indirekt auch um Zugang zu Bodenschätzen.

 

Denn obwohl Libyen und die Türkei keine gemeinsame Grenze haben, haben Tripolis und Ankara mit ihrem »Memorandum of Understanding« einen See-Korridor geschaffen, in dem für beide Staaten zukünftig Öl- und Gasförderung möglich sein soll. Schon seit Wochen sind türkische Erkundungsschiffe in der »Exklusive Economic Zone« vor Zypern im Einsatz. Die Wut der Mittelmeeranrainer über den Alleingang beantwortet Recep Tayyip Erdoğan mit dem Verweis auf ein anderes Abkommen mit der Republik Nordzypern, dem ausschließlich von der Türkei anerkannten und von Türken bewohnten Teil der Insel.

 

Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu betonte letzte Woche, dass die türkische Armee »selbstverständlich« militärisch eingreifen würde, sollten andere Staaten in dem von der Türkei beanspruchten Gebiet nach Öl bohren.

 

Die Türkei-Tripolis Allianz

 

Mit der Regierung in Tripolis hat Erdoğan nun einen weiteren Partner in dem absehbaren Konflikt mit den Nachbarländern gefunden. Premierminister Fayez-al Sarraj hatte wohl keine Wahl, als das Abkommen zu unterschreiben. Die libysche Hauptstadt wird seit dem 4. April angegriffen, ohne türkische Waffen müsste Sarraj Tripolis wohl bald wieder per Boot verlassen.

 

Im Süden der Hauptstadt Tripolis stehen sich die so genannte Libysche Nationale Befreiungsarmee (LNA) von Feldmarschall Khalifa Haftar und Sarraj-treue Gruppen gegenüber. Wenige Stunden vor der von den Vereinten Nationen geplanten Friedenskonferenz hatte der 72-jährige selbst ernannte Feldmarschall seinen mehrheitlich aus Ostlibyen kommenden Soldaten den Sturm auf Tripolis befohlen.

 

Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich unterstützen Haftars Vormarsch. Das 2014 gewählte Parlament tagt in der ostlibyschen Provinz Cyrenaika, also im Einflussbereich Haftars und gibt ihm freie Hand. Die türkische Regierung und Katar schicken hingegen Experten, Waffen und Drohnen an die Sarraj-Regierung in Tripolis. Die wurde 2015 auf der Friedenskonferenz im marokkanischen Shkirat von den Vereinten Nationen und der ehemaligen Anti-Gaddafi-Allianz installiert, wird vom Parlament jedoch nicht anerkannt.

 

Mit der Ablehnung der Ergebnisse der Parlamentswahlen von 2014 durch revolutionäre Milizen aus dem islamistischen Spektrum begann der aktuelle Konflikt um Tripolis. Im Osten Libyens wirft man Sarraj vor, die Ministerien, Banken und viele der staatlichen Institutionen in der Hauptstadt Milizen überlassen zu haben. Haftar begründet seinen Angriff auf Tripolis damit, die islamistischen Gruppen vertreiben zu wollen. Seine Gegner werfen ihm vor, eine Diktatur wie zu Gaddafis Zeiten anzustreben.

 

Da Haftar über zu wenige Soldaten verfügt, um einen Häuserkampf zu gewinnen, versucht vor allem die LNA den Gegner mit Drohnenangriffen zu zermürben. In Tunis versuchen LNA-Emissäre in Geheimverhandlungen Milizenkommandeure zum Wechseln der Seite zu bewegen.

 

Mittlerweile haben meist aus Madhkali-Salafisten bestehende LNA-Truppen die Wohngebiete von Salah Eddine erreicht und sind damit nur noch neun Kilometer vom Zentrum von Tripolis entfernt. Denn die LNA kämpft zwar nach offiziellem Sprachgebrauch gegen radikale Gruppen in Tripolis, hat aber selbst salafistische Milizen in ihre Reihen integriert. Die so genannten Madkhali Salafisten sehen Regierungen und politische Führer als gottgegeben an und lehnen demokratische Staatsformen inklusive Wahlen ab. Die auf den 85-jährigen saudischen Imam Rabee Al Madkhali hörenden Gruppen sind auch in Ägypten und Saudi Arabien aktiv.

 

Sollte Tripolis mit ihrer Hilfe in die Hände von Haftar fallen, platzt auch der libysch-türkische Mittelmeervertrag. Erdoğan hat daher angekündigt Truppen nach Libyen zu schicken, sollte die Regierung von Premier Sarraj darum bitten. Man werde jedes mit Waffen beladene türkische Schiff oder Flugzeug angreifen, konterte LNA Sprecher Ahmed Al-Mismari.

 

Der mögliche türkische Militäreinsatz in Libyen lässt in einigen europäischen Hauptstädten die Alarmglocken klingeln, denn in Tripolis könnten sich bald türkische und ägyptische Truppen gegenüberstehen. Ägyptens Präsident Sisi kündigte schon im Staatsfernsehen an, dass man einem türkischen Einmarsch nicht tatenlos zuschauen würde und Haftar auch militärisch unterstützen wird. Libyen wäre wohl nur der Schauplatz, nicht aber der Grund für einen Krieg der Mittelmeeranrainer. Die türkische Regierung argumentiert, dass die umstrittenen gas- und ölreichen Seegebiete des östlichen Mittelmeers über dem türkischen Festlandsockel liegen.

 

Die direkten Mittelmeeranrainer Griechenland, Zypern und Ägypten protestierten scharf gegen das libysch-türkische Abkommen. »Das Memorandum verletzt die Hoheitsrechte von Drittstaaten und steht nicht im Einklang mit dem Seerecht. Daher kann es keinerlei Rechtsfolgen für Drittstaaten haben«, lautet eine EU-Erklärung vom vergangenen Freitag.

 

Der Berliner Prozess ist in Gefahr

 

Der so genannte Berliner Prozess begann mit einem Missverständnis. Der deutsche Botschafter für Libyen, Oliver Owcza, hatte am 11. September auf Twitter verkündet, dass die deutsche Initiative zur Beendigung des Kriegs um Tripolis mit einer Konferenz noch in diesem Jahr in Berlin münden könnte. In Libyen machte daraufhin das Gerücht die Runde, dass die in dem libyschen Bürgerkrieg als neutral angesehenen deutschen Diplomaten einen Waffenstillstand durchsetzen würden. Doch die von Angela Merkel persönlich angestoßene Initiative ist eigentlich nur ein Dialog mit den internationalen Partnern der libyschen Kriegsparteien.

 

Auf fünf informellen Treffen in Berlin zwischen Juli und November wurde auf Expertenebene die Beendigung der Waffenlieferungen nach Libyern erörtert. Auch Italien, Frankreich und die USA haben Spezialeinheiten im ganzen Land im Einsatz, russische Söldner kämpfen angeblich mit der LNA an der Front in Tripolis.

 

Diplomaten aus diesen Ländern sollen an einer für Februar angedachten Konferenz nach Berlin geladen werden. Tunesische, algerische und libysche Diplomaten kritisieren, bisher nicht an dem Berliner Prozess beteiligt zu sein. Ob die aktuelle Eskalation zu einer Berliner Konferenz führt oder diese verhindert ist derzeit unklar.

 

Seit dem Aufstand gegen Muammar Gaddafi im Februar 2011 gilt ein vom UN-Sicherheitsrat beschlossenes Waffenembargo. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von UN-Experten listet die Waffenlieferungen an die libyschen Kriegsparteien im Detail auf. Der Bericht des UN Panel of Experts erwähnt viele zum Berliner Prozess geladenen Länder. Deutschland hat derzeit den Vorsitz des Sanktionskommittees im UN-Sicherheitsrat inne, könnte die Embargobrecher also öffentlich kritisieren. Es ist Berlin einziges Druckmittel.

Von: 
Mirco Keilberth

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