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Attentat auf Sayyad Khodaei in Teheran

Wer hat »Jäger« ermordet?

Analyse
Attentat auf Sayyad Khodaei
Eine junge Frau beim Trauerzug in Teheran Foto: Hadi Hirbodvash Fars News Agency

Jäger und Gejagter: Das Attentat auf Sayyad Khodaei in Teheran wirft viele Fragen auf. Wer war der Oberst und warum ist so wenig über ihn bekannt?

Am vergangenen Sonntag gegen 16 Uhr Ortszeit saß ein etwa 50-jähriger Mann in der Mojahedin-e Eslam-Straße in Teheran im Auto, als sich zwei Personen auf einem Motorrad näherten und iranischen Medien zufolge fünfmal auf ihn schossen. Die Schützen flohen, der Mann im Auto starb sofort. Im Laufe des Abends verbreitete sich die Nachricht, dass es sich bei dem Getöteten um einen hochrangigen Offizier der Revolutionsgarde handelt. Zusätzlich wurden auch Bilder des Tatorts veröffentlicht.  

 

Wer der erschossene Gardist war, darüber machten zunächst unterschiedliche Informationen die Runde. In persischsprachigen Telegram-Kanälen wurde er zunächst als shekarchi (deutsch: »Jäger«) bezeichnet, weshalb einige vermuteten, dass es sich um den gleichnamigen Sprecher der iranischen Streitkräfte Abolfazl Shekarchi handele. Allerdings scheint »Jäger« im Fall des Toten nur ein Spitzname gewesen zu sein, den dieser sich womöglich auf dem Schlachtfeld erwarb.

 

Schließlich stellte sich heraus, dass es sich bei dem Getöteten um Oberst (sarhang) Sayyad Khodaei handelt. Die Website IranWire berichtete, dass dieser 1972 in Mianeh in der Provinz Ost-Aserbaidschan geboren wurde und bereits im Alter von 15 Jahren der Garde beigetreten sei. Beerdigt wurde Khodaei am Dienstagmorgen auf dem Behesht-e Zahra-Friedhof südlich von Teheran, auf dem die Gräber zahlreicher Märtyrer der Islamischen Republik liegen. Die extrem konservative Tageszeitung Kayhan nannte den Toten sardar, eine Art Ehrentitel für Generäle, was die Bedeutung Khodaeis unterstreicht. Über seine genauen Aufgaben schreiben iranische Medien allerdings nichts. Khodaei wird lediglich als »Verteidiger des Schreins« bezeichnet, was sich auf den Kampf gegen Aufständische in Syrien bezieht. Dort liegt der von Schiiten verehrte Schrein der Prophetenenkelin Zaynab.

 

Israelische Medien hingegen verbreiteten genauere Informationen zu Khodaeis beruflicher Vergangenheit: Laut Haaretz war er in die Planung von Attentaten auf israelische Diplomaten und Geschäftsleute involviert. Der Jerusalem Post zufolge soll Khodaei, den die Zeitung allerdings »Khodayari« nennt, als Kommandeur der für Auslandseinsätze zuständigen Qods-Einheit mit der Nummer 840 tätig gewesen sein: laut der israelischen Zeitung zuständig für »Waffenlieferungen nach Syrien, Terrorlogistik und Entführungen und Tötungen von Israelis und Juden weltweit«. Iran International, ein saudisch-finanzierter Exilsender, nennt Khodaei den stellvertretenden Kommandeur der Qods-Einheit, die der Revolutionsgarde angehört.

 

Die Jerusalem Post erwähnt dabei auch den Iraner Mansour Rasouli, der auf iranischem Boden von israelischen Agenten entführt und verhört worden sein soll. Vor etwa drei Wochen tauchte in israelischen Medien eine Audiodatei auf, in der Rasouli während seiner Befragung zugeben soll, er habe im Auftrag der Revolutionsgarde Attentate auf einen israelischen Diplomaten in der Türkei, einen US-amerikanischen General in Deutschland und einen Journalisten in Frankreich geplant. Laut der Zeitung handelte es sich hierbei um eine »Einheit 840« der Qods, wobei nicht klar wird, ob es sich dabei um eine Einheit in der Einheit handeln soll oder ob die Nummer 840 der Qods zugewiesen wird. Später nahm Rasouli seine Aussagen allerdings zurück und erklärte, von Kriminellen bedroht und unter Folter dazu gezwungen worden zu sein.

 

Der Journalist und Kolumnist Ali Hashem beruft sich bei Amwaj Media auf interne Quellen, nach denen Khodaei keinesfalls eine besonders bedeutende Stellung hatte, was sich auch daran zeige, dass er keinen Personenschutz hatte. Demnach sei Khodaei vor allem für die Weiterentwicklung von Drohnen und den Transfer von Raketen nach Libanon zuständig. Hashem zitiert zudem eine Quelle, die es für sehr wahrscheinlich hält, dass er im Nachrichtendienst der Revolutionsgarde tätig war.

 

Wer waren die Täter?

 

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi sprach von der »globalen Arroganz« (estekbar-e jahani), womit führende Personen der Islamischen Republik normalerweise die USA, Israel und den Westen allgemein bezeichnen. Nach Verlautbarungen der Revolutionsgarde wurde die Tat von inländischen »Verrätern« durchgeführt; die Nachrichtenagentur Fars benennt zusätzlich Israel als Auftraggeber. Hossein Dalirian, ein iranischer Verteidigungsexperte, sieht ebenfalls den Mossad hinter dem Attentat.

 

Tatsächlich weist einiges darauf hin, dass Israel involviert sein könnte. Jerusalem Post, Haaretz und andere israelische Medien lieferten zuerst Details über den Anschlag und bezeichneten den Getöteten als besondere Gefahr für Israelis und Juden weltweit. Zudem werden ähnliche Attentate auf aktive oder ehemalige iranische Nuklearwissenschaftler – so zuletzt auf Mohsen Fakhrizadeh im November 2020 – ebenfalls Israel zugeschrieben. Verteidigungsminister Benny Gantz gab dazu keinen Kommentar, was der grundsätzlichen Linie Israels in solchen Fragen entspricht.

 

Warum wurde Khodaei getötet?

 

Nicht zuletzt aufgrund der unklaren Faktenlage gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Dass ein Mitglied der Revolutionsgarde auf iranischem Staatsgebiet getötet wird, ist zunächst einmal ungewöhnlich. Iranische Medien und Regierungsvertreter berichteten in der Vergangenheit zwar hin und wieder über vereitelte Anschlagspläne. Der Wahrheitsgehalt der Berichte lässt sich jedoch nicht überprüfen. In der Vergangenheit gab es bereits vergleichbare Attentate auf iranischem Boden, doch hatten die Ziele in diesen Fällen immer einen Bezug zum Atomprogramm – mit Ausnahme von Abu Muhammad al-Masri, einer hochrangigen Figur des Untergrundnetzwerkes Al-Qaida. Revolutionsgardisten hingegen wurden in der Regel nur in Syrien aus der Luft ins Visier genommen. Oder im Irak, wie im Aufsehen erregenden Fall des Qods-Kommandeurs Generalmajor Qassem Soleimani am 3. Januar 2020.

 

Interessant ist, dass die Frage nach dem Zeitpunkt des Attentats auf Khodaei in den Berichten iranischer Medien keine große Rolle zu spielen scheint. Außerhalb Irans sehen einige Kommentatoren wie Trita Parsi vom »Quincy Institute« darin den Versuch, die Atomverhandlungen in Wien zu torpedieren. Sollte Israel tatsächlich verantwortlich sein, werde der Anschlag laut Parsi »die Stimmung in Teheran verschlechtern und jeden Kompromiss Irans über die mögliche Streichung der Revolutionsgarde von der Liste ausländischer terroristischer Gruppierungen erschweren«. Für Parsi ist ein Muster zu erkennen, wonach Attentate israelischer Agenten amerikanische diplomatische Bemühungen unterminierten. Bei den Verhandlungen in Wien gab es seit Beginn des Ukraine-Kriegs zwar wenig Fortschritte, doch bezieht Parsi sich auf Berichte, demnach die Vermittlung durch das katarische Außenministerium kürzlich zu einer Annäherung zwischen Iran und den Vertragsstaaten führte.

 

Amwaj Media hingegen beruft sich auf Informationen in iranischen Sicherheitskreisen, denen zufolge die Ermordung Khodaeis eine Reaktion auf das erfolgreiche Eindringen iranischer Drohnen in den israelischen Luftraum einige Woche zuvor sei.

 

Im Vergleich zur Ermordung des Nuklearforschers Fakhrizadeh im November 2020, bei dem offenbar ferngesteuerte Waffen zum Einsatz gekommen waren, scheint das Attentat am Sonntag in seiner Durchführung weniger komplex gewesen zu sein, Khodaei ein vergleichsweise weiches Ziel. Was den Zeitpunkt betrifft, so könnte dieser weniger politischen, sondern operativen Kriterien folgen: Mitunter schlagen Mordkommandos zu, wenn sie die Gelegenheit dazu sehen – nicht unbedingt, weil es an diesem oder jenen Tag politisch opportun erscheint.

 

Es ist ebenfalls denkbar, dass sich gerade jetzt eine konkrete und seltene Gelegenheit ergab, diese Operation durchzuführen. So könnte beispielsweise der verstärkte Einsatz von Sicherheitskräften in anderen Landesteilen und die Bündelung von Aufmerksamkeit auf die aktuellen Proteste infolge der Wirtschafts- und Umweltkrise ein Zeitfenster geöffnet haben.

 

Welche Folgen hat das Attentat?

 

Präsident Raisi versprach bei einer Pressekonferenz im Rahmen seines Besuchs im Sultanat Oman, das vergossene »Blut zu rächen«. Der Ort der Stellungnahme ist symbolträchtig: Oman gilt als Mediationsmacht mit guten Beziehungen zu Iran, die aber 2018 auch schon Israels damaligen Premier Benjamin Netanyahu empfangen hat. Wie diese Rache genau aussehen soll und gegen wen sie gerichtet sein wird, erwähnte Raisi nicht.

 

Möglich ist, dass Iran versuchen wird, israelische Ziele im Ausland anzugreifen, so wie im März beim Raketenangriff auf das kurdisch-irakische Erbil, bei dem man iranischen Bekundungen zufolge einen geheimen Mossad-Stützpunkt traf. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die iranische Führung auch Israel oder israelische Partner in der Region ins Visier nimmt, oder auch solche, die sie dafür hält. Die iranische Antwort könnte aber auch verhalten ausfallen – bisher war es Teil der iranischen Taktik, meist nicht dann zu reagieren, wenn Teherans Gegner es erwarteten.

Von: 
Marc Imperatori

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