Von Syrien über Irak bis in den Jemen: Bewaffnete Drohnen demonstrieren, wie künftig Konflikte ausgetragen werden. Wer genau hinsieht, erkennt aber, dass diese Maschinen nur die Vorboten einer weiteren Entwicklung sind.
Die Zahl der Konflikte weltweit wächst. Ob eine erneut denkbar gewordene Konfrontation zwischen Großmächten oder die zahlreichen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent, im Nahen und Mittleren Osten, im Kaukasus und der unmittelbar Peripherie Europas. Und während die westliche Welt mit der Eindämmung der COVID-19-Pandemie beschäftigt ist, kündigen sich immer tödlichere disruptive technologische Entwicklungen an.
Denn: Die von den USA als Reaktion bereits unmittelbar nach 9/11 durchgeführten Angriffe durch bewaffnete Drohnen zur Tötung von Al-Quaida-Führungskadern waren erst der Auftakt. Eine genaue Beobachtung des Gefechtsfeldes seit 2001 zeigt, dass teilautonome Systeme als wesentliches Mittel der Kriegsführung mittlerweile in allen Konflikten eingesetzt werden.
Wo gekämpft wird, wird ein nachhaltiger und umfassender Wandel in der Kriegsführung zunehmend deutlicher. So nimmt die Bedeutung – und dies zum Teil in einem entscheidenden Umfang – von unbemannten Aufklärungs- und Waffensystemen in allen Domänen der Kriegsführung zu. Bei diesen Entwicklungen sticht vor allem der Einsatz verschiedener Drohnen-Typen hervor.
Die sich überschlagenden Ereignisse in Armenien und Aserbaidschan im September und Oktober 2020 zeigen diese neue Realität. Der Krieg der Zukunft wird vor allem mit Drohnen geführt. Am potentesten hatte im Kaukasus Aserbaidschan in den letzten Jahren aufgerüstet. Baku konnte dabei auf umfangreiche Unterstützung aus dem Ausland zählen. Nicht nur bei der Beschaffung von sogenannter »Loitering«-Drohnen (umgangssprachlich »Kamikaze-Drohnen« genannt) vom Typ Harop, Orbiter 1K oder SkyStriker.
Zusätzlich beschaffte man mit einer »Medium Altitude High Endurance«-Drohne (MALE) vom Typ Hermes 900 der israelischen Firma Elbit ein potentes bewaffnetes System. Vergleichbar in seiner Leistungsfähigkeit mit den amerikanischen MQ-9 Reaper oder chinesischen Wing Long Unmanned Combat Aerial Vehicle-Systemen (UCAV).
Drohnen haben eine Machtsymetrie im Jemen hergestellt
Doch im vergangenen Jahr spielten Drohnen nicht nur im Kaukasus eine wichtige Rolle. Anfang September 2020 verkündete ein Sprecher der jemenitischen, von den aufständischen Huthis unterstützen abtrünnigen Armeefraktion, in einer Pressekonferenz, dass es gelungen wäre, den saudischen Flughafen von Abha mit eigenen Drohnen anzugreifen.
Diese Meldung wirft neues Licht auf einen Konfliktherd, der in den Medien oft vernachlässigt wird. Im Januar 2021 ließ dann ein abgewehrter Drohnenangriff auf die saudische Hauptstadt Riad aufhorchen. Es zeigt sich: Im Jemen und Saudi-Arabien tobt ein regelrechter Drohnenkrieg. Während amerikanische MALE-Drohnen vom Typ MQ-9 Reaper Al-Qaida-Kämpfer auf jemenitischem Staatsgebiet jagen, wehren sich Huthi-Rebellen gegen die Angriffe der von Saudi-Arabien geführten Militär-Koalition, in dem sie selbst mit Sprengstoff beladene Drohnen einsetzen.
So wurden am 10. Januar 2019 bei einem Angriff von Kamikaze-Drohnen vom Typ Qasef-2K auf eine Parade auf der Luftwaffenbasis von Anad nicht nur der Chef des jemenitischen regierungstreuen Militärgeheimdienstes, Generalmajor Mohammad Saleh Tamah, und weitere fünf Gäste auf der Ehrentribüne getötet, sondern auch 25 Soldaten zum Teil schwer verletzt. Eine Woche zuvor hatte eine Reaper-Drohne in Bagdad General Qasem Soleimani, den Führer der iranischen Revolutionsgarden, getötet.
Den aufständischen Huthis gelang es im Jemen, durch den Einsatz von Drohnen unterschiedlichen Typs eine gewisse Symmetrie im Konflikt herzustellen. Zwar hatte man den Bombardierungen der arabischen Koalitionsstreitkräfte nichts entgegenzusetzen, aber man war in der Lage, selbst über hunderte Kilometer Entfernung Vergeltung zu üben.
Bereits im Jahr 2017 setzten die Huthis erstmals Drohnen vom Typ Qasef-1 ein. Im Aussehen klar dem iranischen Modell Ababil-2 entsprechend, sind diese Drohnen mit einer Reichweite von 150 Kilometern und Sprengstoffzuladung bereits eine potente Waffe.
Entsprechend häuften sich In der Folge Berichte über deren Einsatz. So reklamierten die Huthis mehre Angriffe auf Ziele in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten für sich. Die teilweise über hunderte Kilometer geflogenen Attacken richten sich bislang vor allem gegen kritische Infrastruktur, darunter Flughäfen (etwa in Dubai) und Erdölanlagen (etwa saudische Pipelines).
Bereits im April 2018 schossen saudische Flugabwehrsysteme erstmals vermeintliche Drohnen über den Flughäfen von Abha und Jizan ab. Im Juli und August 2018 sollen die Flughäfen von Abu Dhabi und Dubai mit Sammad-3-Drohnen angegriffen worden sein. Im Juli 2018 erfolgte ein weiterer Angriff auf die saudische Erdölraffinerie von Riad mit einer Sammad-2. Beide Fluggeräte sollen jeweils über eine Reichweite von bis zu 1.400 Kilometern verfügen.
Die neuen Waffen können Konflikte eskalieren lassen
2018 hatte es aber nicht nur im Jemen eine Qualitätssteigerung in der Angriffsdurchführung mit bewaffneten Drohnen gegeben. Am 10. Februar 2018 gelang es einer iranischen Saegheh-2, von Syrien aus in den israelischen Luftraum zu fliegen. Es folgte zwar ein rascher Abschuss durch einen israelischen Kampfhubschrauber, beim Angriff auf die Bodenkontrollstation wurde jedoch ein israelisches F-16-Kampfflugzeug abgeschossen.
Eine Zäsur auch deshalb, weil die abgeschossene iranische Drohne frappierend an das US-amerikanische Modell RQ-170 Sentinel erinnert. Ein Exemplar dieses Typs war im Dezember 2011 im iranischen Luftraum verloren gegangen. Zuerst wurde dies von amerikanischer Seite dementiert, bis schließlich der ehemalige US-Präsident Barack Obama die »Rückgabe amerikanischen Eigentums« von Iran forderte. Iran war es also gelungen, die amerikanische Drohne nachzubauen. Das Ergebnis sind die Saegheh-2 und Shahed-171 Simorgh.
Das Bedeutende an dem Vorfall war jedoch der Umstand, dass die Saegheh-2 offensichtlich mit Sprengstoff beladen gewesen war. Eine böse Überraschung für die israelische Armee, denn der Gegner ist somit in der Lage, ein beliebiges Objekt auf israelischem Boden anzugreifen. Entsprechend öffentlichkeitswirksam wurden (u.a. auf der Münchner Sicherheitskonferenz) vom israelischen Premierminister Benyamin Netanyahu die Überreste der zerstörten iranischen Drohne präsentiert. Später im Jahr, am 1. Oktober 2018, griffen die Iraner mit mehreren Saegheh-2- dann punktgenau Ziele im Osten Syriens an.
Diese spektakulären Beispiele aus den Jahren 2018 bis heute zeigen, dass der Einsatz von Drohnen einerseits zwar zu präziseren Angriffen führt, aber auch zur Eskalation von Konflikten. Diese Waffen ermöglichen es Staaten, aus dem Verborgenen zu agieren. Die von den Huthis im Jemen eingesetzten Drohnen werden aus Iran geliefert. Der Preis für die iranische Unterstützung des Assad-Regimes, ist die Möglichkeit, die iranischen Revolutionsgarden vor den »Toren Jerusalems« operieren lassen zu können.
Der Drohnen-Einsatz führt zu immer spektakuläreren Erfolgen. So gelang es wenige Monate nach dem Angriff in Anad, im September 2019, in einer spektakulären Attacke, die bedeutenden Erdölproduktions- und Verteileranlagen Khurais und Abqaiq in der saudischen Wüste punktgenau zu attackieren.
Es folgte, was Beobachter als die »größte Unterbrechung der Ölversorgung in der Geschichte der Menschheit« bezeichnen. Der Gesamtversorgungsverlust der saudischen Anlagen soll rund 5,7 Millionen Barrel pro Tag betragen haben – mehr als die Hälfte der jüngsten Produktion Saudi-Arabiens und rund sechs Prozent des weltweiten Angebots. Hinzu kamen zwei Milliarden Kubikfuß Gasproduktion pro Tag. Und das alles als Ergebnis eines über große Entfernung geführten Drohnenangriffs.
Klar ist: Die aktuellen Konflikträume bieten ein Testgelände für die Technologieerprobung unbemannter Systeme wie Drohnen. Deren Einsatz ist mittlerweile fester Bestandteil des Konfliktraums. Und zwar nicht nur von potenten Staaten wie den USA oder Israel, sondern zunehmend auch von nicht-staatlichen Akteuren. Tatsächlich ist das Phänomen im Nahen und Mittleren Osten nichts Neues. Die Konfliktherde im Irak, Syrien, Jemen und der Levante (sprich Israel gegen seine Vielzahl an Feinden) sind bereits seit Jahren voller Berichte von sogenannten »Drohnenangriffen«.
Angriffe, die vom Einsatz improvisierter, bewaffneter Mini-Drohnen bis zu unbemannten Systemen in der Größe von Kleinflugzeugen reichen. Bereits 2004 machten israelische Soldaten eine unangenehme Entdeckung: Die libanesische Hizbullah hatte offensichtlich begonnen, kleine Drohnen zur Aufklärung einzusetzen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre wurde diese Fähigkeit weiter ausgebaut und 2006 erfolgte die nächste Überraschung: Hizbullah-Kämpfer versuchten, mit Sprengstoff bestückte Drohnen gezielt bei Angriffen gegen israelische Soldaten zu verwenden.
Terroristische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) begannen ebenfalls, in großem Umfang handelsübliche Drohnen einzusetzen. Zunächst zur Aufklärung möglicher Angriffsziele, später ließ man mit Sprengstoff beladene Mini-Drohnen auf Ziele stürzen. Beim Kampf um Mosul von Oktober 2016 bis Juli 2017 waren die irakischen Sicherheitskräfte zeitweise mit Dutzenden solcher Angriffe am Tag konfrontiert. Der IS produzierte die abgeworfenen Sprengkörper nach eigenen Qualitätsstandards und verwendete eine Vielzahl an unterschiedlichen Mini-Drohnen.
Dem Vorbild des Einsatzes von Mini-Drohnen durch den IS folgten andere terroristische Organisationen, so tauchten erste Videos der afghanischen Taliban auf, die spektakuläre Angriffe mit Mini-Drohnen verbreiteten. In der Ukraine hingegen häuften sich Berichte über solche Geräte, die von den selbst erklärten Separatisten geflogen wurden. Eine Analyse der verwendeten Modelle zeigte, dass die Fertigung der Drohnen nicht in Luhansk und Donetsk erfolgt war, sondern dass es sich um russische Armeemodelle handelte.
Eine weitere Eskalation im Einsatz solcher Techniken haben wir im Januar 2018 dann in Syrien beobachten können: Hier attackierten ganze Drohnenschwärme den russischen Luftwaffenstützpunkt Khmeimin. Mit dem Ergebnis, dass mehrere russische Kampfflugzeuge schwer beschädigt beziehungsweise zerstört wurden. Eine Analyse des Angriffs legt die Vermutung nahe, dass der Angreifer die einzelnen Drohnen über einen Leitstrahl zum Ziel dirigiert hatte – eine Fähigkeit, welche in ihrer Komplexität nicht unbedingt den syrischen Rebellen zuschreibbar ist.
Auch wenn der Urheber dieser Attacke mit Drohnenschwärmen im Dunkeln liegt, ist eindeutig, dass die Einsätze der russischen Luftwaffe entscheidend zu den Erfolgen der syrischen Streitkräfte beitragen und deren Störung im Interesse vieler Akteure liegt. So wird deutlich, dass auch der Einsatz von Mini-Drohnen nicht nur für nichtstaatliche Akteure interessant ist, sondern auch für Staaten, die unerkannt agieren wollen. Die Drohne ist dafür perfekt. Ohne Kennzeichnung und Pilot lässt sich selbst bei einem Abschuss nur anhand der Trümmerteile spekulieren, wer eventuell verantwortlich ist.
Terroristen werden die Technologie für Anschläge nutzen
Je höher die Fähigkeiten, mit welchen eine Drohne ausgestattet ist, desto höher der technische Aufwand beim Bau und Einsatz. Einfache Systeme lassen sich im Internet bestellen, größere Modelle entstammen jedoch militärischer Produktion. So wurden von den ukrainischen Streitkräften und deren Freiwilligenverbänden Modelle vom russischen Typ Forpost und Orlan-10 in der Ostukraine abgeschossen.
Deren Analyse ergab, dass diese Systeme sich zu weit mehr als nur Aufklärung eignen. So ermöglichen sie die rasche Zielzuweisung für Artilleriesysteme unterschiedlicher Reichweiten (z.B. vom Mehrfachraketenwerfer TOS-1 oder BM-21, BM-27, bzw. von Panzerhaubitzen vom Typ 2S19).
Die Liste der erfolgreich von unterschiedlichen Akteuren verwendeten Drohnen unterschiedlichen Typs und Größe ließe sich beliebig erweitern. Bemerkenswert ist jedoch, dass nicht nur für Drohnenkriegsführung bekannte Staaten, wie etwa die USA oder Großbritannien, bewaffnete Drohnen verwenden, sondern mittlerweile auch Staaten wie der Irak, Nigeria und Iran.
China hat erfolgreich eine Lücke in der globalen Waffenindustrie erkannt und liefert auf Bestellung bereits Systeme, welche in ihrer Größe und Leistung mit amerikanischen UAVs vom Typ MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper vergleichbar sind. Dankbare Abnehmer sind auch arabische Staaten und so tauchen chinesische Drohnen in Libyen oder Jemen auf.
All diese Beispiele machen klar, dass unbemannte Waffensysteme das Mittel der Wahl in der modernen Kriegsführung geworden sind – und das auch bleiben werden. Abgesehen von der berechtigten Argumentation vor allem westlicher Staaten hinsichtlich der Fähigkeit einer präziseren und somit möglicherweise humaneren Art der Kriegsführung durch Drohnen, ziehen andere Akteure einen ganz anderen Nutzen aus diesen Waffen.
Sie sind günstig und effizient und bei richtigem Einsatz erzielen sie eine strategische Wirkung. Sie ermöglichen es terroristischen Organisationen, über große Entfernung zuzuschlagen. Doch vor allem haben sie zwei große Vorteile: Der Akteur, der Drohnen einsetzt, muss sich keine Sorgen über den Verbleib menschlicher Piloten machen und die Zugehörigkeit von Wracktrümmern lässt sich immer dementieren.
Es ist also davon auszugehen, dass künftig vermehrt Flugobjekte »unbekannter Herkunft« auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt auftauchen. Es ist außerdem nur eine Frage der Zeit, bis die erste von Terroristen gesteuerte Drohne ein Fußballstadion oder eine kritische Infrastruktur in vermeintlich sicheren Staaten ansteuern wird – in verbrecherischer Absicht und mit verheerender Wirkung.
Bereits heute eignen sich Drohnen in einem hohen Maße als Waffenträger, sei es durch das Mitführen von Luft-Boden-Waffen oder durch eine Beladung mit Sprengstoff. Drohnen könnten aber auch für den Einsatz von chemischen oder biologischen Waffen verwendet werden. Würde ein derartiger Einsatz gar in Schwarmformation erfolgen, also von Dutzenden Mini-Drohnen parallel ausgeführt werden, droht eine Katastrophe.
Dr. Markus Reisner, PhD, ist Oberst des Österreichischen Bundesheeres, Fellow der Candid Foundation und Autor von »Robotic Wars« (Miles-Verlag Berlin 2018)