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Europa, Russland und Syrien

Deutschland, Russland und die syrische Karte

Kommentar
Europa, Russland und Syrien
Russische Militärpolizisten auf der Luftwaffenbasis Khmeimim in Syrien Kreml

Berlin lehnt es ab, über russische Einflusszonen zu diskutieren, hat diese aber womöglich längst anerkannt. Aus diesem Dilemma ließe sich Nutzen ziehen: für eine Friedensinitiative in Syrien.

Besonders unter westlichen Experten gehört es zum guten Ton, die deutsche und europäische Politik zu kritisieren, wenn es um deren Haltung zu Konfliktherden geht. Die EU gilt als zahnloser Tiger, der nirgends etwas bewegen kann und Deutschland als wesentlicher Faktor für diese europäische Unfähigkeit, hard power auszuüben. Die jüngsten Veröffentlichungen in klassischen und sozialen Medien zum »Russland-Problem« und der deutschen Zurückhaltung im russisch-ukrainischen Konflikt sind ein vorläufiger Höhepunkt dieses Trends.

 

Folgt man dieser Logik, so nähme Deutschland mit seiner Vorsicht in militärischen Fragen – etwa die Weigerung, die Ukraine mit Waffen zu beliefern – den Europäern die Fähigkeit, Durchschlagskraft auch im Politischen zu entfalten. Denn nach herrschender Lesart hat die Weltpolitik anscheinend nur Platz für diejenigen, die bereit sind, gnadenlos draufzuhauen.

 

Die syrische Krise wird oft als Beispiel für die Impotenz der deutschen und europäischen Außenpolitik herangezogen. In Europa, aber auch in der arabischen Welt. Wenngleich das Ausbleiben einer militärischen Intervention 2013 auf die Zurückhaltung der USA und Großbritanniens zurückzuführen ist, werden Deutschland und die EU für ihre mangelnde Entschlossenheit in Syrien kritisiert. (Im Gegensatz zu etwa Frankreich hatte Deutschland eine Beteiligung an einer solchen Intervention gar nicht erst in Erwägung gezogen).

 

Gleichwohl aber nahm die Bundesrepublik hunderttausende syrische Flüchtlinge auf, auch auf das Risiko hin, dass Teile der deutschen Gesellschaft und der politischen Basis der Regierung daran Anstoß nehmen würden. Also hätte Deutschland zwar keine aktiven Entscheidungen in Syrien getroffen, wohl aber die Folgen der Entscheidungen anderer Akteure im Konflikt ertragen.

 

Kommt die deutsche Zurückhaltung gegenüber Russland nicht einer impliziten Anerkennung einer geopolitischen Sphäre gleich?

 

Man kann diese Sachlage auch durch eine andere Brille sehen. Deutsche und europäische Politik vermieden mit ihrer Passivität nicht nur politische oder gar militärische Konfrontation mit Russland; schließlich waren die Russen im syrischen Konflikt von Anfang an diplomatisch sehr aktiv und intervenierten dann auch militärisch als Partei auf der »Gegenseite« – die Europäer unterstützten ja mehrheitlich die Opposition.

 

Für die deutsche Außenpolitik, die sich nicht nur in Syrien, sondern vor allem in der Krim-Frage mit Russland auseinandersetzen musste, stand Friedenssicherung in Europa offenbar an erster Stelle. Als russische Streitkräfte 2015 offiziell in Syrien eingriffen, war für die Europäer die Option einer militärischen Intervention vom Tisch. Dies ging allerdings mit einer Haltung einher, die hin und wieder von Diplomaten als »you break it – you own it« beschrieben wird: Russland sollte nun bitte schön dafür sorgen, dass der Krieg in Syrien zu Ende geht und ein politischer Prozess stattfindet.

 

Das Bemühen, Frieden mit Russland in Europa zu bewahren, auch wenn es nach Schwäche aussieht und keine gute Presse gibt, ist ein Wert an sich in der Außen-und Sicherheitspolitik. Man könnte dies sogar »wertgeleitete Außenpolitik« nennen, wenngleich man deutschen Politikern, die dafür eintreten, sehr oft das Gegenteil vorwirft. Ein anderer Widerspruch tritt hier allerdings zutage: Öffentlich lehnte die frühere Bundesregierung – ebenso wie die neue – das von Moskau propagierte Denken in Einflusssphären ab. Aber kommt die deutsche militärische und politische Zurückhaltung gegenüber Russland nicht einer impliziten Anerkennung einer solchen geopolitischen Sphäre gleich?

 

Deutsche Außenpolitiker scheinen fast einhellig die Meinung zu vertreten, es gebe eine Lösung in Syrien nur mit, nicht gegen Russland

 

Im Syrienkonflikt muss man diesen Eindruck gewinnen: Deutsche Außenpolitiker scheinen fast einhellig die Meinung zu vertreten, es gebe eine Lösung in Syrien nur mit, nicht gegen Russland. Dieser Logik folgte schließlich auch der »politische Prozess« in Genf, bei dem die internationale Gemeinschaft sich von Russland erhoffte, einen Ausgleich zwischen den Kräften herbeiführen zu können. Wie man weiß bisher vergeblich.

 

Verkürzt gesagt bedeutet das also, dass Deutschland und zahlreiche andere EU-Staaten Friedenssicherung mit Russland durch Anerkennung geopolitischer Interessen betreiben – verbunden mit der Erwartung, dass sich durch diese Anerkennung bessere Verhältnisse einstellen und Russland seine Aufgaben als quasi Schutzmacht produktiv bewältigt.

 

Dabei hat Russland in seiner traditionellen geopolitischen Machtsphäre auf verschiedenen Fronten zu kämpfen. Dies gilt für die Ukraine und den Schwarzmeerraum ebenso wie für Belarus, welches nicht nur ein Nachbar, sondern ein enger Verbündeter der Russen ist. Aber Präsident Lukaschenko wackelte und Moskau war sicher nicht begeistert darüber, dort nun auch noch stabilisierende Maßnahmen zu ergreifen. Nicht einmal auf Kasachstan, so wird sich der Kreml um die Jahreswende gedacht haben, kann man sich als stabilen politischen und militärischen Verbündeten verlassen. Auch dort loderten Proteste und Unruhen auf – für manche Beobachter gar der Anfang vom Ende der post-sowjetischen Ordnung.

 

Hätte Russland die militärischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten, um auch in seinen in jüngerer Zeit abgesteckten Einflusszonen »für Ordnung zu sorgen«?

 

In dieser Gemengelage darf man sich als erstes fragen, ob Russland die militärischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten hätte, um auch in seinen in jüngerer Zeit abgesteckten Einflusszonen wie Syrien »für Ordnung zu sorgen«. Und zwar gesetzt den Fall, dass es in der direkten Nachbarschaft weiterhin brodelt.

 

Unabhängig davon, wie man das russische Verhalten in der internationalen Politik bewertet, stellt sich also das Problem der Fähigkeiten und Ressourcen. Man kann von Russland nicht zu viel erwarten. Eine Außenpolitik im Sinne der Friedenssicherung mit Russland dürfte heute also nicht allein darin bestehen, den Russen ihre Einflusszonen und damit die Arbeit zu überlassen. Sondern darin, ihnen einen Teil dieser Arbeit abzunehmen und im Gegenzug auch ihren Machteinfluss etwas zu reduzieren: etwa durch eine neue diplomatische Friedensoffensive in Syrien.

 

Da Deutschland und die EU-Staaten die russischen Interessen ohnehin implizit anerkannt haben, können sie diese Lage auch im Sinne einer Friedenssicherungsstrategie nutzen und gemeinsam mit Russland, wie man ja ohnehin immer wieder betont, eine Lösung für Syrien erarbeiten. Vor dem Hintergrund der eklatanten Probleme und Herausforderungen in der Nachbarschaft könnte Syrien für Moskau etwas weniger wichtig und der Einstieg für neue deutsch-europäisch-russische Gespräche werden. So hätte die syrische Karte – erstmalig seit langem – einen Nutzen über Syrien hinaus.


Dr. Naseef Naeem ist Staats- und Verfassungsrechtler, Fellow der Candid Foundation, Forschungsleiter von Zenith Council und Autor des Buches »Der Staat und seine Fundamente in den Arabischen Republiken«.

Von: 
Naseef Naeem

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