Lesezeit: 8 Minuten
Indien, China und die Huthis

Neu-Delhis Ambitionen auf hoher See

Analyse
Indien, China und die Huthis
Die Fregatte INS Talwar wurde in Russland entworfen und gebaut. Design und Bau der Nachfolgemodelle erfolgten jedoch in Indien. U.S. Navy

Einst gehörte Indien zu den führenden Vertretern der Bewegung der Blockfreien Staaten. Die strategischen Herausforderungen an beiden Ende des Indischen Ozeans haben Neu-Delhi aber zum Umdenken bewegt. Der indischen Marine kommt künftig eine Schlüsselrolle zu.

Ohne viel Aufsehen entsandte die indische Regierung letzten Monat ein Marineschiff ins Arabische Meer. Die diskrete Art und Weise der Mission spiegelt die anhaltenden Bemühungen des Landes wider, seine strategische Ambiguität in der Außenpolitik beizubehalten. Eine Politik, die in dem Erbe als zentraler Baustein der Bewegung der Blockfreien Staaten verwurzelt ist, sich nicht in festgefügte Allianzen fügt und Eigenständigkeit in seinen Außenbeziehungen einfordert. Dennoch stellt der Flotteneinsatz eine erhebliche Abweichung von dieser Doktrin dar. Er spiegelt Indiens wachsende Besorgnis über die maritime Sicherheit in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wider. Außerdem ist das Prinzip der Blockfreiheit in einer Welt begrenzt, die das bipolare System und alle strategischen Überbleibsel des Kalten Krieges längst hinter sich gelassen hat.

 

Die im April gen Westen entsandte Fregatte INS Talwar repräsentiert in vielerlei Hinsicht diesen Wandel. Alle drei Schiffe dieser Klasse wurden in Russland entworfen und gebaut. Design und Bau der Nachfolgemodelle erfolgten jedoch in Indien. In einer multipolaren Welt müssen die aufsteigenden Mächte in der Lage sein, ihre eigene Sicherheitsarchitektur aufzubauen. Unter dem Dach der »Combined Maritime Forces« (CMF) – der von den USA geführten Partnerschaft, die sich auf maritime Sicherheit und Anti-Piraterie-Operationen im Indischen Ozean konzentriert – fing das Schiff in den ersten Wochen eine Dhau mit fast einer Tonne Rauschgift an Bord ab.

 

Die Operation war weit mehr als eine Drogenrazzia und zeitigt einen strategischen Wandel. Indien hat sich in der Vergangenheit an internationalen Militärmissionen beteiligt, bislang allerdings ausschließlich im Rahmen von UN-Mandaten. Im Gegensatz dazu fungiert die CMF mit Hauptsitz in Bahrain als untergeordnete Task Force der Fünften Flotte der Vereinigten Staaten. Washington und Neu-Delhi vertreten überdies eine ähnliche Haltung hinsichtlich der strategischen Bedrohung durch China.

 

Angriffe im Arabischen Meer stellen eine Gefahr für die Handelsschifffahrt dar und bergen die Gefahr der Destabilisierung eines für Indien essenziellen Transitraums

 

Darüber hinaus wurden seit den tödlichen Zusammenstößen zwischen chinesischen und indischen Soldaten entlang der gemeinsamen Grenze im Himalaya erneut Anstrengungen unternommen, die QUAD – ein strategisches Forum bestehend aus Australien, Indien, Japan und den Vereinigten Staaten – wiederzubeleben. Ziel des Forums ist die Aufrechterhaltung einer »freien und offenen Indo-Pazifischen Region«. China betrachtet es jedoch als einen verschleierten Eindämmungsversuch.

 

Obwohl sich ihre Interessen in vielen Belangen überschneiden, kann das Verhältnis zwischen den USA und Indien nicht als Bündnis bezeichnet werden. Tatsächlich war Neu-Delhi trotz der verstärkten Zusammenarbeit in militärischen und technologischen Bereichen bestrebt, eben jenen Begriff zu vermeiden. Selbst nachdem die Huthis ein Containerschiff mit Drohnen angriffen, das 600 Kilometer vor der jemenitischen Küste unterwegs war, signalisierten die Inder noch immer keine Absicht, sich der Ende 2023 eingerichteten »Operation Prosperity Guardian« anzuschließen. Dabei haben die Huthis unlängst angekündigt, die Reichweite ihrer Angriffe auszuweiten, um die Durchfahrt von mit Israel verbundenen Schiffen durch den Indischen Ozean zu verhindern.

 

Doch wo Indien sich in der Lage fühlt, seine außenpolitischen Interessen einseitig zu schützen, tut es dies, und zwar entschiedener als in den vergangenen Jahrzehnten. Dies könnte auf einen Mangel an gleichgesinnten Partnern zurückzuführen sein, ebenso wie auf ein wachsendes Selbstbewusstsein, die Muskeln spielen zu lassen. Angriffe im Arabischen Meer stellen eine Gefahr für die Handelsschifffahrt dar und bergen die Gefahr der Destabilisierung eines für Indien essenziellen Transitraums. Dementsprechend hat Neu-Delhi seine Marinepräsenz im Arabischen Meer durch den Einsatz zusätzlicher Patrouillen erhöht. Ein weiterer Anreiz besteht darin, dass viele Seeleute auf Handelsschiffen weltweit indische Staatsbürger sind. Erst im April Monat wurden 17 indische Besatzungsmitglieder gefangen genommen, nachdem Iran die unter portugiesischer Flagge fahrende MSC Aries in der Straße von Hormus gekapert hatte.

 

Aus Sicht Neu-Delhis nimmt die Bedrohung durch Chinas Bündnispolitik im Indischen Ozean immer konkretere Formen an

 

Ein weiterer Bereich, in dem Indiens nuancierter Ansatz zu Tage tritt, ist der Nahostkonflikt. Indien pflegt inzwischen enge Beziehungen zu Israel. Und auch wenn der Ausgang des Krieges kaum etwas daran ändern wird, blieb Indien nach den ersten Solidaritätsbekundungen unmittelbar nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober auffällig ruhig.

 

Angesichts der eigenen Geschichte unter imperialer und kolonialer Besatzung möchte Indien vermeiden, als aktiver Unterstützer eines Staates angesehen zu werden, der nach Ansicht vieler in der Gegenwart ähnliche Taten begeht. Darüber hinaus befindet sich das Land auch mitten in Parlamentswahlen. Unklar bleibt, inwiefern die antimuslimische Rhetorik von Premier Narendra Modi vor dem Hintergrund der gerade laufenden Wahlen sich auf die außenpolitischen Entscheidungen Indiens auswirken, insbesondere im Hinblick auf Fragen der regionalen Sicherheit, die in erster Linie mit Ländern mit muslimsicher Bevölkerungsmehrheit ausgehandelt werden.

 

Zugleich nimmt aus Sicht Neu-Delhis die Bedrohung durch Chinas Bündnispolitik im Indischen Ozean immer konkretere Formen an. Der Ende 2023 gewählte maledivische Präsident Mohamed Muizzu wählte für seine erste Auslandsreise nicht wie sonst üblich Indien als Ziel, sondern wurde in China vorstellig. Die Beziehungen zwischen dem Inselstaat und Indien haben einen historischen Tiefpunkt erreicht, nachdem Muizzu Indien aufgefordert hatte, sämtliche Militäreinheiten aus seinem Hoheitsgebiet abzuziehen und durch ziviles Personal zu ersetzen. Angesichts solcher Einflussverluste in der unmittelbaren Nachbarschaft ist davon auszugehen, dass Indien die Prinzipien der Blockfreiheit auch in Zukunft hinter sich lassen wird.

Von: 
Jake Glasmacher

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.