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Interview zu Russlands Ukraine-Krieg, Sudan, Iran und Israel

»Iran ist zur Drohnen-Supermacht aufgestiegen«

Interview
Interview zu Russlands Ukraine-Krieg, Sudan, Iran und Israel
Präsidialamt Ukraine

Militär-Experte Markus Reisner über die Tragweite des Zelenskyi-Besuchs in Saudi-Arabien, die Gruppe Wagner zwischen Bakhmut und Khartum – und wie sich der Schattenkrieg zwischen Iran und Israel auf Russlands Krieg gegen die Ukraine auswirkt.

zenith: Wolodymyr Zelenskyi machte vor seiner Reise zum G7-Gipfel Station in Dschidda. Was hat sich der ukrainische Präsident vom Auftritt beim Treffen der Arabischen Liga erhofft?

Markus Reisner: Etwa 60 Prozent der Staaten dieser Welt unterstützen grundsätzlich das Sanktionsregime gegen Russland. Das bedeutet aber eben auch, dass 40 Prozent auf der russischen Seite stehen oder sich zumindest nicht offen gegen Moskau stellen. Das mittlerweile elfte Sanktionspaket schadet der russischen Wirtschaft durchaus, aber hat noch nicht den Effekt, dass die russische Wirtschaft kollabiert – auch dank der Länder des globalen Südens.

 

Welche Rolle spielt die arabische Welt dabei?

Die russische Wirtschaft kann sich mehr oder weniger stabilisieren. Der Nahe Osten nimmt hier einen entscheidenden Platz ein. Institutionen wie die OPEC vereinbaren Liefermengen und regulieren den Ölpreis. Das hat Einfluss auf die Einnahmen, die Russland aus seinen Rohstofflieferungen erzielt. Zelenskyi hat dementsprechend in Dschidda seinen Fokus auf die Preispolitik der Golfstaaten gelegt. Insbesondere Saudi-Arabien tritt in diesem Feld ja immer selbstbewusster auch gegenüber den USA auf.

 

Gewinnt die Region auch in Hinsicht auf Waffenlieferungen an Bedeutung?

Im Hintergrund sind solche Lieferungen an die Ukraine sicher schon erfolgt – andere sind dafür nicht zustande gekommen. Im Jemen etwa sind verschiedene potente Waffensysteme im Einsatz, die theoretisch auch in die Ukraine geliefert werden könnten. Aber potenzielle Lieferstaaten wie Saudi-Arabien üben sich in Zurückhaltung, weil sie nicht offen in Opposition zu Russland treten möchten.

 

»Lagerbestände sowjetischer Artilleriemunition in Nordafrika hätten große Bedeutung für Kiew«

 

Während Zelenskyi am Golf Station machte, brach sein Außenminister Dmytro Kuleba nach Nordafrika auf.

Die Beziehungen zu Russland knüpfen in der Region zum Teil an die Anbindung an die Sowjetunion an. Offiziere der libyschen Armee wurden zum Beispiel in Moskau ausgebildet. Neben diesen persönlichen Beziehungen statteten die Sowjets die Armeen aus – nicht unbedingt mit komplexen Waffensystemen, sondern etwa mit Artilleriegeschützen. Diese Ausrüstung und die dazugehörige Munition sind in den Lagern noch vorrätig – die Bestände aus den Zeiten des Kalten Kriegs kommen in den Konflikten in der Region Nordafrika und Sahel immer wieder zum Einsatz. Und es handelt sich eben um dieselbe Ausrüstung, dieselbe Munition, die auch die ukrainischen Streitkräfte größtenteils nutzen. Diese Lagerbestände sowjetischer Artilleriemunition hätten dementsprechend große Bedeutung für Kiew.

 

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Gruppe Wagner in den regionalen Konflikten ein – etwa in Libyen oder zurzeit im Sudan?

Die Gruppe Wagner steht vor allem durch den Abnutzungskampf um Bakhmut im Fokus – dabei übersieht man leicht, dass sie als Instrument der russischen Außenpolitik dient. Im Osten Libyens, Mali und Burkina Faso hat Russland dank der Gruppe Wagner seinen strategischen Einfluss in der Region stetig ausgebaut. Der Sudan nimmt insofern nochmal eine besondere Rolle ein, weil das Horn von Afrika eines der Nadelöhre der Verkehrs- und Handelswege ist – ähnlich dem Suezkanal oder der Straße von Hormuz. Dementsprechend haben diese Knotenpunkte als diplomatischer Hebel viel größeres geopolitische Gewicht.

 

Ist die Gruppe Wagner angesichts der immensen Verluste in der Ostukraine in der Lage, ein solch breit gespanntes Netz aufrechtzuerhalten?

Das Outsourcen des Konfliktmanagements oder dass sich Söldner mit lokalen, regionalen und Widerstandsgruppierungen zusammentun – all das ist nichts Neues. Entscheidend ist eher der Grad der Involvierung. US-amerikanische Militärdienstleister haben ja etwa in Afghanistan und im Irak zum Teil Sicherheitsaufgaben übernommen. Im Libyen war die Gruppe Wagner mit mehreren Tausend Truppen an der Seite von General Khalifa Haftar im Einsatz – im Sudan dagegen liegt der Fokus eher auf Beratung und Logistik.

 

Wie wichtig ist das Bündnis mit Iran für Russlands Krieg gegen die Ukraine?

Iran steht seit Jahrzehnten unter einem strengen Sanktionsregime – und ist trotzdem zur Drohnen-Supermacht aufgestiegen. Das zeigt, dass Sanktionen nur bedingt wirksam sind, denn elektronische Bauteile lassen sich auf dem Weltmarkt auch über Zwischenhändler besorgen. Ob für die Huthis im Jemen oder zuletzt den Palästinensischen Islamischen Dschihad im Gazastreifen: Iranische Drohnen haben sich im Feld bewährt und sind damit ein gefragtes Gut – auch für Russland. Umso mehr, als sich der Kreml zu Beginn des Kriegs militärisch völlig verkalkuliert hatte. Im Oktober nahm man eine Kurskorrektur vor, einerseits durch zusätzliche Kräfte, andererseits in der Art und Weise der Kriegsführung. Teil davon war eine Kampagne aus der Luft gegen kritische Infrastruktur.

 

»Mich überrascht, dass auf russischer Seite bislang noch keine ballistischen Raketen aus iranischer Produktion zum Einsatz gekommen sind«

 

Welche Bedeutung kommt Geschossen aus iranischer Produktion dabei zu?

Moskaus Streitkräfte sind derzeit in der Lage, ungefähr 100 Marschflugkörper pro Monat zu produzieren. Das reicht, um einen gewissen Abnutzungseffekt zu erzielen und entsprechend Momentum aufrechtzuhalten. Aber die russischen Arsenale leeren sich und die ukrainische Luftabwehr verzeichnet beachtliche Abfangraten. Die iranischen Drohnen entfalten in dieser Gemengelage eine Wirkung, weil sie die Flak-Systeme gezielt überlasten. Weil sich die Drohnen als so nützlich erwiesen haben, hat Moskau im Gegenzug Teheran die Lieferung von Kampfflugzeugen zugesagt.

 

Liefert Iran auch andere Waffensysteme an Russland?

Mich überrascht, dass auf russischer Seite bislang noch keine der sehr leistungsfähigen ballistischen Raketen aus iranischer Produktion zum Einsatz gekommen sind. Solche Geschosse vom Typ Fateh-313 und Qiam feuerte die iranische Revolutionsgarde etwa beim Angriff auf die US-Luftwaffenbasis Ain Al-Assad im Januar 2020 ab. Ich halte es für wahrscheinlich, dass im Hintergrund zwischen Washington und Moskau eine Art Vereinbarung getroffen wurde, welche Art von Waffensystemen in der Ukraine nicht zum Einsatz kommen.

 

Ist von Israel eine Gegenreaktion in Bezug auf Irans gestiegene Bedeutung als Rüstungsmacht zu erwarten?

Iran und Israel befinden sich einerseits in einem nicht offen erklärten Krieg. Andererseits kann Israel die Realität nicht ignorieren: Und die lautet, dass Russland ein entscheidender Akteur in Syrien ist, den man nicht einfach vor den Kopf stoßen kann und mit dem man etwa bei der Sicherung des Luftraums an der Nordgrenze auf Kooperation angewiesen ist. Zelenskyi versucht, von den Israelis mehr einzufordern. Die eine oder andere Lieferung erfolgt auch, aber keine signifikante Veränderung, die den Russen wirklich Probleme bereiten würde.

 

Wie etwa das Luftabwehrsystem »Iron Dome«?

»Iron Dome« ist das bekannteste der drei israelischen Luftabwehrsysteme und ist vor allem auf die Kurzstreckenraketen der Hamas ausgerichtet. Daneben verfügt Israel über »David’s Sling« und »Arrow«, die Geschosse mittlerer und hoher Reichweite abfangen können. Diese Systeme wären für Kiew wohl von größerem Nutzen, denn die Ukraine leidet ja unter diesen permanenten Angriffen auf die kritische Infrastruktur. Und die Russen feuern diese Marschflugkörper aus großer Höhe aus der Luft oder aus der Ferne, ab, etwa von Schiffen im Schwarzen Meer.


Markus Reisner ist Historiker, Militärexperte und Offizier im österreichischen Bundesheer.

Von: 
Robert Chatterjee

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