Die jüngste Eskalation im Bergkarabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zeigt, wie der Krieg der Zukunft geführt wird. Drohnen fällt dabei eine Schlüsselrolle zu.
Wie üblich ist es erst der massive Einsatz von Gewalt, der die Welt auf einen Konflikt aufmerksam werden lässt. So jüngst geschehen in der umstrittenen Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan Ende September. Wie im durch und durch vernetzten 21. Jahrhundert üblich, dauerte es nur wenige Stunden ab Angriffsbeginn, bis zuerst in einschlägigen Foren und schließlich auf reichweitenstarken sozialen Netzwerken Videos der Kämpfe auftauchten. Sie zeigten explodierende Panzer und brennende Gefechtsfahrzeuge. Sofort begannen die Medien beider Seiten von »Abwehrerfolgen« zu sprechen.
Man könnte nun meinen, dass auch dieser Konflikt in der üblichen Art und Weise geführt würde. Mit Soldaten, Panzern, Raketenwerfern, Artillerie und dem Einsatz von Kampfflugzeugen. Doch das ist falsch. Der neu aufgeflammte Konflikt ist, analog zu den Ereignissen der vergangenen Monate in Libyen und bereits davor in Syrien und im Irak, eine Blaupause für moderne Kriegsführung.
Zuerst muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Hier zeigt sich, dass die Rüstungsanstrengungen der beiden Kontrahenten in den vergangenen Jahren bereits sehr gezielt in eine bestimmte Richtung gelenkt wurden. Beide Konfliktparteien investierten vor allem in die Anschaffung von unbemannten Systemen im militärischen Fähigkeitsspektrum Aufklärung und Wirkung.
In den Jahren 2008, 2014, 2016 und im Juli 2020 lieferten sich Armenien und Aserbaidschan heftige Scharmützel ohne klaren Ausgang.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion kommt vor allem die Kaukasusregion nicht zur Ruhe. Eine ethnische armenische Enklave auf dem Staatsgebiet des jungen Aserbaidschans wurde zum Zankapfel. Armenien gelang es, das Territorium unter seine Kontrolle zu bringen und Russland vermittelte 1994 einen Waffenstillstand. Die von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach erklärte sich zu einem unabhängigen Staat namens Artsakh, erhielt jedoch keine internationale Anerkennung.
Seit damals bricht immer wieder Gewalt aus, angefeuert von Staaten, die die Konfliktparteien im Hintergrund versorgen. In den Jahren 2008, 2014, 2016 und im Juli 2020 lieferten sich Armenien und Aserbaidschan heftige Scharmützel ohne einen eindeutigen Sieger.
Beide Seiten gruben sich entlang einer Waffenstillstandslinie ein und belauerten sich. Sie beobachteten aufmerksam die Entwicklungen in anderen Krisengebieten und rüsteten auf. Im April 2016 kam dann zum ersten Mal ein »Loitering Unmanned Aerial Vehicle« (UAV) vom Typ »Harop« (in Anlehnung an das Vorgängermodell »Harpy 1« auch »Harpy 2« genannt) zum Einsatz. Das Besondere an diesem Typ der israelischen Firma IAI: die Drohne kreist über einem Zielgebiet, sucht sich ein Ziel und stürzt sich kamikazegleich darauf.
Im April 2016 setzte Aserbaidschan Drohnen dieses Typs ein, um Artillerie- und Fliegerabwehrstellungen und sogar Busse, beladen mit armenischen Soldaten, auf dem Weg zur Front anzugreifen. Nachdem IAI nicht bereit gewesen sein soll, die steigenden Nachfragen des aserbaidschanischen Militärs zu bedienen, kam mit Aeronautics eine weitere israelische Firma ins Spiel. Sie hatte mit der »Orbiter 1K« ebenfalls eine wirkungsvolle Kamikazedrohne entwickelt, die Aserbaidschan schließlich in Lizenz als »Zarba« selbst produzierte.
Die Modelle »Harop«, »Orbiter 1K« und »SkyStriker« kaufte Aserbaidschan 2019 ebenfalls aus Israel ein.
Seit den Morgenstunden des 27. September 2020 wird nun wieder gekämpft. Diesmal bereits unter Einsatz einer ganzen Reihe unterschiedlicher Drohnensysteme. Besonders Aserbaidschan hat in den vergangenen Jahren aufgerüstet. Baku konnte dabei auf Unterstützung aus dem Ausland zählen. Nicht nur bei der Beschaffung von »Harop« und »Orbiter 1K«, sondern auch beim Modell »SkyStriker«. Diese Modelle kaufte Aserbaidschan 2019 ebenfalls aus Israel ein.
Zusätzlich beschaffte sich Aserbaidschan Drohnen-Typen, die in mittlerer Höhe operieren, in der Fachsprache »Medium Altitude High Endurance« (MALE) genannt. Etwa das Modell »Hermes 900« der israelischen Firma Elbit, das vergleichbar ist in seiner Leistungsfähigkeit mit den amerikanischen MQ-9 »Reaper« oder den chinesischen »Wing Long«-Systemen.
Armenien begann ebenfalls, ins Drohnengeschäft einzusteigen. Ausgerechnet Artsakh hat eine eigene Drohnenindustrie hochgezogen – nicht zuletzt unter dem Eindruck der beeindruckenden Erfolge der aserbaidschanischen Modelle. Firmen wie AZDynamics entwickelten mit den Typen »Krunk-9« und »Krunk-11« spätestens ab 2017 selbst potente Angriffsdrohnen.
Im Jahr 2018 kündigte Armenien an, von Artsakh gebaute Drohnen für das eigene Militär anzuschaffen. Im Jahr 2019 führte man der eigenen Bevölkerung bereits eine ganze Reihe von diesen Drohnenmodellen vor, darunter vor allem taktische Mini-UAV zur Aufklärung. Ideal, um sich gegenseitig in die Schützengräben zu spähen – und den späteren Einsatz der »Kamikaze«-Drohnen vorzubereiten.
Wie in Libyen stellen die türkischen TB2 auch in Südkaukasus ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis.
Dazu lieferten auch weitere Staaten ihre Systeme an die beiden Konfliktparteien. So sieht sich Russland als Schutzmacht Armeniens, beliefert aber beide Länder mit Waffen – und die Türkei unterstützt offen Aserbaidschan. Die aktuellen, von Aserbaidschan veröffentlichen Videos über die Erfolge ihrer Drohnen gegen die armenischen Streitkräfte ähneln stark den Bildern bewaffneter türkischer TB2-Drohnen vom Typ »Bayraktar«, die in den syrischen Kurdengebieten und in Libyen zum Einsatz kommen.
Tatsächlich liegen Berichte über erste Sichtungen türkischer TB2 im Luftraum über Bergkarabach vor. Die Türkei hatte noch unmittelbar vor dem nun ausgebrochenen Konflikt mit eigenen Truppen an einer Übungsserie in Aserbaidschan teilgenommen. Noch im Juni 2020 hatte Aserbaidschan die Anschaffung von TB2-Drohnen verkündet. Vermutlich hat man dabei auch gleich syrische Söldner eingekauft.
Die von den türkischen TB2 eingesetzten Luft-Boden-Raketen der Reihe »MAM-L« sollen auch für den Verlust mehrerer armenischer Fliegerabwehrsysteme vom Typ »9K33 Osa« und »9K35 Strela-10« russischer Herkunft verantwortlich sein. In den ersten veröffentlichten Erfolgsmeldungen der Armenier tauchen neben einem abgeschossenen Flugzeug, vier zerstörten Hubschraubern, 80 zerstörten Kampf- und Gefechtsfahrzeugen und 82 getroffenen Transportfahrzeugen bereits 49 Drohnen unterschiedlichen Typs auf.
Diese Zahlen sind sicherlich übertrieben aber sie bezeugen die Präsenz von Drohnensystemen auf dem Schlachtfeld. Die gefilmten Wrackteile an den bekannten Absturzstellen lassen sich eindeutig den genannten Drohnen-Typen zuordnen. Und wie in Libyen stellen die türkischen TB2 auch in Südkaukasus ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis. Scheinbar war es den armenischen Fliegerabwehrsystemen nicht gelungen, die angreifenden Drohnen zu entdecken. Das spricht auch für den effektiven Einsatz unterstützender Störmaßnahmen im elektromagnetischen Feld.
Wenn es so einfach fällt, ohne Risiko dem Gegner »Kamikaze«-Drohnen vorbeizuschicken, fällt wohl auch jede Hemmung, die das humanitäre Völkerrecht vorgibt.
Tatsächlich sind Drohen geradezu ideal für den aktuellen Konflikt geeignet. Insbesondere UAV-Drohnen sind billig, schwer zu entdecken und zugleich präzise tödliche Waffensysteme, für die nicht das Leben von Piloten gefährdet werden muss. Bewaffnete MALE-Drohnen ermöglichen es wiederum, ein Ziel exakt aufzuklären und auch sogleich mit Luft-Boden-Raketen angreifen zu können. Auch hier bedeutet ein möglicher Abschuss kein Risiko eines Pilotenverlusts.
Durch den Einsatz von Drohnen ist jedoch eine Eskalation programmiert. So verkündet Armenien bereits, »gezwungen zu sein«, potentere Waffensysteme einsetzen zu müssen. Darunter zählen russische Mittelstreckenraketen des Typs »Iskander M« sowie Mehrfach-Raketenwerfer-Systeme vom Typ BM-30 »Smerch« oder TOS-1 »Buratino«. Die »Buratino«-Batterien feuern thermobarische Raketen, umgangssprachlich Aerosolbomben, ab und zeichnen sich durch eine verheerende Flächenwirkung aus.
Während also viele europäische Armeen bis heute über keine potenten MALE-Systeme zum Schutz ihrer Soldaten verfügen, machen kleine Staaten in Krisenregionen oder gar terroristische Organisationen vor, wie in Zukunft Kriege geführt werden. Und wenn es so einfach fällt, ohne Risiko dem Gegner »Kamikaze«-Drohnen vorbeizuschicken, fällt wohl auch jede Hemmung, die das humanitäre Völkerrecht vorgibt.
Im 21. Jahrhundert scheinen der Unterscheidungsgrundsatz, die Verhältnismäßigkeit, das Verbot der Anwendung unzulässiger Methoden und der allgemeine Grundsatz der Menschlichkeit einer autonomen Kriegsführung zu weichen. Der aktuelle Konflikt in Bergkarabach führt uns die Parameter der Kriegsführung von morgen klar vor Augen.
Markus Reisner, PhD, ist Oberst des Generalstabsdienstes beim Österreichischen Bundesheer und Autor von »Robotic Wars«.