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Mohamed Ali und die Videos über Korruption in Ägypten

Herz, Faust und Zwinkerzwinker

Analyse
Mohamed Ali und die Videos über Korruption in Ägypten
www.facebook.com/MohamedAliSecrets

Wie schafft es ein obskurer Bauunternehmer aus dem Exil heraus, die politische Lethargie in Ägypten zu durchbrechen? zenith entschlüsselt die Tricks, mit denen Mohamed Ali Gehör findet – und warum ihm Sisi dabei in die Hände spielt.

Erst ging es ihm um ausbleibende Zahlungen, doch dann stieß Mohamed Ali aus dem spanischen Exil heraus etwas an, das weit über Rechnungsverzug und fragwürdige Ausschreibungen hinausging. Die Webcam-Videos des ägyptischen Bauunternehmers (und Gelegenheitsschauspielers) haben Ägyptens Führung kalt erwischt. Den massiven Repressionen gegen jegliche Kritik an Präsident Abdel Fattah Al-Sisi und dem Militär zum Trotz verbreiten sich die Botschaften des 45-Jährigen binnen einer Woche im Rekordtempo. Das Thema Korruption begleitet Ägyptens Bürger tagtäglich. Der Inhalt seiner Videos konnte nur deshalb solch eine Wirkung entfalten, weil Mohamed Ali den richtigen Ton traf, um seine Landsleute zu erreichen.

 

Das wichtigste Bindeglied zu seinem Publikum ist der Humor, für den die Ägypter in der ganzen Region bekannt sind. Das ägyptische Kino spielte dabei historisch eine wichtige Rolle. Der selbstironische, lakonische Ton des Volksschauspielers Adel Imam etwa hat ganze Generationen geprägt und steht sinnbildlich für den tagtäglichen Umgang mit den Instanzen von Macht und Korruption in Ägypten. Der Humor der Ägypter mutet zuweilen defätistisch an, doch er war immer auch subversiv. Er diente nicht nur dazu, sich mit Missständen zu arrangieren, sondern sie zu entlarven und an den Pranger zu stellen. Ein Freiraum für Kritik, den die Politik nicht zulässt. Kein Wunder, dass nach der Revolution 2011 bis zu 40 Millionen Ägypter die Satire-Show »Al-Barnameg« (2011-2013) von Bassem Youssef einschalteten – es ist bis heute die erfolgreichste Unterhaltungssendung in der Geschichte des Landes.

 

Mohamed Ali stellt sich in diese Tradition, um Absurdität, aber auch Unfähigkeit und Einfallslosigkeit, insbesondere in der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der ägyptischen Führung bloßzustellen. »Wir wachen morgens auf und hören von diesem neuen Megaprojekt: dem Suez-Kanal! Ist Lesseps wieder im Land?« und spielt in diesem Video vom 7. September auf den französischen Diplomaten an, der im 19. Jahrhundert für den Bau des Suez-Kanals verantwortlich zeichnete. »Alle Ägypter feiern das Megaprojekt, wir werden alle reich, weil die Dollars und Euros nur so fließen«, fährt er fort und macht sich so sowohl über den Ton der staatlich verordneten Erfolgsmeldungen lustig, kritisiert aber zugleich die tatsächlichen Ergebnisse der verfehlten Investitionspolitik: Denn die Einnahmen aus der Erweiterung der Schiffspassage liegen weit unter den überoptimistischen Verlautbarungen der letzten vier Jahre.

 

 

Mohamed Alis zentrale Botschaft lautet: Wir haben etwas Besseres verdient. Der Suez-Kanal ist nur ein Beispiel, den tief verwurzelten Nationalstolz seiner Landsleute gegen Regierung und Militär ins Feld zu führen. Dabei referiert er – mitunter mehr, mitunter weniger subtil –, auf tragende Pfeiler ägyptischer Identität. Da ist zum einen das zivilisatorische Erbe – sich selbst inszeniert Mohamed Ali da schon mal als Pharao.

 

 

»Umm al-Dunya – die Mutter der Welt« – das Selbstverständnis der Ägypter als führende Nation der arabischen Welt, im 20. Jahrhundert durch Gamal Abdul Nasser verkörpert, ist ein wichtiger Resonanzraum für Mohamed Alis Argumentation. Die – politische wie finanzielle – Machtverschiebung in der Region zugunsten der Golfstaaten geißelt er in diesem Video vom 17. September als unwürdigen Kotau. »Wir verkaufen unser Land nicht an Saudi-Arabien« – eine direkte Anspielung auf den Verkauf der Inseln Tiran und Sanafir an Riad vor zwei Jahren. »Diese großartige Nation muss den Schengen-Visa hinterherrennen«. Mit Beispielen wie diesen schärft Mohamed Ali das Bewusstsein seiner Landsleute für den Statusverlust, symbolische, aber auch tagtägliche Demütigung, und fragt: »Warum sind wir nicht so groß und mächtig wie Europa?«

 

 

Der Humor, der Populismus, sind der Kit, der seine Zuseher bei der Stange hält. Denn neben den sehr allgemeinen Kritik an den Missständen in Ägypten ist Mohamed Ali daran gelegen, auszupacken und anhand seiner eigenen Erfahrungen seine Landsleute wachzurütteln. Und er wird konkret, nennt Namen, von Baufirmen, Prestigeprojekten, Generälen, Politikern.

 

In diesem Video vom 2. September greift Mohamed Ali ein anschauliches Beispiel auf: den Bau eines Luxushotels der Kette Triumph im Kairener Vorort »5. Siedlung« am südöstlichen Rand der Hauptstadt. Das Projekt sei im Wesentlichen ein Gefallen zugunsten des Generals Sharif Salah gewesen, eines engen Vertrauten Sisis. Rund 112 Millionen Euro habe das Projekt verschlungen – für Mohamed Ali ein Paradebeispiel für Günstlingswirtschaft und verfehlte Prioritäten im Bauwesen. »Sisi beklagt doch immer, dass Ägypten so arm sei, wo kommt dann das Geld her?«

 

Mohamed Ali legt Wert darauf, dass es eben nicht nur ein paar schwarze Schafe in der Führung seien, die das System zu ihren Gunsten ausnutzten. Die Kette der Nutznießer reiche bis ganz nach oben – inklusive des Präsidenten und seiner Angehörigen. Auch aus diesem Grund wählt er im selben Video das Beispiel des Präsidialpalastes. Zu den ursprünglichen Kosten von etwa 12,3 Millionen Euro seinen noch weitere 1,4 Millionen Euro gekommen. Der Grund für den Aufschlag: Präsidentengattin Intisar Amer habe zusätzliche Anbauten und Verzierungen für die Villa gefordert. »Über Tausend Arbeiter mussten dafür rund um die Uhr schuften«

 

Gerade solche Beispiele für persönliche Bereicherung und der Kontrast zur ökonomischen Lebenswirklichkeit der meisten Ägypter erreichen sein Publikum so auch auf einer emotionalen Ebene. Umso mehr, als der Präsident seinen Bürgern einen harten Sparkurs verordnet. Die Botschaft: Der Entwicklungskurs des Regimes ist nicht nur wirtschaftlich unvernünftig, sondern sozial ungerecht.

 

 

Obwohl er einst selbst Teil des Nexus von Bauwirtschaft und Armee war – und das auch unumwunden zugibt – sucht sich Mohamed Ali von der Führungselite in Militär und Politik zu distanzieren. Er selbst stamme aus einfachen Verhältnissen, wie für die meisten Ägypter sei mehr als die staatliche Schule nicht drin gewesen. Trotz mieser Jobaussichten habe er sich hochgearbeitet – und sei schließlich an den »Mächtigen im Militär« gescheitert. Der Rekurs auf seinen eigenen Werdegang – unabhängig davon, wieviel davon tatsächlich stimmt, – beschreibt doch das kollektive Erlebnis der meisten Ägypter.

 

 

Die unsichtbaren gesellschaftlichen Schranken, die schon das Bildungssystem aufbaue, setzten nicht nur dem sozialen Aufstieg enge Grenzen, sondern dienten auch dazu, einen Großteil der Bevölkerung von der politischen Debatte auszuschließen. In diesem Video vom 18. September sieht sich Mohamed Ali dementsprechend als eine Art Aufklärer. Politische Bildung im Allgemeinen, und Sachkenntnis über das Mandat von politischen Institutionen und Amtsträgern im Speziellen will er sprachlich einfach vermitteln. Abermals dient ihm die Person Sisi als Argumentationshilfe, auf die er seine Kritik zuspitzt. Mohamed Ali geht noch einen Schritt weiter – und wendet sich direkt an den Präsidenten: »Sisi, du musst begreifen: Du bist nicht der Staat. Der Präsident muss ein Führer sein, und wenn er nicht mehr führen kann, muss er zur Verantwortung gezogen und ersetzt werden.«

 

 

Die Reihe von Videos gaben den Anstoß, doch die Reaktionen darauf sind womöglich noch viel entscheidender. Mohamed Alis wohl bester Schachzug: Er beteiligte sich daran und ermutigt sein Publikum, mitzukommentieren. Und meist am Anfang seiner Videos geht er dann auf die häufigsten Fragen ein, etwa, warum er nach fast 15 Jahren die Seiten wechselt.

 

Doch nicht nur seine Bereitschaft, sich auf das Feedback in den Sozialen Medien einzulassen, hält die Aufmerksamkeit für die Videos und ihre Botschaft hoch. Es ist nicht zuletzt Sisi höchstselbst, der Mohamed Ali in die Hände spielt. So rechtfertigte sich der Präsident im Rahmen einer Jugendkonferenz, die er am 14. September eröffnete, für den Bau von Villen und Palästen – schließlich stünden all diese Investitionen im Dienste des ägyptischen Volkes. Ein gefundenes Fressen für Mohamed Ali, der umgehend eine Reihe von Videos nachlegte, die holprigen Antworten des Präsidenten auseinandernahm und in seine Argumentationskette einfügte. Der Hochglanzlook der Veranstaltung ließ den Präsidenten ebenfalls in keinem gut Licht erscheinen, schließlich verstärkt sich so der Eindruck, dass sich hier die Elite selbst auf die Schulter klopft und Lichtjahre von der Lebenswirklichkeit der ägyptischen Jugend entfernt lebt.

 

Soweit die Dynamik der ersten beiden Phasen der Videos, die den politischen Diskurs Ägypten so unvermittelt wieder geöffnet haben. Die dritte Stufe begann parallel dazu, oder besser: Mohamed Ali integrierte eine dritte Kommunikationsebene in seine Videos: den Aufruf an seine Landsleute, die Missstände in Ägypten nicht länger hinzunehmen. »Hausaufgabe: Schluss mit der Angst!« lautet der Titel einer dieser Videos vom 16. September. Nachdem er zuvor schon einen Hashtag angeregt hatte, der die Aufmerksamkeit im Netz hochhalten sollte, rief er in diesem Video dazu auf, den Protest auf die Straße zu tragen – zumindest für eine Stunde. »Wenn mehr als 30 Millionen Menschen demonstrieren, muss Sisi zurücktreten«, so Mohamed Ali.

 

Großangelegte Protest waren von vornherein extrem unwahrscheinlich. Umso erstaunlicher, dass nach Jahren der politischen Lethargie am Freitag, dem 20. September Menschen sich doch wieder auf die Straße wagten, um ihren Unmut über das Sisi-Regime kundzutun. Videos der Demonstrationen, darunter auch vom Tahrir-Platz, teilte Mohamed Ali später auf seiner Facebook-Seite. Der Mut hatte seinen Preis: In den Tagen nach den Demonstrationen ließen die Behörden über 1000 Menschen festnehmen. Derweil hält die Aufmerksamkeit für Mohamed Alis Videos an. In seinen jüngsten Beiträgen ruft er zu Demonstrationen am 27. September auf.

Von: 
Magdolin Harmina

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