Haitham Bin Tariq Al Said (HBT) hat seinem Land zum besten Image in der Region verholfen. Nun soll der neue Sultan eine Zukunft in Wohlstand und die eigenständige Stellung des Sultanats sichern. Omans Konjunkturkonzept birgt aber große Risiken.
Fortführen«, »dabeibleiben«, »achten« – Haitham Bin Tariqs (HBT) Worte sollten einer tief trauernden und verunsicherte Bevölkerung Halt geben. Denn wer Sultan Qabus ibn Said Al Said (1940-1920), dem Übervater der omanischen Nation, nachfolgen würde, stand lange in den Sternen. Oder besser: Auf einem versiegelten Brief, so hatte es der in den letzten Jahren vom Krebs gezeichnete Herrscher veranlasst. Wer ihr neuer Herrscher wird, erfuhren die meisten Omaner also live im Fernsehen – gefolgt von der Antrittsrede.
HBT ist einer der Cousins des Sultans – Qabus' Ehe war 1979 kinderlos in der Scheidung geendet. Beide studierten im Vereinten Königreich. Doch anders als Qabus, der eine militärische Ausbildung in Sandhurst absolvierte, studierte HBT am Pembroke College – der Kaderschmiede für Diplomaten an der Universität Oxford. Es folgten 16 Jahre im omanischen Außenministerium in verschiedenen Funktionen. Anschließend wechselte HBT ins Kulturministerium, das er fast zwei Jahrzehnte leitete.
In dieser Funktion stellte er Folklorefestivals auf die Beine und hatte wesentlichen Anteil daran, dass sich Oman in den vergangenen zehn Jahren als Destination für Kulturtourismus mauserte. Und dass mit Jokha Al-Harthi 2019 erstmals eine Autorin aus dem Sultanat mit den renommierten Booker-Preis ausgezeichnet wurde, rechnet man seiner konsequenten Kulturförderung an.
Auch in seiner Familie spielt Kultur eine zentrale Rolle: Sein ältester Sohn Dhi Yazan ist ein im Oman bekannter Künstler, der mit seiner Entourage an Intellektuellen zwischen Maskat und London pendelt. Neben ähnlichen Politikschwerpunkten vereinen Qabus und HBT ihr ruhiges und besonnenes Auftreten. Im Sultanat ist nach der Machtübergabe die Ansicht verbreitet, der neue Sultan müsse »einfach« in die riesigen Fußstapfen des Vorgängers treten, möglichst wenig verändern und das bestellte Feld ernten.
Ein flächendeckendes Straßennetz, Wasser- und Stromzugang sowie kostenlose Kliniken in allen Landesteilen bis in die entlegensten Dörfer sind sichtbarer Ausdruck einer erfolgreichen Modernisierung von oben.
Auf den ersten Blick hinterlässt Qabus ein beeindruckendes Erbe: Begünstigt durch beträchtliche Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung, hatte Qabus massiv in die bis zu seiner Machtübernahme 1970 kaum existente Infrastruktur des Landes investiert. Ein flächendeckendes Straßennetz, Wasser- und Stromzugang sowie kostenlose Kliniken in allen Landesteilen bis in die entlegensten Dörfer sind sichtbarer Ausdruck dieser erfolgreichen Modernisierung von oben. Existierten vor 50 Jahren lediglich eine Handvoll Schulen auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland, haben heute Mädchen und Jungen in allen Provinzen Zugang zu kostenfreier Schulbildung. An den Dutzenden Universitäten des Landes studieren heute mehr Frauen als Männer.
Nicht zuletzt gelang es Qabus mit diplomatischem Geschick, das Sultanat aus den Kriegen im Jemen und in Syrien herauszuhalten und sich im Regionalkonflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien von keiner Seite vereinnahmen zu lassen. Stattdessen profilierte sich das Sultanat bei den iranisch-amerikanischen Geheimverhandlungen als geschätzter, weil diskreter Vermittler. HBT hat mehrfach betont, exakt diesen Weg fortführen zu wollen.
Doch der märchenhafte Aufschwung des einstigen Hegemonen am Indischen Ozean, der im 19. Jahrhundert vom ostafrikanischen Sansibar bis ins südliche Pakistan weite Teile der Küste des Weltmeers kontrollierte, hat in den vergangenen zehn Jahren gewaltige Rückschläge erfahren. Die Einnahmen aus Erdöl und Gas, die etwa 80 Prozent des Staatshaushaltes ausmachen, sind angesichts niedriger Weltmarktpreise stark zurückgegangen. Die finanzielle Krise macht die politische Unabhängigkeit zur Herausforderung: Omanische Journalisten fürchten, dass die Nachbarn Saudi-Arabien und die VAE den Thronwechsel als Gelegenheit sehen, um Oman wieder auf Linie zu bringen.
Die Luxus-Planstadt »Blue City« ging spektakulär baden. Omans Staatsfond kaufte schließlich 2012 alle Anteile auf und wickelte das Megaprojekt ab.
Innenpolitisch gerät das Modell des Rentierstaats an seine Grenzen: Steuerfreiheit und Jobgarantien für den aufgeblähten öffentlichen Sektor drücken auf die Kassen und bremsen die Modernisierungspläne. Die Staatsverschuldung steigt, die Privatwirtschaft wird von qualifizierten Arbeitsmigranten getragen, und junge Menschen finden trotz Hochschulabschluss kaum Arbeit. Laut Weltbank lag die Jugendarbeitslosigkeit 2019 bei über 40 Prozent. Die größte Herausforderung des 65-jährigen HBT besteht darin, Eigeninitiative und kreative Ansätze von privaten Unternehmen zu fördern. Dabei werden wohl IT, Logistik und Tourismus im Vordergrund stehen.
Neben der Leitung des Kulturministeriums betraute Sultan Qabus seinen Cousin damit, die Modernisierungsstrategie »Vision 2040« auszuarbeiten und umzusetzen – mit gemischtem Erfolg. So wie auch anderswo am Golf sollen Megaprojekte die Konjunktur ankurbeln. Die von HBT initiierte Luxus-Planstadt »Blue City« ging spektakulär baden. Omans Staatsfond kaufte schließlich 2012 alle Anteile auf und wickelte das Megaprojekt ab. Einen ähnlichen Fehlschlag wird sich HBT kaum leisten können. Umso mehr richtet sich der Blick auf Salalah. Das Hafenprojekt im Süden des Landes soll Oman als Umschlagpunkt für den Handel zwischen Europa, Asien und Afrika auf die Karte bringen. Und natürlich Jobs schaffen.
Doch die »Omanisierung« des Arbeitsmarktes allein wird nicht ausreichen, um die Stabilität im Land zu sichern. 2011 und zuletzt 2018/19 brach sich der Unmut über die Wirtschaftslage Bahn. Dabei richtete sich der Protest unter anderem gegen Korruption im Staatsapparat, und auch Rufe nach mehr Mitsprache der Bevölkerung im politischen System waren zu hören. Sie könnten lauter werden, sollte HBT die absolute Machtkonzentration auf seine Person nicht aufweichen. Dass ein Sultan Exekutive, Legislative und Judikative sowie die Schlüsselministerien in sich vereint, erscheint vielen Omanis nicht mehr zeitgemäß.