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Politischer Raum Golf

Geteilte See

Essay
Politischer Raum Golf

Arabische Halbinsel oder Persischer Golf? Bis heute tut man sich schwer, die Region als gemeinsamen Kulturraum zu denken. Dabei ist das der einzige Weg, sie zu verstehen.

Für die Assyrer und Babylonier war es einfach Das Meer. Deutlich differenzierter gingen die alten Römer an die Sache heran: Sinus Persicus, Persischer Golf, nannten sie das Binnengewässer zwischen iranischer Hochebene und Arabischer Halbinsel. Für Zeitzeugen dürfte dies eine maximal unspektakuläre Namensgebung gewesen sein, da die Arabische Halbinsel strategisch keine Rolle spielte und das Interesse Roms in der Region einzig den Parthern galt. Was lag da näher, als den Golf nach Persis zu benennen, der angrenzenden Provinz des Partherreichs?

 

Diese Namensgebung hatte zunächst weitgehend unangefochten Bestand, überdauerte den Aufstieg von Weltreligionen ebenso wie das Kommen und Gehen von Imperien und Kolonialmächten, ehe rund zwei Jahrtausende später ein gewisser Gamal Abd El Nasser auf den Plan trat. Der ägyptische Offizier propagierte in den 1950er- und 1960er-Jahren den Panarabismus. Seine Anhänger vertraten den Standpunkt, das Gewässer, das die Arabische Halbinsel mit Euphrat und Tigris verbindet, den Strömen des Bilad Al-Scham, sei selbstredend der Al-Khalij Al-Arabi, der Arabische Golf.

 

Vor Ort fiel die Botschaft der Nasseristen auf fruchtbaren Boden, zog sich doch Großbritannien als Kolonialmacht zurück und hinterließ die neu begründeten Staaten Bahrain, Katar, Kuwait, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Deren Stammesführer sahen sich genötigt, ihrer Herrschaft und ihren jungen Nationen Legitimität zu verleihen, weswegen sie dankbar das nasseristische Narrativ aufgriffen.

 

In Iran hingegen gibt es wohl kein zweites Thema, bei dem über sämtliche politische Lager hinweg mit Nachdruck der gleiche Standpunkt vertreten wird: Der Golf sei einzig und allein der Persische. Bei dieser Auffassung wird darüber hinweggesehen, dass auch Iranerinnen und Iraner den Namen des Gewässers ändern wollten. Im Zuge der Revolution 1979, die Ruhollah Khomeini und dessen schiitische Islamisten konfessionsübergreifend als islamisch verstanden wissen wollten, schlugen einige von ihnen eine Namensänderung zu Islamischer Golf vor.

 

Ein Intermezzo, denn 1980 griff der irakische Baathist Saddam Hussein den von revolutionären Umbrüchen gezeichneten Iran an und konfrontierte die neuen Herrscher in Teheran mit der Herausforderung, ihre Bevölkerung für den Waffengang zu motivieren. Hierzu war ihnen jedes Mittel recht. So wurde der gerade noch verpönte Nationalismus des Ancien Régime reaktiviert und seither insistiert Irans politische Führung entschieden, es gäbe nur den Persischen Golf.

 

Nur einen Monat später besetzte Pahlavi drei an strategisch sensibler Stelle gelegene, von den VAE beanspruchte Inseln nahe der Straße von Hormus

 

Dass die Namensfrage über Jahrtausende weitgehend unstrittig war, hat viel mit den geopolitischen Dynamiken der arabischen Welt zu tun. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts lagen ihre Machtzentren in der Levante. Sofern nicht in Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs, wurden die politisch und wirtschaftlich wichtigen Entscheidungen in Bagdad, Damaskus oder Kairo getroffen.

 

Doch mit dem Erdöl, dessen Nationalisierung und dem Rückzug Großbritanniens als Kolonialmacht avancierten plötzlich Abu Dhabi, Doha und Riad zu den politischen Schrittmachern der modernen arabischen Welt. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 machte diese Entwicklung für alle Welt sichtbar. Bis dahin hatten sich Ägypten, Jordanien und Syrien nicht nur vergeblich um die, wie sie es nannten, »Befreiung Palästinas« bemüht, sie mussten dabei auch demütigende Niederlagen hinnehmen.

 

Dann zückten die Golfstaaten zum ersten Mal ihr scharfes Schwert: Im Rahmen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) drosselten sie ihre Förderung, katapultierten damit die Ölpreise in die Höhe und hielten die Weltwirtschaft im Würgegriff. Zwar gelang es auch ihnen nicht, den Westen von der Unterstützung Israels abzubringen und hierdurch den Palästinensern auf dem Schlachtfeld zum Sieg zu verhelfen. Indessen schlugen sie jedoch ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts auf und setzten sich politisch an die Spitze der arabischen Welt.

 

Der Ölreichtum und dessen strategischer Einsatz durch die von Saudi-Arabien geführte OPEC veränderten auch die geopolitischen Verhältnisse am Persischen Golf selbst. Mohammad Reza Pahlavi, Irans selbsterklärter König der Könige, blickte mit Argwohn auf die Emporkömmlinge von der Arabischen Halbinsel, denen er zeigen wollte, wer das Sagen hat.

 

1971, dem Jahr der Staatsgründungen von Bahrain, Katar, Oman und den VAE, ließ Pahlavi in den Ruinen von Persepolis im Beisein zahlreicher internationaler Staatsoberhäupter ein opulentes Fest feiern. Der Anlass: das vermeintlich 2.500-jährige Bestehen der persischen Monarchie. Dieser Machtdemonstration folgten regionalpolitische Taten: Nur einen Monat später besetzte Pahlavi drei an strategisch sensibler Stelle gelegene, von den VAE beanspruchte Inseln nahe der Straße von Hormus. Zwischen 1973 und 1976 entsandte Iran Tausende Soldaten in den Oman, um dort einen marxistischen Aufstand niederzuschlagen.

 

Die Nixon-Administration wollte das Kaiserreich Iran nicht als Hegemon am Persischen Golf sehen

 

In den Vereinigten Staaten wusste die Nixon-Administration das Kaiserreich Iran zwar als Bollwerk gegen die Sowjetunion zu schätzen, wollte Teheran aber schlechterdings nicht als Hegemon am Persischen Golf sehen. In der Folge vertieften die USA ihre Allianz mit Saudi-Arabien, das seine Petrodollar vorzugsweise in Rüstungsgüter US-amerikanischer Provenienz investieren sollte und im Gegenzug weitreichende Sicherheitsgarantien von Washington erhielt.

 

Dabei sahen die USA geflissentlich darüber hinweg, dass das Königshaus der Al Saud im Innern seine Herrschaft dadurch absicherte, dass es den wahhabitischen Klerus alimentierte und auf diese Weise ganz entscheidend zur Förderung des globalen Islamismus beitrug. Teilweise spielte Washington hierbei sogar eine unterstützende Rolle, etwa in den 1980er-Jahren beim Kampf der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee.

 

Der Bruch Irans mit den USA infolge der Islamischen Revolution 1979 ordnete die Verhältnisse am Persischen Golf dann bis auf Weiteres: im Norden der expansionistische und revolutionäre Iran, im Süden die absolutistischen Golfmonarchien. Geografisch und politisch dazwischen, beinahe als Reminiszenz an die strategisch ins Hintertreffen geratene Levante, die baathistische Diktatur Saddam Husseins im Irak.

 

Mit dem Ende des Kalten Kriegs und der irakischen Invasion in Kuwait 1990 etablierten die USA eine zunehmend größer werdende Militärpräsenz in der Golfregion, auf deren Fundament schließlich 2003 eine von Washington geführte Allianz Saddam Hussein stürzte.

 

Ein zentrales Merkmal jener Ordnung, die sich in den 1970er-Jahren herausbildete, hat noch immer Bestand. Iran stellt den regionalpolitischen Status quo infrage, die Golfstaaten wollen diesen bewahren. Dort, wo es konkret wird, tritt diese Dialektik jedoch in den Hintergrund, da Riad und Teheran faktisch gleichermaßen einen Führungsanspruch in der Region um den Persischen Golf beanspruchen, ebenso wie in der islamischen Welt an sich, und ganz konkret versuchen, den eigenen Einfluss auszubauen und den des anderen zu beschneiden.

 

Eine Zäsur markierte für die arabischen Golfstaaten das letzte Jahrzehnt

 

Im Schatten der beiden Schwergewichte avancierten auch Katar und die VAE zu einflussreichen regionalpolitischen Akteuren. Abu Dhabi und Doha mischen mit, ob im Jemen-Krieg, in Libyen, am Horn von Afrika oder im östlichen Mittelmeer. Über ihre regionalpolitischen Interventionen versuchen sie, geopolitisch unverzichtbar zu werden und so das Überleben ihrer Kleinststaaten zu sichern.

 

Dabei sehen sich die Golfstaaten, speziell Katar und die VAE, in ihren jeweiligen geopolitischen Entwürfen durchaus als Rivalen. Abu Dhabi forcierte 2017 eine politische und wirtschaftliche Blockade Dohas, an der sich Saudi-Arabien, Bahrain und weitere Staaten beteiligten und die vier Jahre andauern sollte.

 

Eine Zäsur markierte für die arabischen Golfstaaten das letzte Jahrzehnt. Nicht nur leiteten die USA unter der Obama-Administration im Rahmen ihrer strategischen Ausrichtung gen Asien ihren Rückzug als externe Ordnungsmacht ein. Mit Schrecken und voller Sorge um das eigene Schicksal mussten die absolutistischen Herrschaftshäuser beobachten, wie im Arabischen Frühling in Ägypten und Tunesien langjährige Verbündete von Washington, so die Wahrnehmung, »fallen gelassen« wurden. In der Folge lösten sich die Golfstaaten von ihrer außenpolitischen Fixierung auf die USA, selbst wenn Saudi-Arabien und die VAE während der Trump-Administration noch einmal eine in jeder Hinsicht Special Relationship aufleben ließen.

 

Ein Ende der alten Ordnung zu konstatieren wäre zwar verfrüht. Gleichwohl lassen sich auf breiter Flur Entwicklungen identifizieren, die auf grundlegende Veränderungen in den kommenden Jahren hinweisen. Schon heute haben die Länder der Golfregion, darunter besonders auch die traditionell mit dem Westen verbündeten Golfmonarchien, allesamt engere und tiefere Beziehungen mit Moskau und Peking als noch vor einem Jahrzehnt.

 

So machen Saudi-Arabien und Russland nunmehr seit einigen Jahren gemeinsame Sache bei der Ölpolitik. Um westliche Befindlichkeiten, etwa im Zusammenhang mit dem Ukraine Konflikt, schert sich Riad dabei keineswegs. Iran unterstützt die russische Invasion in der Ukraine mit Drohnen, derweil praktisch alle Staaten der Golfregion Interesse an Waffenkäufen aus Russland zeigen. China ist ihr wichtigster Abnehmer von Erdöl.

 

Über all diesen Dynamiken schwebt schlussendlich als Damoklesschwert eine alles entscheidende Frage

 

Auch zwischen Golfregion und Levante entfalten sich neue Dynamiken. Mit den »Abraham-Abkommen« haben Bahrain und die VAE ihre Beziehungen zu Israel normalisiert – mit der Unterstützung Saudi-Arabiens, die zwar implizit ausfiel, aber deswegen nicht weniger tatkräftig. Die neue Partnerschaft ist besonders durch den gemeinsamen geopolitischen Rivalen Iran motiviert. Zum Tragen kommt aber auch das geteilte Interesse, autoritäre Herrscher in der arabischen Welt zu stärken, da sowohl Israel als auch die beteiligten Golfmonarchien die Folgen genuiner politischer Partizipation in der Region fürchten. Auf regionalpolitischer Ebene führten die »Abraham Accords« unterdessen zu einer Marginalisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

 

Veränderung erfährt die Region auch durch den Klimawandel, der die Länder des Persischen Golfs viel stärker treffen wird als andere Teile der Welt. Dürre und Hitze, steigende Meeresspiegel – viele Metropolen der Region liegen an Küsten – oder Sandstürme bedrohen die Lebensgrundlagen der Menschen vor Ort. Dass die Länder der Region mit ihrer Erdöl- und Erdgasförderung erheblich zum Klimawandel beisteuern, macht die Sache komplizierter.

 

Über all diesen Dynamiken schwebt schlussendlich als Damoklesschwert eine alles entscheidende Frage: Womit wollen die Länder des Persischen Golfs in einer Welt, die sich über kurz oder lang von fossiler Energie verabschiedet, künftig ihren Wohlstand sichern? Erklärtermaßen hat die Diversifizierung ihrer Volkswirtschaften für Irak, Iran und die arabischen Golfstaaten große Bedeutung.

 

In unterschiedlichem Maße können auch schon erste Leuchtturmprojekte präsentiert werden, etwa Seehäfen oder petrochemische Industrien. Einzig: Bis heute sind diese Vorhaben von der Subventionierung durch Einnahmen aus Erdöl- und Erdgasexporten abhängig. Eine Nische, in der die Golfstaaten in der internationalen Wertschöpfung auch jenseits fossiler Energie wettbewerbsfähig wären, ist bislang nicht erkennbar.

 

Bröckelt also das Fundament, auf dem die Stärke der Golfstaaten beruht, in dem Maße, in dem sich die Weltwirtschaft vom Erdöl lossagt? Kehrt in der Folge eines Tages gar das machtpolitische Zentrum der arabischen Welt von der Golfregion zurück in die Levante? Derzeit wäre dieser Schluss vorschnell. Klar aber ist, dass sich die Region um den Persischen Golf weiter verändern wird, politisch wie wirtschaftlich.

Von: 
David Jalilvand

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