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Proteste und Reform in Iran

Warum Irans Führung die Hände gebunden sind

Analyse
Proteste und Reform in Iran
Da eine Rückkehr zum JCPOA nach den ergebnislosen Verhandlungen in Wien weiter in den Sternen steht, bleiben Irans Öleinnahmen auf vorerst auf niedrigem Niveau Foto: Solmaz Daryani

Regelmäßig rollen neue Protestwellen durch Iran, die gewaltsam niedergeschlagen werden. Die Führung der Islamischen Republik steht vor einem Dilemma – und hat kaum Handlungsspielraum.

Seit Jahren macht Iran die anhaltende Dürre zu schaffen, in diesen Wochen ist die Trockenheit besonders dramatisch. Die Wasserknappheit und damit verbundenen Ernteausfälle sorgen bereits einigen Jahren für Unmut. Im November 2021 zogen Tausende Demonstranten in Irans zweitgrößter Stadt Isfahan deswegen auf die Straße. Unterdessen sendete der staatliche Sender IRIB eine Talkshow aus der Stadt.

 

Während die TV-Runde angeregt über die Schönheit der Stadt und hoffentlich friedlichen Protesten sprach, waren im Hintergrund Schüsse zu hören. Denn ungeachtet der medial zelebrierten Einigkeit waren die Proteste – wieder einmal – eskaliert, und wurden gerade einmal eine Woche nach Beginn von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen.

 

Die Szenerie im staatlichen Fernsehen ist symptomatisch: Die Regierung redet die Proteste klein und schaut oft genug schlicht weg. Doch dadurch verschwindet der Unmut nicht – im Gegenteil. Als 2019 Proteste gegen die Kürzung von Subventionen eskalierten, reagierte der Staat abermals mit voller Härte, mehrere hundert Menschen starben in der Folge.

 

Während die iranischen Behörden den Informationsfluss eine Weile blockieren konnten, unter anderem dank einer Internetsperre, setzen sich Angehörige, Überlebende und Auslandsiraner dafür ein, das Ausmaß der Gewalt sichtbar zu machen. Im Rahmen des Aban-Tribunals (benannt nach dem gleichnamigen Monat im iranischen Kalender) sammelten sie über Monate Beweismaterial und stellten im November 2021 ihre Ergebnisse im Rahmen einer Liveübertragung aus London vor – Millionen Haushalte in Iran verfolgten die Anhörungen im Netz.

 

Die Preise für Nahrungsmittel stiegen 2022 drastisch: um 43 Prozent verglichen mit dem Vorjahr

 

Trotz der staatlichen Repression brechen sich regelmäßig neue Protestwellen Bahn: Mal gehen Lehrer, mal Rentner auf die Straße. Viele der Demonstrationen werfen zudem ein Licht auf steigende Lebenshaltungskosten. So etwa im Mai 2022, nachdem die Regierung eine lange geplante Subventionsreform angekündigt hatte.

 

Die Preise für Nahrungsmittel stiegen 2022 drastisch: um 43 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Weizenprodukte verteuerten sich teilweise um 300 Prozent. Subventionsstreichungen und dadurch gestiegene Benzinpreise hatten auch die Proteste 2019 mit ausgelöst. Irans Regierung konnte also auch diesmal mit Gegenwind rechnen.

 

Dass sie sich dennoch für die Kürzungen entschied, liegt daran, dass sie längst einen waghalsigen Drahtseilakt vollziehen muss. Während Subventionen lange Zeit die Unterstützung für das System sicherten, sind sie weder besonders wirksam, noch geht es dabei mit rechten Dingen zu. Schätzungen zufolge gehen bis zu 70 Prozent der Subventionen durch Korruption und Ineffizienz verloren, bevor die Vergünstigungen überhaupt bei den Verbrauchern ankommen. Einsparungen bei Subventionen könnten der iranischen Regierung dringend benötigten Handlungsspielraum zurückgeben, den sie in den vergangenen Jahren eingebüßt hat.

 

Denn Iran kämpft weiterhin mit den Folgen des US-amerikanischen Ausstiegs aus dem Atomabkommen (JCPOA). Die daraufhin wieder in Kraft getretenen Sanktionen erzeugten 2018 eine massive wirtschaftliche Krise, die bis heute anhält. Da eine Rückkehr zum JCPOA nach den ergebnislosen Verhandlungen in Wien weiter in den Sternen steht, bleiben etwa die Öleinnahmen auf vorerst auf niedrigem Niveau.

 

Vertrauen erfordert politisches Kapital, das die Machthabenden in Iran immer seltener aufbringen können

 

Gleichzeitig steigen in Iran wie überall auf der Welt die Kosten im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Wegen der starken Dürreperiode plante Iran für das laufende Jahr Rekord-Weizenimporte, für die es seit Kriegsausbruch Rekord-Preise auf dem Weltmarkt zahlt. Aufgrund der langanhaltenden wirtschaftlichen Probleme kann die Regierung diese zusätzlichen Kosten aber nicht abfedern.

 

Sie findet sich damit in einem schwer lösbaren Dilemma wieder: Sie kann die ineffizienten Subventionen beibehalten und die Wirtschaftskrise weiter schwelen lassen. Oder sie versucht sich an einer Subventionsreform und riskiert, den Zorn der Massen auf sich zu ziehen. Denn dass die Bevölkerung die Aussicht auf ein besseres, effizienteres Sozialsystem annimmt, erfordert Vertrauen in die Absichten und die Kompetenz der Regierenden. Es erfordert politisches Kapital, das die Machthabenden in Iran immer seltener aufbringen können.

 

Das liegt auch daran, dass die Führung der Islamischen Republik den Zugang zu den Schaltstellen der Macht immer weiter einschränkt. Die Repressionen seit den Massenprotesten 2009 richteten sich ja eben auch gegen Oppositionelle, die innerhalb des politischen Systems operierten.

 

Die Wahlen zum Parlament 2020 und zur Präsidentschaft 2021 besiegelten schließlich, was sich über Jahre abgezeichnet hat: Konservative Kandidaten traten weitgehend konkurrenzlos an, da potenzielle Herausforderer nicht einmal zugelassen wurden. Irans Führung konnte so verhindern, dass sich eine nennenswerte landesweite Opposition formiert. Nun aber fehlt der Bevölkerung ein politisches Ventil, um angestauten Frust abzulassen, der sich stattdessen zunehmend auf der Straße Bahn bricht.

 

Ohne eine legale Opposition verpuffte die Kritik an Korruption im Zentrum der politischen Macht

 

Wie unflexibel und in sich geschlossen Irans politisches System geworden ist, zeigte sich Ende Mai 2022. In der südwestiranischen Metropole Abadan kollabierte ein zehnstöckiges Gebäude, Dutzende Bewohner konnten nur noch tot geborgen werden. Obwohl der Hausbesitzer enge Bande zur Politik hielt, wurde niemand aus dem inneren Machtzirkel zur Verantwortung gezogen. Ohne eine legale Opposition, die hier vorsichtig kritisch agieren konnte, verpuffte die Kritik an Korruption im Zentrum der politischen Macht. Die Wut entlud sich stattdessen auf der Straße, und wurde erneut mit Gewalt beantwortet.

 

Inmitten der anhaltenden Proteste findet sich Iran also in einer gefährlichen Balance wieder. Aus Angst vor einer erfolgreichen, landesweiten Protestbewegung schränkt das System Flexibilität und Offenheit gegenüber Kritik ein. Das führt aber gleichzeitig dazu, dass es immer schwerer fällt, den zahlreichen Protesten mit etwas anderem zu begegnen außer Gewalt. Inmitten mehrerer geopolitischer und wirtschaftlicher Krisen rächen sich zudem die politischen Versäumnisse vergangener Jahre und zwingen die Regierung dazu, auch wenig populäre und riskante Schritte zu gehen.

 

Schaffen die Machthabenden es nicht, die sozialen Krisen schnell abzufedern, dürften sich die Spannungen weiter verschärfen. Angesichts anhaltend hoher Weltmarktpreise dürfte der wirtschaftliche Druck eher zunehmen, und eine Erleichterung der Staatskasse durch erhöhte Ölverkäufe steht in weiter Ferne.

 

Ist damit zu rechnen, dass Irans Führung politische Konzessionen ins Auge fasst, anstatt mit Gewalt zu regieren? Der Mut zu Reformen, das zeigten auch die letzten beiden Regierungen unter Präsident Hassan Ruhani seit 2013, beschränkt sich auf den wirtschaftlich-sozialen Bereich und klammert politische Themen weitgehend aus. So lange die wirtschaftliche Bilanz so negativ ausfällt wie bislang, dürfte das aber kaum zur Beruhigung der Lage in Iran ausreichen.


Dr. Tareq Sydiq ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Konfliktforschung in Marburg. Vor kurzen erschien seine Promotionsschrift »Autoritäre Interessenaushandlung. Wie Iraner*innen Politik innerhalb autoritärer Rahmenbedingungen gestalten« bei Springer. Seit 2022 koordiniert er das Netzwerk »Postcolonial Hierarchies in Peace and Conflict«.

Von: 
Tareq Sydiq

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