Ramzan Kadyrow ist zum informellen Nahost-Beauftragten des Kreml aufgestiegen.
In Homs ragt die renovierte Khalid-Ibn-al-Walid-Moschee aus den Ruinen der halb zerstörten syrischen Stadt. Als die Regimekräfte Homs belagerten, war das Gotteshaus, das das Grab des namengebenden Prophetengefährten beherbergt, zu einem Symbol des Widerstands gegen Baschar Al-Assad. Die Geschosse der syrischen Armee fügten der Moschee erheblichen Schaden zu. Im Februar 2019 wurde sie wiedereröffnet. Ein Ehrengast aus dem russischen Nordkaukasus schnitt das rote Band durch: Salakh Meschiyew, seines Zeichens Mufti von Tschetschenien. »Wir in Tschetschenien gingen durch brutale Kriege und verstehen euch wie kein anderer«, so das religiöse Oberhaupt der tschetschenischen Muslime während der Zeremonie. Die Renovierungsarbeiten finanzierte die Akhmad-Kadyrow-Stiftung, benannt nach dem Vater des heutigen tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow.
Es sind Fernsehbilder, deren symbolische Kraft in Moskau sehr geschätzt wird. Russland mischte sich in den syrischen Krieg zusammen mit dem schiitischen Iran auf der Seite des Alawiten Baschar Al-Assad ein und hat die sunnitischen Oppositionskräfte massiv bombardiert. Nun kommen aber Sunniten aus Tschetschenien und bauen Moscheen in Syrien wieder auf – in Homs und in Aleppo. Russland ist gerade dabei, seinen Einfluss im Nahen Osten aufzubauen und sich als pragmatischen Vermittler zu positionieren, der allen zuhört und mit allen redet, sei es Israel, Iran oder Saudi- Arabien. Der tschetschenische Präsident spielt dabei eine besondere Rolle und bahnt Kontakte zu muslimischen Ländern an. Kein anderer Regionalpolitiker in Russland ist außenpolitisch so aktiv wie Ramzan Kadyrow.
Er ist häufig in den Golfstaaten zu Gast und empfängt Mitglieder der royalen Familien in Tschetschenien. So traf er sich bereits mehrmals mit dem saudischen Kronprinzen Muhammad Bin Salman (MBS). Ende 2018 stattete der saudische Thronfolger der tschetschenischen Hauptstadt Grosny einen Besuch ab und besichtigte sichtlich vergnügt das neue Zentrum zur Ausbildung von Spezialkräften. Auf den Höhepunkt der weltweiten Empörung um den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi konnte sich MBS sicher sein, dass er in Grosny keiner Kritik ausgesetzt sein würde, denn der tschetschenische Präsident ist ebenso bekannt dafür, dass seine Feinde überall auf der Welt auf mysteriöse Weise ums Leben kommen.
Kadyrow hat enge persönliche Kontakte nach Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain aufgebaut. Über seine Besuche wird ausführlich im tschetschenischen Fernsehen und in den sozialen Netzwerken wie Instagram und Vkontakte berichtet – dabei werden die »brüderlichen« Beziehungen zwischen den Sunniten am Golf und im Nordkaukasus betont.
Viele Kontakte in der muslimischen Welt hat Kadyrow von seinem Vater, dem ehemaligen tschetschenischen Mufti und Präsidenten Akhmad Kadyrow, übernommen, der 2004 von Islamisten ermordet worden war. Kadyrow Senior hatte als tschetschenischer Präsident die Nahost-Diplomatie der kaukasischen Teilrepublik begründet. Schon damals an seiner Seite: Ziyad Sabsabi. Der gebürtige Syrer ist heute Ramzan Kadyrows Sonderbeauftragter für den Nahen Osten und Nordafrika.
Viele Kontakte in der muslimischen Welt hat Kadyrow von seinem Vater übernommen. Der wurde 2004 von Islamisten ermordet.
Der in Aleppo geborene Sabsabi studierte in den 1980er-Jahren in Sankt Petersburg, heiratete später eine Tschetschenin und erhielt die russische Staatsbürgerschaft. Anfang der 1990er arbeitete er in Grosny für die Regierung des Separatisten Dschokhar Dudayew. Jetzt bahnt er Kontakte in der arabischen Welt für Kadyrow an und übersetzt für ihn persönlich, wenn der tschetschenische Präsident in Abu Dhabi oder Riad zu Besuch ist. »Tschetschenien könnte zu einer Brücke werden, die Russland mit den muslimischen Staaten verbindet«, sagte Sabsabi schon vor fünf Jahren. Der russische Kurs auf engere Beziehungen zu vielen arabischen Staaten sei auf lange Zeit ausgelegt.
Und die russische Regierung sei gut beraten, die muslimischen Regionen Russlands hier einzubeziehen. In Russland sind mehr als zehn Prozent der Bürger Muslime. Doch unter allen muslimischen Regionen hat Tschetschenien eine Sonderstellung. Weder Tatarstan noch Dagestan oder Inguschetien verfügen über einen Nahost-Sonderbeauftragten wie Sabsabi. Und Kadyrow persönlich hat viel darin investiert, mit seiner charismatischen und brutalen Art die Beziehungen weiter auszubauen.
»Diese Kanäle werden von Russland genutzt, um die Situation zu sondieren«, glaubt Leonid Isayew, Nahostexperte an der Moskauer Higher School of Economics. »Kadyrow ist zu einer informellen politischen Institution geworden.« Auf diese informelle, inoffizielle, »brüderliche« Art könne Kadyrow die russische Diplomatie gut unterstützen. Im Nahen Osten werde er vor allem als Vertreter Russlands gesehen. »Er wird als jemand betrachtet, der dem russischen Präsidenten besonders nahe steht«, sagt Isayew. Daher versuchten Politiker in der Region, ihre Interessen in Russland über Kadyrow durchzusetzen, der ein besonderes Verhältnis zu Wladimir Putin pflegt. Der tschetschenische Präsident wiederum weiß, wie er diese persönlichen Kontakte für sich selbst und seine politische Stellung in Russland nutzen kann.
Wer diese Machtdynamik verstehen will, muss einen Blick auf die jüngere Geschichte der Kaukasusrepublik werfen. Nach zwei Kriegen um die Unabhängigkeit wird die Republik durch einen informellen Pakt zwischen dem Kreml und Kadyrow unter Kontrolle gehalten. Die ehemaligen Separatisten Akhmat Kadyrow und sein Sohn Ramzan sind im zweiten Tschetschenien-Krieg auf die Seite von Moskau gewechselt.
Heute darf Kadyrow die Nordkaukasus-Republik wie sein Lehen regieren. Gewalt und brutale Repressionen gegen Kritiker, Korruption und Missachtung von Bundesgesetzen – dem 42-jährigen tschetschenischen Präsidenten wird vieles verziehen, solange er Putin gegenüber loyal bleibt. Doch diese Sonderstellung birgt auch Gefahren. »Kadyrow muss sich entwickeln. Tschetschenien ist ihm zu eng«, sagt die Nordkaukasus-Expertin Yekaterina Sokiryanskaya, die den Petersburger Thinktank »Zentrum für Analyse und Konfliktprävention« leitet. »Er ist ein junger, ambitionierter und sehr herrschsüchtiger Mann. Aber mit seiner Biografie, seinem Bildungsniveau und seinem Führungsstil ist es nicht möglich, ihn auf eine andere Position zu versetzen oder zu befördern.«
Spenden an die Akhmad-Kadyrow-Stiftung sind offiziell freiwillig. De facto können sich Tschetschenen nicht weigern, einzuzahlen.
Schon seit Jahren versucht Kadyrow, seine Macht auszuweiten. Mal präsentiert er sich als Anführer aller Muslime in Russland. Mal will er mehr Einfluss auf die gesamte Region Nordkaukasus. Und nun ist er zu einem informellen Gesandten des Kreml in der arabischen Welt aufgestiegen. »Das ist ein Kanal zur Selbstverwirklichung, den der Kreml ihm ganz bewusst einräumt, um seine Loyalität zu sichern«, sagt Sokiryanskaya. »Aber im Kreml versteht man auch alle Risiken, die mit Kadyrow verbunden sind. Deshalb werden ihm auch rote Linien aufgezeigt, damit er nicht zu stark wird, um in einem bestimmten Moment zur ernsthaften Gefahr für die russische Sicherheit zu werden.«
Ein Beispiel für solche roten Linien ist Syrien. Aus militärischer Sicht hat Tschetschenien dort eine wichtige Rolle gespielt. Noch vor Beginn der russischen Intervention hatte Kadyrow immer wieder angedeutet, dass er Augen und Ohren in Syrien habe. Hunderte Tschetschenen schlossen sich dschihadistischen Milizen in Syrien und Irak an. Offenbar waren darunter auch Agenten der russischen Geheimdienste. Im Februar 2016, als Russland noch die Präsenz seiner Bodentruppen in Syrien offiziell dementierte, prahlte Kadyrow im russischen Staatsfernsehen damit, dass seine Leute in Syrien militärische Aufklärung betreiben. »Die besten Kämpfer der Republik wurden geschickt«, sagte er. »Sie sammeln Informationen über die Zusammensetzung und Anzahl der Terroristen, bestimmen Ziele für Luftanschläge und halten ihre Ergebnisse fest.«
Später wurde Militärpolizei aus Tschetschenien und Inguschetien nach Syrien geschickt – offenbar um der sunnitischen Bevölkerung zu zeigen, dass sunnitische Soldaten als Gegengewicht zu schiitischen Milizen für Sicherheit sorgen können Mufti Salakh Meschiyew sowie Adam Delimkhanow, ein weiterer Vertrauter Kadyrows, der für die Putin-Partei »Einiges Russland« in der Duma sitzt, fahren regelmäßig nach Syrien. Beide trafen sich bereits mit Baschar Al-Assad. Kadyrow selbst hingegen war noch nie in Syrien und hat sich bislang auch nicht mit Assad getroffen. In Moskau wird das als klares Zeichen gewertet: Wenn es um Syrien geht, hat das russische Verteidigungsministerium die Hosen an. Politisch nützlich ist Kadyrow eher in den Verhandlungen mit den Golfstaaten über die mögliche Rückkehr Syriens in die Arabische Liga, vermuten Analysten wie Isayew.
Außerdem bedient sich Tschetschenien der Elemente sogenannter Soft-Power-Diplomatie. Dazu zählen die Verteilung von humanitären Hilfsgütern oder der Wiederaufbau von Moscheen, so wie in Homs oder Aleppo. Das Geld fließt aus der Akhmad-Kadyrow-Stiftung, die als privater Geldbeutel von Kadyrow gilt. Spenden an die Stiftung sind offiziell freiwillig, doch eigentlich können sich Tschetschenen nicht weigern, einzuzahlen. Beamte in der Kaukasusrepublik etwa müssen einen Anteil ihrer Gehälter an die Stiftung spenden. Unternehmen in Tschetschenien und tschetschenische Geschäftsleute in anderen Regionen Russland müssen ebenso ihren Beitrag leisten. Die Geschäftstätigkeit der Stiftung ist äußerst intransparent, auch wenn die tschetschenische Regierung das stets dementiert.
Von seiner Diplomatie im Nahen Osten hofft Kadyrow auch selbst zu profitieren. Zum einen ist er auf der Suche nach Investitionen in Tschetschenien. Der Haushalt der Republik hängt zum Großteil von Überweisungen aus Moskau ab. Die russische Wirtschaft ist aber in keinem guten Zustand, es gibt kaum Aussicht auf Besserung, und auch ein neuer Geldregen wie nach Ende des Zweiten Tschetschenien-Krieges Anfang der 2000er ist unwahrscheinlich.
Doch auch die Golfstaaten halten sich mit Großinvestitionen bislang zurück. Ausnahme und Vorzeigepartner ist der Scheich-Zayed-Fonds aus den VAE, der tschetschenische Unternehmen in den kommenden zehn Jahren mit 300 Millionen US-Dollar fördern will. Daneben investieren die VAE in die Universität und ein Fünf-Sterne- Hotel in Grosny. Ein Investment-Boom sieht anders aus. Kadyrow ist bereit, für gute Beziehungen zu den Golfstaaten einige Augen zuzudrücken. So werden in Tschetschenien etwa Salafisten verfolgt, weil Kadyrow im Salafismus eine Gefahr für seine Herrschaft sieht. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien zu pflegen.
Doch der Nahe Osten könnte auch der Endpunkt für Kadyrows Karriere werden. »Sollten sich die Eliten in Russland radikal verändern, wird es für Kadyrow schwierig sein, sich mit dem Kreml zu einigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er dann entweder fliehen oder Krieg führen muss. Für die erste Variante bereitet er sich Zufluchtsorte im Nahen Osten vor«, so Expertin Sokiryanskaya.