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Saudisch-ägyptische Beziehungen

Große Koalition

Analyse
Saudisch-ägyptische Beziehungen
Der niedrige Ölreis führte dazu, dass Saudi-Arabien keine direkten Finanzhilfen mehr nach Ägypten sendet. Foto: The White House

Saudi-Arabien macht Ägypten den Rang als arabische Führungsmacht streitig. Das macht das Bündnis der beiden Staaten ziemlich kompliziert.

1979 war der Tiefpunkt. Durch die Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Israel fiel Ägypten in der arabischen Welt in Ungnade. Das Land wurde aus der Arabischen Liga ausgestoßen, diplomatische Beziehungen wurden eingefroren und Hilfszahlungen eingestellt.

 

Die Eiszeit mit Saudi-Arabien war allerdings kurzlebig. Finanzielle Hilfen sowie günstige Kredite flossen bald wieder ins Land am Nil. Präsident Anwar Al-Sadat war angewiesen auf militärische und wirtschaftliche Unterstützung und sah nach der gescheiterten Politik seines Vorgängers Gamal Abdel Nasser und der wirtschaftlichen Not die Lösung in einer engen Anbindung an den Westen.

 

Washington statt Moskau, der neue Kurs Sadats stieß in Saudi-Arabien auf großes Wohlwollen. Und schließlich läutete der ägyptische Präsident das Ende des »arabischen Kalten Krieges« ein, in dem sich Panarabisten, Sozialisten und Säkularisten hinter Nasser versammelt und sich gegen die von Saudi-Arabien angeführten Monarchisten und Wahhabiten gestellt hatten.

 

Unter Hosni Mubarak, der 1982 nach der Ermordung Sadats an die Macht kam, vollzog sich auch formell die Reintegration Ägyptens in die arabische Staatengemeinschaft. Die Abhängigkeit von saudischen Petrodollars im Blick pflegte Mubarak enge persönliche Kontakte zum saudischen Königshaus.

 

Nach der irakischen Invasion Kuwaits 1991 entsendete Ägypten in einem symbolischen Akt der Solidarität 35.000 Soldaten nach Saudi-Arabien. Unter Mubarak intensivierte sich auch die militärische und wirtschaftliche Unterstützung der USA für Ägypten. Auch das lag im Interesse Saudi-Arabiens, da das Königreich die USA als zentralen Pfeiler seiner sicherheitspolitischen Interessen betrachteten – vor allem gegenüber dem Erzfeind Iran.

 

Ägypten als bevölkerungsreichstes Land der Region mit der größten Armee ist für die Saudis ein zentraler Verbündeter in der Auseinandersetzung mit Iran. Die iranische Revolution 1979 war für Saudi-Arabien ein traumatisches Ereignis. Das Königshaus sah sich durch die iranischen Machtambitionen und die Politik des Revolutionsexports fundamental bedroht. Die Angst vor der Mobilisierung schiitischer Gruppierungen im eigenen Land und in den Nachbarstaaten wuchs.

 

Während Mubaraks Amtszeit verschob sich das Machtverhältnis zwischen beiden Ländern weiter zugunsten Saudi-Arabiens. Wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Lage in Ägypten nahm die finanzielle Abhängigkeit vom reichen Golfstaat zu.

 

Um nicht als minderwertiger Partner in dieser Beziehung dazustehen, betonte Kairo stets die Stärke seiner Armee und deren sicherheitspolitische Bedeutung für die Golfstaaten. Die finanzielle Schieflage konnte dies allerdings nicht kaschieren. Die wirtschaftlichen und sozialen Missstände sowie Korruption und gravierende Menschenrechtsverletzungen waren dann auch Auslöser der Proteste im Januar 2011, die Mubarak zum Rücktritt zwangen.

 

Saudi-Arabien reagierte schockiert auf die Absetzung Mubaraks und anderer Machthaber in Nordafrika. Das Königreich fürchtete Instabilität in der Region, aber vor allem, dass islamistische Gruppierungen den neu entdeckten politischen Aktivismus und die Mobilisierung der Bevölkerung nutzten, um die Legitimität der Monarchie anzuprangern. Die demokratische Wahl des Mitglieds der Muslimbruderschaft Muhammad Morsi zum ägyptischen Präsidenten 2012 verstärkte die Ängste. Plötzlich gab es im sunnitischen Islam ein mehr oder weniger demokratisch legitimiertes Konkurrenzmodell.

 

Morsis Annäherung an Iran schürte die Ängste weiter. Der erste Staatsbesuch des neuen ägyptischen Präsidenten führte ihn dann allerdings im Juli 2012 nach Saudi-Arabien. Morsi betonte, wie wichtig ihm die Sicherheit der Golfregion sei. Auch ihm war klar, dass die marode ägyptische Wirtschaft dringend Hilfen vom Golf benötigte.

 

Das saudische Misstrauen konnte so zwar nicht ausgeräumt werden, doch aufgrund der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Abhängigkeiten kam es nicht zum Bruch. Handels- und Investitionsvolumina blieben auf dem gleichen Niveau. Und 2012 und 2013 beteiligten sich die ägyptischen und saudischen Streitkräfte an gemeinsamen Manövern.

 

Nach dem Sturz Morsis und der Machtübernahme des Feldmarschalls Abdel-Fatah Al-Sisi nach der Präsidentschaftswahl 2014 herrschte in Ägypten wieder ein Staatsoberhaupt, das aus saudischer Sicht vertrauenswürdig war. König Abdullah Ibn Abdulaziz und sein Nachfolger Salman verfolgten dabei jedoch unterschiedliche Strategien.

 

Unter Abdullah wurde Saudi-Arabien zum zentralen Unterstützer der neuen ägyptischen Führung. Beide vereinte der Kampf gegen die Muslimbruderschaft und ihnen nahestehende Gruppen. Zudem bewahrte Saudi-Arabien den ägyptischen Staat vor einem sehr wahrscheinlichen Bankrott.

 

Milliarden US-Dollar flossen ins Land in Form von Finanzhilfen, zinsfreien Krediten und Entwicklungshilfe. Im Gegenzug wurde von Ägypten erwartet, den Kampf gegen die Muslimbruderschaft zu intensivieren, saudischen Investitionen Schutz zu gewähren und die wirtschaftlichen Missstände anzugehen.

 

Im Januar 2015 starb König Abdullah. Salman steuerte einen neuen Kurs an, da die Muslimbruderschaft zu dem Zeitpunkt zerschlagen war. Seine Hauptsorge galt der Expansion des iranischen Einflussbereichs und dem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS). Beide stellten Saudi-Arabiens religiöse Vormachtstellung infrage und wurden in Riad als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Die Muslimbruderschaft und ihr angegliederte Gruppen in der Region sah Salman nicht mehr als Hauptfeind.

 

Der Aufstieg der Muslimbrüder war für Saudi-Arabien ein Schock

 

Im Kampf gegen den IS benötigte Riad Länder wie die Türkei oder Katar an seiner Seite, auch auf dem Schlachtfeld in Syrien wurden sunnitische Verbündete für den Widerstand gegen Assad und Iran gesucht. Daher pflegte Salman einen eher pragmatischen Umgang mit politischen Islamisten und deren Unterstützern. Dieser Kurswechsel verstörte die ägyptische Führung. Die Muslimbrüder sieht sie weiterhin als bedrohlichste Konkurrenz.

 

Auch bei der Frage einer arabischen Armee konnten beide Mächte keine Einigung finden. Anfang 2015 verlautbarte Sisi die Idee eines gemeinsamen institutionalisierten Militärbündnisses. Sein Ziel war, politisches Gewicht in der Region wiederzuerlangen. Saudi-Arabien wiederum ist bis dato eher interessiert an Ad-hoc-Koalitionen, um sicherheitspolitische Abhängigkeiten von anderen Ländern, auch Ägypten, zu vermeiden.

 

Die militärische Operation im Jemen, die im März 2015 startete, erfolgte genau nach diesem Muster. Ägypten ist zwar Teil der Koalition, blieb mit seinem Engagement aber hinter den Erwartungen der Saudis zurück. Und anders als das saudische Königshaus kann die ägyptische Führung durchaus damit leben, wenn Assad in Syrien an der Macht bleibt. Zudem intensivierte Kairo die Beziehungen zum Assad-Verbündeten Russland. Die unterschiedlichen Prioritäten und Strategien werden von Saudi-Arabien durchaus mit Argwohn betrachtet.

 

Neue Investitionsprojekte, Kredite und Entwicklungshilfe wurden weiterhin vereinbart, direkte Finanzhilfen aus Saudi-Arabien flossen aber nicht mehr ins Land. Für die neue Sparsamkeit gab es Gründe: der niedrige Ölpreis, die hohe Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit der Reform des Rentierstaates sowie die erheblichen Kosten für den Jemen-Krieg.

 

Nicht zuletzt war Saudi-Arabiens Geduld aufgrund ausbleibender wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Fortschritte in Ägypten unter Sisis Führung ausgereizt. Die Veröffentlichung von Tonaufnahmen, in denen Sisi und weitere Vertraute sich abfällig über die Golfstaaten äußerten, sorgte zusätzlich für Verstimmung. Allerdings sollten sich die Wogen wieder glätten, auch dank der Ernennung von Muhamad Bin Salman (MBS) zum Kronprinzen im Juni 2017.

 

Sisi war sich trotz des angespannten Verhältnisses der existenziellen Bedeutung Saudi-Arabiens für Ägypten bewusst. Dies bewog ihn 2016 zu einer innenpolitisch und juristisch bis heute höchst umstrittenen Entscheidung: dem Verkauf der beiden ägyptischen Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien im Gegenzug für milliardenschwere saudische Investitionen.

 

Der Deal führte in der ägyptischen Gesellschaft zu einem Aufschrei, schweißte aber die beiden Regierungen wieder enger zusammen. Die erste offizielle Reise des saudischen Thronfolgers führte im März 2018 auch nach Kairo. MBS verfolgt nämlich das Ziel, im Süden des Sinai auf geleastem ägyptischem Land eine Megastadt namens »Neom« zu bauen. Auch Ägypten soll sich an der Geschäfts- und Industriezone beteiligen.

 

Der Konflikt mit Katar bot beiden Seiten einen weiteren gemeinsamen politisch-strategischen Nenner. Ägypten beteiligte sich an der im Juni 2017 verhängten Blockade des Emirates, um Dohas Unterstützung islamistischer Akteure sowie die Beziehungen zu Iran zu unterbinden. Der wahre Drahtzieher der Katarkrise war allerdings der Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate, Muhammad Bin Zayed (MBZ). Er gilt als politischer Ziehvater und Vorbild von MBS.

 

Auch im Nahostkonflikt überschneiden sich die Interessen auf beiden Seiten des Roten Meeres, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Selbst Saudi- Arabien strebt heute eine Normalisierung an, um die Anti-Iran-Allianz zu stärken. Die Gegnerschaft zu Iran ist dem Königreich alles wert. Ägypten wiederum braucht Israel, um islamistische Extremisten auf dem Sinai sowie im Gazastreifen zu bekämpfen.

 

Ägypten, das bevölkerungsreichste Land der Region, und Saudi-Arabien als stärkste Volkswirtschaft befinden sich heute in einem asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnis. Ägypten ist viel stärker angewiesen auf Saudi-Arabiens Wohlwollen und Unterstützung. Das einstige ägyptische Kapital in dieser Beziehung scheint zu verblassen.

 

Die ägyptischen Fachkräfte sind im Königreich längst nicht mehr so begehrt wie früher – wegen des verheerenden ägyptischen Bildungssystems auf der einen und der geplanten »Saudisierung« der Wirtschaft im Golfstaat auf der anderen Seite. Und die Zweifel an den Fähigkeiten der ägyptischen Streitkräfte haben dazu geführt, dass Riad die Größe der ägyptischen Armee nicht mehr ohne Weiteres als Sicherheitsgarantie ansieht. So ist in den vier Jahrzehnten seit 1979 immer deutlicher geworden, dass Saudi-Arabien in der Beziehung mit Ägypten am längeren Hebel sitzt.

Von: 
Dina Fakoussa

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