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Türkische Drohnen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine

Drohnen über dem Schwarzen Meer

Analyse
Türkische Drohnen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyi empfängt Recep Tayyip Erdoğan im Februar 2020 zum Staatsbeuch in Kiew. Präsidialamt Ukraine

Die Debatte um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ist wenig ergiebig. Längst hat die Ukraine andere Bündnisse geschlossen. Auf einen Wahlsieg der Grünen wird man in Kiew dennoch hoffen.

Leichtsinnig und verantwortungslos: Am Ende eines medial eng begleiteten Erregungszyklus sah sich mit Gerhard Schröder selbst ein früher Bundeskanzler dazu veranlasst, Robert Habeck in die Parade zu fahren. Waffen für die Ukraine seien ein »wenig hilfreicher« Vorschlag, führt Schröder aus und diagnostiziert dem Ko-Vorsitzenden der Grünen einen Mangel an politischer Erfahrung. Damit hat sich nur eine Woche nach Habecks Frontvisite ein ansehnlicher Teil des politischen Spitzenpersonals an ihm und seiner Forderung abgearbeitet.

 

In welchem Verhältnis staatstragende Bedenken und Wahlkampf induzierte Nervosität hier zueinander stehen, wird das politische Feuilleton in den nächsten Wochen auszuloten wissen. Habeck jedenfalls steht mit seiner Forderung in der Tradition von Marieluise Beck, die bereits 2015 gefordert hatte, Waffenlieferungen an Kiew zumindest nicht auszuschließen – Ablehnung kam schon damals von der Parteispitze und dann auch von der Bundesregierung. Nicht überraschend also, dass die Ukraine andere Verbündete gesucht und gefunden hat. Ein Schlüsselpartner: die Türkei.

 

Am 25. Januar feierte die »strategische Partnerschaft« zwischen den beiden Schwarzmeer-Anrainern ihren zehnten Jahrestag. Verhandelt und abgeschlossen noch vom kurz darauf aus der Ukraine verjagten Wiktor Janukowytsch und dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan, hat sich das Bündnis seither als bemerkenswert resilient erwiesen. Es überstand mehrere Machtwechsel in der Ukraine, den Beginn des Kriegs im Osten, Russlands völkerrechtswidrigen Anschluss der Krim, Spannungen zwischen Moskau und Ankara in Folge des Syrien-Kriegs und den gescheiterten Putschversuch 2016 in der Türkei.

 

»Das hat die gesamte Sicherheitsarchitektur in der Schwarzmeer-Region verändert«

 

Die Analystin Yevgeniya Gaber hat von 2014 bis 2018 in der ukrainischen Botschaft in Ankara gearbeitet und dabei die stetige Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern erlebt. »Der größte Meilenstein war 2014 der Beginn der russischen Aggression und die Besatzung der Krim«, erinnert sie sich im Gespräch mit zenith in Kiew. »Das hat die gesamte Sicherheitsarchitektur in der Schwarzmeer-Region verändert«, glaubt Gaber, die heute zu diesen Fragen forscht und berät.

 

Während Berlin mit Sanktionen gegen Russland und ziviler Entwicklungshilfe für die Ukraine reagiert, entspannt sich eine zunehmend enge Kooperation zwischen Ankara und Kiew – mit erstaunlichen Ergebnissen. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern betrug 2020 bereits über vier Milliarden Euro und soll sich in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Hinzu kommen rund 400 Millionen Euro an Direktinvestitionen aus der Türkei. Rund 1,6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer machen jedes Jahr Urlaub an türkischen Stränden.

 

Entscheidender aber ist derzeit die Kooperation im militärischen Bereich. Am 10. Mai, nur wenige Tage nachdem ein Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze nicht mehr zu leugnen war, trifft Präsident Wolodymyr Zelenskyi zum Staatsbesuch in Ankara ein. Warme Worte finden die Staatschefs füreinander, es ist nur einer von mehreren Besuchen in den vergangenen Monaten. Auch wenn Erdoğan eine »friedliche und diplomatische« Lösung der Krise anmahnt, trägt die türkische Rüstungsindustrie maßgeblich zur Verteidigungsbereitschaft Kiews bei.

 

Der Stolz der türkischen Rüstungsindustrie hat sein Potenzial unlängst auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres unter Beweis gestellt

 

Zentral sind dabei Verkauf und Lieferung von Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar-TB2. Der Stolz der türkischen Rüstungsindustrie hat sein Potenzial unlängst auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres unter Beweis gestellt: Im Kaukasus hat die aserbaidschanische Armee mit Hilfe dieser Drohnen und türkischer Berater die armenische Verteidigung innerhalb kurzer Zeit ausgeschaltet. Der Drohnen-Deal wird die ukrainische Armee mit ähnlichen Fähigkeiten ausstatten – und auch der Türkei einen entscheidenden Vorteil verschaffen.

 

Nachdem westliche Unternehmen in Folge des von Ankara unterstützten Kriegs in Bergkarabach die Lieferung von Motorteilen aussetzten, werden diese nun in der Ukraine gefertigt. Auch der Antrieb für die große Schwester der TB2 – die sich in der Entwicklung befindliche Akıncı – könnte von Kiew geliefert werden. »Beide Länder wollen weg von einfachen Käufen und Verkäufen und gemeinsam Produkte für Drittländer fertigen«, glaubt Analystin Gaber. Konkret könnte das bedeuten, dass die Kampfdrohnen künftig in der Ukraine produziert werden und von dort in den Export gehen.

 

Für Markus Reisner könnte die Anschaffung der TB2 durch die Ukraine deren »Ambition zur Wiedervervollständigung des eigenen Staatsgebiets Nachdruck verleihen«. Der Drohnen-Experte und Oberst des Generalstabsdiensts beim Österreichischen Bundesheer glaubt: »Die Rüstungskooperation zwischen der Ukraine und der Türkei kann als Signal für eine mögliche Eskalation eines im Moment eingefrorenen Konflikts gesehen werden.«

 

Eine Lesart, der man sich in Ankara und Kiew zu erwehren sucht: Es gehe stets und ausschließlich um Verteidigung. Doch nicht nur in der Debatte um die Forderung von Robert Habeck wurde deutlich, wie schwer es ist, Waffensysteme eindeutig als defensiv oder offensiv einzuordnen. Nach dem jüngsten türkisch-ukrainischem Gipfeltreffen verhängt Moskau dann auch ein bis Juni geltendes Flugverbot in die Türkei und begründet dies mit Bedenken im Zusammenhang mit der Pandemie – ein Warnschuss für die Regierung in Ankara und ein weiterer Schlag für den so wichtigen Tourismus.

 

Ende des Jahres wird die ukrainische Marine Teil eines von der Türkei im Mittelmeer abgehaltenen Manövers

 

Gaber glaubt deshalb, dass die Ukraine ihr Verhältnis zur Türkei entkoppeln muss von den türkischen Beziehungen zu Russland: »Die Türken sind enorm pragmatisch, Sie arbeiten mit Partnern, mit denen sie in Bereichen kooperieren können, die für beide Seiten von Interesse sind.« So entsteht ein delikater Balanceakt für Ankara; und eine weitere Belastung für das ohnehin komplexe Verhältnis zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem türkischen Staatschef. Vom Kaukasus über Syrien bis hin zu Libyen reicht eine wachsende Liste von Konflikten, in denen die ordnungspolitischen Vorstellungen der beiden Länder kollidieren.

 

Die Vertiefung der türkische-ukrainischen Kooperation könnte diese Aufzählung mittelfristig um einen weiteren Punkt ergänzen: das Schwarze Meer. Für die beiden größten Anrainer hat die See eine besondere strategische Bedeutung: Russland baut Pipelines und sichert sich hier den Zugang zum Mittelmeer, die Türkei wiederum kontrolliert am Bosporus den gesamten Schiffsverkehr. Wie wichtig Moskau die eigene Machtprojektion in dieser Gegend ist, haben die jüngsten seegestützten Landemanöver auf der Krim und die damit verbundene Verlegung von Schiffen ins Asowsche Meer gezeigt.

 

Umso genauer wird man im Kreml beobachten, wie sich auch in dieser Domäne eine vertiefte türkisch-ukrainische Zusammenarbeit entspinnt. Bereits im vergangenen Dezember war man übereingekommen, dass die ukrainische Marine künftig Korvetten aus türkischer Eigenproduktion in den Dienst stellen darf – wie viele Schiffe der MILGEM-Klasse geliefert werden, ist noch unbekannt. Doch auch hier könnte ein Teil der Produktion in die Ukraine verlegt werden.

 

Ende des Jahres wird die ukrainische Marine dann Teil eines von der Türkei im Mittelmeer abgehaltenen Manövers. Bereits im April teilte das Verteidigungsministerium mit, man habe erstmals an einem Planungstreffen für die Übung »Dogu Akdeniz« teilgenommen. Ein jährlicher Drill zu dem die Türkei befreundete Staaten einlädt. Neben eigenen Schiffen wird Kiew dann wohl auch Offiziere entsenden, die von ihren türkischen Konterparts an den neuen Kriegsschiffen geschult werden.

 

»Heute fokussieren wir uns auf besonders teure Ausrüstung, etwa Nachtsichtgeräte«

 

Zusammengenommen entsteht das Bild einer zunehmend potenten Armee, die nicht mehr viel mit der desolaten Truppe zu tun hat, die 2014 die Landesverteidigung verantwortete. Gespräche vor Ort bestätigen diesen Eindruck. Der Veteran Vitaliy Ovcharenko etwa organisiert seit Jahren Spendenaufrufe, um Ausrüstung für ukrainische Soldaten zu beschaffen. »Am Anfang hat die Armee im Grunde genommen nicht existiert«, erinnert er sich im Gespräch mit zenith. Teilweise hätten Ovcharenko und seine Unterstützer das gesamte Equipment beschaffen müssen. »Heute fokussieren wir uns auf die fehlenden zehn Prozent, darunter besonders teure Ausrüstung, die nicht immer in der Ukraine zu bekommen ist – etwa Nachtsichtgeräte.«

 

Selbst die USA, lange zurückhaltend, haben mittlerweile Waffen geschickt. Seit 2018 hat Washington den Verkauf von mehr als 300 Panzerabwehrraketen für das hochmobile System FGM-148 Javelin genehmigt. Mit Blick auf die Debatte um Habecks Forderungen nach Waffenlieferungen ätzte Alexander Clarkson vom Londoner King’s College auf Twitter unlängst, dass »viele deutsche Politiker und Kommentatoren nicht verstanden haben, dass das ukrainische Militär kampferprobter und besser ausgerüstet ist als die deutsche Bundeswehr«.

 

Wer die Ukraine in diesen Tagen bereist, hört dennoch von großen Sorgen. Die Angst vor einer weiteren Eskalation durch Russland ist hoch und der an Habeck herangetragene Wunsch nach militärischer Unterstützung genuin. Immer wieder wird in Gesprächen vor Ort aber auf eine ganze andere Möglichkeit hingewiesen, der Ukraine zur Seite zu stehen: durch ein Moratorium für Nord Stream 2. Nur wenn die Ukraine weiter Transitland für russisches Erdgas Richtung Europa ist, so die Argumentation, sei man vor weiteren Aggressionen sicher.

 

Eine in der Spitze und an der Basis mehrheitsfähige Position der Grünen. Und so wird die Regierung in Kiew auf ein zumindest gutes Abschneiden von Habecks Partei bei der anstehenden Bundestagswahl hoffen. Auch darin dürfte sie sich von Gerhard Schröder unterscheiden.

Von: 
Florian Guckelsberger

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