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US-Drohnenangriff gegen Abu Al-Muhandis

Der Mann, der an Soleimanis Seite starb

Nachruf
Der Mann, der an Soleimanis Seite starb
Foto: dge

2017 traf zenith-Chefredakteur Daniel Gerlach Abu Mahdi Al-Muhandis, den »Ingenieur« der paramilitärischen Verbände im Irak, der in der Nacht auf Freitag von einer US-Drohne in Bagdad getötet wurde. Wer war er und was trieb ihn an?

Man nennt ihn Al-Muhandis, den »Ingenieur«. Und während man in manchen Ländern der arabischen Welt jeden Taxifahrer, jeden Mechaniker und jeden, der ein Werkzeug in der Hand hält, hochtrabend mit »Herr Ingenieur« anspricht, wenn man etwas von ihm will, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jamal Ebrahimi »Abu Mahdi« Al-Muhandis diesen Titel verdient.
 
Bei vielen politischen Führungsfiguren im Nahen Osten, die nicht aufgrund einer dynastischen Erbfolge oder familiären Herkunft an die Macht gekommen sind, fragt man sich, was sie eigentlich dazu befähigt, ihre Rolle auszufüllen. Und welcher unwahrscheinliche Moment des Schicksals ausgerechnet sie begünstigt haben mag. Viele der mächtigsten Männer dieser Region sind schlechte Redner, Menschen ohne Charisma, deren Führungsqualitäten sich erst allmählich offenbaren. Vielleicht waren sie sehr beharrlich oder gar fanatisch in ihrem Ehrgeiz, besonders rücksichtslos und niederträchtig in ihrem Kampf gegen Rivalen. Oder aber sie wurden von den richtigen Leuten protegiert, die sie nicht trotz, sondern eben gerade wegen ihrer Mittelmäßigkeit schätzten, da man von ihnen keine Konkurrenz befürchtete. Bis sie in einem günstigen Augenblick das Gegenteil bewiesen. Dass allerdings ein Abu Mahdi es in einem politischen Klima voller Loyalitätskonflikte und aufbrausender Mentalitäten weit nach oben bringen würde, muss jedem klar gewesen sein, der ihn in den vergangenen Jahren persönlich kennen lernte.
 
Abu Mahdi stammt aus Basra, einer einst kosmopolitischen Hafen- und Handelsstadt im Süden des Irak. Basra war so etwas wie das Marseille Mesopotamiens, die Stadt des legendären Seefahrers Sindbad, und das Tor der arabischen Welt zu Asien. Er ist Sohn einer Iranerin, besitzt neben der irakischen auch die iranische Staatsbürgerschaft, hat eine iranische Frau geheiratet und spricht Persisch ebenso gut und häufig wie Arabisch. Seine politisch-ideologische Hinwendung eines schiitischen Dissidenten zur Islamischen Republik Iran vollzieht sich also auf dem Hintergrund einer langfristigen kulturellen Prägung.

Der pan-schiitische, von Iran geführte »Widerstand« fand auch in Basra Anhänger.

Über Jahrhunderte war die persisch-iranische Kultur im Schmelztiegel Basra ebenso präsent wie die arabische. Abu Mahdis Heimatstadt war, wie die meisten weltoffenen Handelsplätze, sehr lange keineswegs als besonders religiös bekannt. Es fiel den iranischen Missionaren und Emissären Khomeinis nach der islamischen Revolution zwar leichter als anderswo, bei den mehrheitlich schiitischen, ärmeren Schichten der Bevölkerung von Basra positive Resonanz zu finden. Umgekehrt kämpften jedoch viele Basraouis im Golfkrieg mit den Streitkräften Saddams gegen Iran und später, im Jahr 1990, führte Saddam Hussein von Basra aus seine Truppen in die Invasion des Emirats Kuwait.
 
Aber der pan-schiitische, von Iran geführte »Widerstand« fand dort ebenfalls Anhänger und aufgrund der strategisch bedeutenden Lage am Persischen Golf wurde die Gegend um Basra auch zunehmend Schauplatz geopolitischer Konflikte: Die USA und Frankreich unterstützten Saddam Hussein gegen Iran und hatten etwa zur selben Zeit Truppen in den libanesischen Bürgerkrieg entsandt, was von Iran als Angriff auf seine und die Interessen seiner Verbündeten betrachtet wurde. Im April und Oktober 1983 verübte eine Gruppe namens »Islamischer Dschihad«, vermutlich ein Vorläufer der schiitischen Hizbullah geführte und von Syrien und Iran unterstützte Zelle, verheerende Attentate auf die US-Botschaft und die Basis französischer und amerikanischer Marineinfanteristen.
 
Am 12. Dezember folgte in Kuwait-Stadt eine Serie von insgesamt sechs Bombenattentaten, die unter anderem die amerikanische und die französische Botschaft zum Ziel hatten. Der Modus Operandi – es kam unter anderem ein Selbstmordattentäter mit einem sprengstoffgefüllten Lastwagen zum Einsatz – erinnerte an Beirut, auch wenn, womöglich aufgrund technischer oder planerischer Fehler, insgesamt nur fünf Personen ihr Leben verloren, darunter kein westlicher Ausländer.
 
Unter den Beschuldigten befanden sich etliche Anhänger der irakisch-schiitischen Widerstandsbewegung Da’wa, ein Funktionär der libanesischen Hizbullah und ein gewisser Abu Mahdi, den kuwaitische und amerikanische Ermittler als Mastermind des Anschlags sahen. Abu Mahdi wurde zweifach in Abwesenheit zum Tode verurteilt, in Kuwait und im Irak. Nach der Irak-Invasion der USA kehrte er 2003 aus dem iranischen Exil zurück, wurde Abgeordneter im Parlament und baute zugleich mit Irans Unterstützung eine Miliz auf, die aus dem Untergrund gegen die Besatzungstruppen kämpfte. Als die US-Nachrichtendienste gewahr wurden, mit wem sie es zu tun hatten, floh Abu Mahdi abermals in seine andere Heimat Iran und kehrte erst nach dem Abzug der US-Truppen an den Tigris zurück.
 
Als in der Nacht auf den 15. Juni 2014 die mächtigsten Sicherheitspolitiker und schiitischen Milizenführer zusammentraten, um als Reaktion auf die Einnahme Mossuls durch den IS die Streitmacht des Hashd zu gründen, saß Abu Mahdi nicht nur mit am Tisch. Es war buchstäblich sein Tisch, denn man traf sich im Salon seines Privathauses in der Grünen Zone Bagdads, nur wenige hundert Meter von der US-Botschaft entfernt: ein eher schmuckloser Raum, an dessen Längsseite das Doppelporträt des iranischen Revolutionsführers Khamenei und seines Vorgängers Khomeini hängt.
 
Mit den Kata’ib Hizbullah brachte Abu Mahdi seine eigene Hausmacht und ein anderes, wertvolles Pfund ein: seine persönliche Freundschaft mit Generalmajor Qassem Soleimani, dem Architekten der iranischen Einsätze im Nahen Osten. Offiziell wurde der »Ingenieur« Vize-Kommandeur des Hashd, inoffiziell der Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung.
 
Ein geschmeidiger älterer Herr, der für einen militärischen Anführer mit erstaunlich sanfter Stimme spricht. So erschien mir Abu Mahdi. Der volle weiße Haarschopf, der ebenfalls schlohweiße Bart, die randlose Gelehrtenbrille und die Sporthemden oder Fleece-Jacken, die er gerne trägt, lassen ihn wie einen Studienrat kurz vor der Pensionierung wirken. Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erfahrung, aber auch die Ausübung von Gewalt ein wesentlicher, prägender Teil seines Lebens waren.

Er hat keinen Plan B, keine andere Karriere und auch nicht die Option, als Pensionär Rosen zu züchten.

Wer mit ihm über die Weltpolitik spricht, wird sich über eins besonders wundern: Er hört zu und ist definitiv eine der wenigen Männer seines Schlages, die nicht vorgeben, auf alles sofort eine Antwort zu besitzen. Als ich ihm in unserem Gespräch meine Einschätzungen zur Lage im Nachbarland Syrien vortrug, machte er sich Notizen mit Fragen und Anmerkungen, die er dann der Reihe nach abarbeitete. Anschließend ließ er detailreiche Karten des Iraks und seiner Grenzregionen kommen, breitete sie auf dem Tisch aus und schilderte das taktische Vorgehen des Hashd gegen die Kämpfer der Organisation »Islamischer Staat«.

 

Er beschrieb die Planungen, die Probleme und die tatsächlichen Erfolge und schien vor allem sehr detaillierte Kenntnisse über die umkämpften Gebiete zu besitzen: über die Bevölkerungsstruktur, die Topographie, aber auch die Machtverhältnisse innerhalb der Stämme, über die der IS geherrscht hatte. Und er sagte etwas, das ihn von anderen Gesprächspartnern abhob, und zwar vermutlich nicht nur, um sympathisch zu erscheinen: Er wolle mit jedem reden, auch mit seinen Feinden. Selbst ein IS-Anhänger könne zu einem loyalen Bürger werden, wenn man Gnade walten lasse und ihn würdevoll behandelt.

 

Hass und Verbitterung waren ihm nicht anzumerken, aber dennoch spiegelt sich auch in Abu Mahdis Biografie wider, welche Charaktere und damit welche Mentalitäten heute das politische Geschehen im Irak so maßgeblich bestimmen: Ihr Wirken hat nicht 2014 im Kampf gegen den »IS« begonnen, auch nicht mit der Invasion der Koalition ein Jahrzehnt zuvor. Beides sind für Menschen wie Jamal Ebrahimi al-Muhandis nur vorübergehende Erscheinungsformen eines großen, langen Kampfes. Sie betreiben keine Tagespolitik, denken in anderen zeitlichen Dimensionen, als man es gemeinhin in der Politik im Westen tut.

 

Und sie haben keinen Plan B, keine andere Karriere und auch nicht die Option, als Pensionäre Rosen zu züchten. Ihr politisches Überleben hängt vom Erhalt ihrer Hausmacht ab, und die allein garantiert, dass sie überhaupt am Leben bleiben. Beharrlich haben sie viele Regime fallen gesehen und sind geprägt von einem historischen Determinismus, der davon ausgeht, dass auch andere Regime fallen werden, sie aber bestehen bleiben. Ob diese schiitischen Politiker im Inneren tatsächlich religiös sind oder nicht, ist eine andere Frage. Aber sie scheinen daran zu glauben, dass sie als Sachwalter der Unterdrückten nun das Recht haben, andere zu beherrschen, um zu verhindern, dass die Unterdrücker wiederkehren.


Dieser Text ist ein Auszug aus Daniel Gerlachs 2019 in der Edition Körber Stiftung erschienenen Buchs »Der Nahe Osten geht nicht unter«.

Von: 
Daniel Gerlach

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