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Indien, Pakistan, Armenien und Aserbaidschan

Realpolitik indischer Art

Analyse
von Leo Wigger
Indien, Pakistan, Armenien und Aserbaidschan

Pakistan und Indien liefern immer mehr Waffen in den Südkaukasus. Was die beiden verfeindeten Atommächte in der Region wollen und wie sie den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan beeinflussen.

Das Mehrfachraketenwerfersystem »Pinaka«, benannt nach dem Bogen des Hindugottes der Zerstörung und Wiedergeburt Shiva, gilt als indische Version der aus dem Ukraine-Krieg bekannten amerikanischen HIMARS. Spätestens seit dem Einsatz im Kargil-Krieg 1999 zwischen Pakistan und Indien um Kaschmir ist das Pinaka-Waffensystem mit einer Reichweite von rund 40 Kilometern in Militärkreisen auch international bekannt. Im Sommer 2023 wurde der zwölf-röhrige Raketenwerfer erstmals ins Ausland geliefert – ausgerechnet nach Armenien. Die Südkaukasusrepublik bestellte vier Batterien im Wert von 265 Millionen US-Dollar.

 

Nicht der einzige Deal, der in Verteidigungskreisen für Aufmerksamkeit sorgte: Dazu orderte Armenien nach indischen Medienberichten auch das Swathi-Radarsystem, Akash-Luftabwehrraketen und weitere Waffen, darunter ein Artilleriesystem aus Indien. Die aufstrebende Atommacht ist damit zum wichtigsten Waffenlieferanten Armeniens aufgestiegen. Und die engen Verbindungen sind keineswegs auf den Verteidigungssektor begrenzt. Auch die Wirtschaftsbeziehungen und die Kooperation im Tourismus- und Bildungssektor haben sich zuletzt deutlich intensiviert. In der armenischen Hauptstadt Jerewan gehören indische Fahrer von Lieferdiensten zum Stadtbild. Rund 16.000 Inderinnen und Inder leben mittlerweile im kleinen Kaukasusstaat, noch vor wenigen Jahren waren es kaum 3.000.

 

Die wichtige Rolle Indiens im Südkaukasus ist in Europa kaum bekannt. Und doch zeugt sie davon, wie sehr die multipolare Weltordnung schon lange zu einer politischen Realität geworden ist. Der Einflussverlust Russlands in den ehemaligen Sowjetrepubliken des Südkaukasus seit dem Ende des Kalten Krieges hat nicht nur die EU, die USA und direkte Anrainer wie die Türkei und Iran auf den Plan gerufen, sondern längst auch Mächte des globalen Südens wie die südasiatischen Atommächte Indien und Pakistan. Wer verstehen will, was es mit Indiens Engagement im Südkaukasus auf sich hat, der muss einen Blick auf die aserbaidschanische Hauptstadt Baku und nach Pakistan werfen.

 

Baku in den Wochen nach dem zweiten Karabach-Krieg 2020: In der Brise des Kaspischen Meeres wehen von vielen Gebäuden Flaggen in bemerkenswerten Kombinationen. Neben der aserbaidschanischen allgegenwärtig im Stadtbild: die türkische Flagge. Kaum überraschend, schließlich sind beide Turkstaaten auch unter der Losung »eine Nation, zwei Staaten« in enger Partnerschaft verbunden. Doch mischen sich darunter auch auffallend viele pakistanische Fahnen.

 

Zuletzt berichteten mehrere Medien über ein Interesse Bakus am Erwerb von pakistanisch-chinesischen Kampfjets

 

Tatsächlich kooperieren beide Länder schon seit den 1990er-Jahren eng. Während Pakistan Aserbaidschan im Karabach-Konflikt mit Armenien unterstützt, stellt sich Baku in internationalen Formaten in der Kaschmirfrage traditionell hinter Pakistan. Als einziges Land der Welt erkennt Pakistan in Reaktion auf den Karabach-Konflikt bis heute nicht einmal die Unabhängigkeit Armeniens offiziell an. Doch neben der gegenseitigen Unterstützung auf diplomatischem Parkett hat sich die aserbaidschanisch-pakistanische Partnerschaft unter Einbeziehung der Türkei schon längst in eine sicherheitspolitische Allianz verwandelt, über deren genaue Inhalte nur wenig publik ist.

 

»Was offen liegt, ist nur die Spitze des Eisbergs«, sagt beispielsweise der Analyst Ahmed Alili, Direktor des »Caucasus Policy Analysis Center« in Baku. Selten dringen genaue Informationen dazu nach außen. Zuletzt berichteten mehrere Medien über ein Interesse Bakus am Erwerb von pakistanisch-chinesischen Kampfjets vom Typ PAIC JF-17. Pakistanische Quellen bestätigten den Deal gegenüber zenith. Der Umfang des Waffengeschäfts soll bei rund 1,6 Milliarden US-Dollar liegen.

 

Pakistan gehörte schon 1992 zu den ersten Staaten, die nach der Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan diplomatische Beziehungen zu Baku aufnahmen. Die Ausrichtung der Partnerschaft gab der erste Karabach-Krieg (1988-1994) vor, in dessen Folge aus den Wirren der Auflösung der Sowjetunion ein armenischer De-facto-Staat auf dem Gebiet der mehrheitlich von Armeniern besiedelten, aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden, ehemaligen sowjetischen Autonomen Republik Bergkarabach hervorging. Dazu nahmen armenische Separatisten sieben benachbarte aserbaidschanische Bezirke ein, die fast ausschließlich von Aserbaidschanern besiedelt waren. Rund 800.000 aserbaidschanische Binnenflüchtlinge waren die Folge. Dazu kamen noch aserbaidschanische Vertriebene aus Armenien selbst.

 

Aus aserbaidschanischer Sicht stellt dieser Verlust bis heute ein Ur-Trauma der nationalen Staatlichkeit dar, ohne die die politischen Diskurse im Land heute kaum zu verstehen sind. Auf armenischer Seite ist die Reaktion im Karabach-Krieg dagegen kaum ohne die Erfahrung des Völkermords an Armeniern im Osmanischen Reich zu verstehen, die bis heute wie ein kollektives Trauma wirkt und den Kampf um Karabach als einen nationalen Schicksalskampf um das Überleben des armenischen Volkes auflädt. Auch aus Aserbaidschan mussten in Folge des Krieges Hunderttausende Armenier fliehen. Dabei war Aserbaidschan gar nicht Teil des Osmanischen Reiches gewesen.

 

In Indien und Pakistan weckte der Erste Karabach-Krieg dagegen Erinnerungen an den heutigen Urkonflikt zwischen beiden Nachfolgestaaten Britisch-Indiens: Das mehrheitlich muslimische ehemalige Fürstentum Kaschmir schloss sich unter einem hinduistischen Maharadscha nach der Teilung 1947 Indien an, welches bis heute einen Großteil des Kernlands der Provinz kontrolliert, was von Pakistan bis heute freilich nicht anerkannt wird und zu wiederholten Konflikten zwischen den beiden Atommächten führt.

 

»Der Südkaukasus gehört zu Indiens erweiterter Nachbarschaft«

 

Neben der Analogie Karabach-Kaschmir und panislamischer Solidarität mit dem mehrheitlich muslimischen, aber säkularen Aserbaidschan dürften von Beginn jedoch auch geopolitische Überlegungen, wie der Wunsch nach einer engeren Partnerschaft mit der mit Aserbaidschan eng verbündeten Türkei, sowie ein gemeinsames strategisches Interesse nach Einhegung des gemeinsamen Nachbarn Iran eine Rolle gespielt haben – ein Faktor, der mit Israel noch einen weiteren militärischen Unterstützer Aserbaidschans auf den Plan gerufen hat.

 

Indiens Interesse am Südkaukasus ist also nicht zuletzt aus dem Blickwinkel der komplexen pakistanisch-indischen Beziehungen zu erklären. Und eine einschneidende Entwicklung im Jahr 2020 gab der Dynamik plötzlich Auftrieb. Im Zweiten Karabach-Krieg gelang es dem dank kräftiger Militärhilfe aus der Türkei, Pakistan und Israel aufgerüsteten Aserbaidschan, weite Teile der bis dato armenisch kontrollierten Gebiete seines Staatsgebietes zurückzuerobern. Im Herbst 2023 folgte dann der noch verbliebene Rest Bergkarabachs, fast alle der über 100.000 Armenierinnen und Armenier mussten fliehen. Viele hoffen seitdem aus Behelfsunterkünften in Armenien auf eine Rückkehr nach Bergkarabach.

 

Der Zweite Karabach-Krieg von 2020 gehörte zudem zu den ersten militärischen Konflikten, der durch den Einsatz von Drohnentechnologie entschieden wurde. Kein Wunder, dass nicht nur in Jerewan die Alarmglocken zu klingeln begannen. Seitdem baut Indien seine Beziehungen zu Armenien aus. So intensiv, dass im Frühjahr diesen Jahres die wichtige Geopolitikkonferenz Raisina-Dialog in Indien vor der offiziellen Eröffnung durch Premierminister Narendra Modi für geladene Gäste mit einem Panel zu den indisch-armenischen Beziehungen startete. Der Raisina-Dialog wird vom indischen Außenministerium mitorganisiert und gilt als Gradmesser für die Befindlichkeiten der indischen Außenpolitik.

 

»Der Südkaukasus gehört zu Indiens erweiterter Nachbarschaft«, sagt der Journalist Dipanjan Roy Chaudhury von der Economic Times in Delhi. Das geopolitische Interesse in Südasien am Kaukasus ist heute aktueller denn je. Neu sind enge Verbindungen zwischen den Regionen jedoch nicht. Die vermeintliche Distanz: bei genauerer Betrachtung nur Ausdruck einer eurozentristischen Weltwahrnehmung, die außer Acht lässt, das in der Geschichte, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit alle Wege nach Moskau, Berlin, Paris oder London führten. Geografisch liegen beide Regionen nah beieinander. Etwas mehr als vier Flugstunden trennen Islamabad von Baku.

 

Immer wieder waren sowohl der Kaukasus als auch Südasien Teil persisch geprägter Reiche. In der Altstadt von Baku zeugt bis heute die mittelalterliche Multaner Karawanserei, benannt nach einer Stadt im Süden des Punjab, von der langen Tradition des Austausches. Und schon im 16. Jahrhundert ließen sich armenische Händler aus dem heutigen Isfahan auf dem Subkontinent nieder. In Kolkata und Chennai finden sich noch heute armenische Kirchen. In Chennai entstand im Jahr 1794 mit Azdarar gar die erste armenischsprachige Zeitung überhaupt. Zu Sowjetzeiten bestanden enge Verbindungen zu Indien. Noch heute stammt ein großer Anteil indischen Waffen aus sowjetischer oder russischer Produktion. Die geopolitischen Verschiebungen von heute bringen die Regionen nun wieder zusammen. Auch aus armenischer Sicht ist das ein logischer Schritt.

 

Nur durch Georgien und Iran hat Armenien über den Landweg Zugang zu den Weltmärkten

 

»Indien ist nicht Teil des Westens, aber auch nicht anti-westlich, das stimmt mit der Logik Armeniens überein«, sagt Nvard Chalikyan, von der Denkfabrik APRI Armenia. Ein naheliegender Grund: Armeniens Waffensysteme stammen ebenfalls größtenteils aus sowjetischen und russischen Beständen. Trotz zunehmend enger Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und der EU ist die junge Demokratie weiterhin Mitglied des russischen Verteidigungsbündnisses »Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit«, auch wenn die Mitgliedschaft derzeit ruht. In der Stadt Gyumri im Westen des Landes betreibt Russland eine wichtige Militärbasis. Doch nicht nur durch die russische Invasion in die Ukraine ist die bisherige Sicherheitsarchitektur des Südkaukasus ins Wanken geraten.

 

Die enge Partnerschaft mit Russland sei für Armenien historisch vor allem als ein Gegengewicht zu den aserbaidschanisch-türkischen Beziehungen entstanden, meint Chalikyan. Viele Optionen hatte Armenien nach der Unabhängigkeit nicht. Die Grenzen des bergigen Binnenlandes zur Türkei und Aserbaidschan sind weiterhin geschlossen. Nur durch Georgien und Iran hat das Land über den Landweg Zugang zu den Weltmärkten.

 

Aber über die letzte Dekade sind die Beziehungen zwischen Russland auf der einen und der Türkei und Aserbaidschan auf der anderen Seite immer enger geworden. Russische Friedenstruppen sollten nach dem Waffenstillstandsabkommen von 2020 die Rechte der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach sichern, verhindert haben sie die aserbaidschanische Offensive von 2023 nicht. Dann schützten die verbliebenen russischen Friedenstruppen vor allem sich selbst (Update der Redaktion 04/24: Mittlerweile sind sie abgezogen).

 

In Folge der Niederlage hat Armenien seine Außenpolitik stärker diversifiziert. Eine EU-Polizeimission beobachtet von der Stadt Yeghegnadzor aus die Grenze zu Aserbaidschan. Auch das NATO-Land Frankreich liefert nun Waffen nach Jerewan. Und das, obwohl das NATO-Mitglied Türkei auf der anderen Seite der Grenze Aserbaidschan Waffenhilfe leistet.

 

Doch die vertieften Partnerschaften mit Europa und Indien haben Grenzen. Für die EU ist Aserbaidschan gerade nach dem Wegfall Russlands ein wichtiger Energielieferant und wird als Transitland für den geplanten Ausbau der Handelswege nach Zentralasien gebraucht. Auch Indien vertritt vor allem Eigeninteressen. Die Wirtschaftskraft der inzwischen fünftgroßen Volkswirtschaft der Welt ist längst zu einem geopolitischen Faktor geworden. Das zeigt sich in einem dieser Bereiche, das längst zum Standardrepertoire von internationalen Beratungsfirmen gehört: der Konnektivität.

 

Durch den Südkaukasus verlaufen gleich mehrere konkurrierende Konnektivitätsprojekte

 

G20-Gipfel im September 2023 in Neu-Delhi. Hier unterzeichneten Indien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die USA und mehreren EU-Staaten, darunter Deutschland, eine Absichtserklärung für einen »India-Middle East-Europe-Economic-Corridor« (IMEC). Einen »wirklich großen Deal« nannte US-Präsident Joe Biden das Projekt laut amerikanischen Medien.

 

Das 20 Milliarden Euro teure Infrastrukturvorhaben, das auch Projekte in Jordanien und Israel umfassen soll, sieht zwei voneinander unabhängige Korridore zwischen dem Nahen Osten und Südasien sowie zwischen dem Nahen Osten und Europa vor. Es soll mehrere Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur für Datenkommunikation sowie den Waren- und Energietransport (insbesondere von Wasserstoff) umfassen und den Handel zwischen Europa und Indien um bis zu 40 Prozent beschleunigen. Die Absichtserklärung sieht unter anderem den Ausbau von Stromnetzen, Hochgeschwindigkeitsdatenkabeln und Energiepipelines zwischen dem Nahen Osten, Asien und Europa sowie Investitionen in direkte Eisenbahn- und Schiffsverbindungen vor.

 

Zwei Milliarden Menschen leben in den sieben Staaten Südasiens. Fast doppelt so viel wie in Europa und den Staaten der Arabischen Liga zusammen. Indien gehört zu den wichtigsten Wachstumsmärkten der Welt. Und angesichts des Trends zum »De-Risking« zwischen den Märkten des Westens und China sowie Sanktionen gegen Russland gewinnen südlichere Transportrouten zwischen Europa und Südasien an Bedeutung. Dabei ist IMEC nur einer von mehreren geplanten Korridoren in Konkurrenz zur chinesischen »Belt and Road Initiative«. So plant die Türkei als alternative Route etwa das »Development Road Project« durch den Irak.

 

Durch den Südkaukasus verlaufen gleich mehrere konkurrierende Konnektivitätsprojekte. Der Gaza-Krieg und die Huthi-Krise im Roten Meer machen die Südkaukasusroute im Vergleich zum geplanten Milliardenprojekt IMEC oder dem klassischen maritimen Handelsweg über den Suezkanal wieder interessanter.

 

Der »International North-South Transport«-Korridor soll Mumbai über den Hafen Chahbahar durch Iran und den Südkaukasus mit Russland verbinden, aber auch Indiens Zugang zum Schwarzen Meer und damit in die EU erleichtern, so hoffen es zumindest Beobachter in Neu-Delhi. Indien präferiert, unter anderem aufgrund der angespannten Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Iran, auf dem Landweg langfristig die geplante Nebenroute zwischen Iran und Armenien. Doch der Routenverlauf durch die armenische Südprovinz Sjunik ist in Gefahr. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev drängt auf die Eröffnung des »Sangesur-Korridors« zur Exklave Nachitschewan und untermauert seinen Wunsch mit dem Verweis auf angeblich historisch aserbaidschanische Territorien. Realpolitisch würde das Vorhaben jedoch auf einen Kontrollverlust Armeniens an der iranischen Grenze hinauslaufen.

 

Soll der multilaterale Klimaschutz direkt nach den US-Wahlen nicht vollends ins Hintertreffen geraten, dann ist die Weltgemeinschaft auf Kooperation mit Aserbaidschan angewiesen

 

Dazu kommt der sogenannte Middle Corridor, der die Türkei mit Zentralasien verbindet. Im Vergleich zur bisher beliebteren Nordroute über den Landweg galt der Korridor lange als kaum konkurrenzfähig. Doch die Sanktionen gegen Russland machen einen direkten Zugang der EU zu Zentralasien immer attraktiver und den notwendigen massiven Ausbau der Infrastruktur damit zu einer echten Option, beispielsweise durch einen Anschluss der Gasfelder Turkmenistans an das aserbaidschanische Pipelinenetzwerk. Das von einer schweren Energiekrise heimgesuchte Pakistan konnte seine Energiepartnerschaft zu Baku im vergangenen Jahr bereits ausbauen. LNG-Gas aus Baku soll zukünftig eine wichtige Rolle im Energiemix Pakistans spielen.

 

Auf den Korridoren der Macht im Regierungsviertel von Neu-Delhi ist der strategische Machtgewinn Bakus nicht unbemerkt geblieben. Indiens Politiker wollen sich trotz aller Vertiefung der Beziehungen zur Armenien nicht zwangsläufig als Antagonisten Bakus aufstellen. Tatsächlich ist das Handelsvolumen nicht-militärischer Güter zwischen Indien und Aserbaidschan mit über 750 Millionen US-Dollar fast fünf Mal so hoch wie das zwischen Armenien und Indien. Gerade aserbaidschnisches Öl steht in Indien hoch im Kurs. 

 

Dazu kommt, dass im November 2024 die 29. Weltklimakonferenz in Baku stattfindet. Soll der multilaterale Klimaschutz direkt nach den US-Wahlen nicht vollends ins Hintertreffen geraten, dann ist die Weltgemeinschaft auf Kooperation mit Aserbaidschan angewiesen. Das besonders stark vom Klimawandel betroffene Pakistan könnte für Baku dann Türöffner in den Globalen Süden sein, auch Indien hofft hier nicht zuletzt über die COP-Troika und die exzellenten Beziehungen nach Brasilien und in die Vereinigten Arabischen Emirate Einfluss nehmen zu können.

 

Pakistan steht dagegen vor einer anderen Entscheidung. Ohne Beziehungen zu Armenien fehlt es dem Land im Gegensatz zu Indien an strategischer Tiefe im südkaukasischen Beziehungsmanagement. Und das, obwohl nach der öffentlichen Anerkennung der aserbaidschanischen Souveränität über Bergkarabach in einer Rede des armenischen Premierminister Nikol Paschinjan der formale Grund für Pakistans Nichtanerkennung längst hinfällig geworden ist.

 

Dabei ist Pakistan dringend auf eine Verbesserung seiner internationalen Beziehungen angewiesen, denn das Land läuft auch nach den Wahlen im Februar weiterhin auf eine handfeste Wirtschafts- und Staatskrise zu. »Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist von einer Reihe Faktoren abhängig: regionalen Dynamiken, aber auch geopolitischen Faktoren«, sagt Zeeshan Salahuddin vom gut vernetzten Thinktank Tabadlab in Islamabad. Die islamische Welt im Allgemeinen und Pakistan im Speziellen würden sich dabei insbesondere an den Entwicklungen in Saudi-Arabien orientieren. Das Königreich nahm Ende 2023 erstmals diplomatische Beziehungen zu Armenien auf.

Von: 
Leo Wigger

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