Yezid Sayigh hat die enge Verflechtung von Wirtschaft und Armee in Ägypten unter die Lupe genommen. Im Interview erklärt der Politologe, warum sich Investoren auf dünnes Eis begeben und warum sich das Militär auf dem TV-Markt verhob.
zenith: Dass Ägyptens Militär seit Jahrzehnten in der Wirtschaft mitmischt, ist nichts Neues. Was hat sich seit dem Amtsantritt von Abdul-Fattah Al-Sisi verändert?
Yezid Sayigh: Das Militär ist in einem viel größeren Umfang als je zuvor an öffentlichen Bauaufträgen im Auftrag der Regierung beteiligt. Das Militär überwacht nicht nur die Ausführung der Arbeiten durch private Auftragnehmer, sondern ist nun auch direkt an der Gestaltung der Ausschreibungen für diese Projekte beteiligt. Und es entscheidet über die Auftragsvergabe. Das ist eine qualitative Verschiebung. Zudem dringt das Militär in den letzten drei Jahren immer aggressiver in wichtige Sektoren der Volkswirtschaft ein, in denen es vorher kaum präsent war, etwa im Baugewerbe. Es ist auch immer häufiger in der Herstellung von handelbaren Gütern wie Zement, Stahl und Düngemittel aktiv. Die Armee versucht auch, sich neue Branchen zu erschließen, oft über Scheingesellschaften. Tawassul etwa gehört zur Falcon Group, einer dieser Gesellschaften im Besitz des Militärs, und hat 2017 die TV-Sender Al-Assema und Al-Hayat aufgekauft. Dieser Vorstoß auf den Verbrauchermarkt wirkt sich nicht nur auf Preisgestaltung und Angebot aus, sondern verändert das Verhältnis von (nicht-militärischen) staatlichen Firmen und der Privatwirtschaft.
Was bezweckt das Militär mit dem Vorstoß auf den Medienmarkt?
Dieser Schritt soll wohl die Hegemonie der Sisi-Regierung über den gesamten öffentlichen Raum und den Diskurs konsolidieren. Neben den explizit politischen Inhalten würde das Militär dann auch Unterhaltungsformate produzieren – doch das ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht wirklich lukrativ. Es häufen sich die Berichte über die sinkende Popularität des Fernsehens in Ägypten – Seifenopern wie »Prinzessin Beesa«, die für die letzte Ramadan-Saison produziert wurden, erwiesen sich etwa als Flop. Ebenso die vom Militär entwickelte Streaming-App »Watch iT«.
Warum floppen die Medienproduktionen?
Das Militär versteht nicht wirklich, wie solche Märkte funktionieren. Es fehlt ein Verständnis dafür, wie man etwa Produktion, Design und Marketing an die richtigen Leute delegiert. In der Folge häuften sich die finanziellen Einbußen. Natürlich muss man sich fragen, ob einige der aufgekauften Fernsehsender tatsächlich jemals schwarze Zahlen schreiben konnten. Das Militär hat dann im letzten Jahr eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Kosten zu sparen, etwa Personalabbau und Unternehmensfusionen. Nichts davon zeigte Wirkung. Es fehlt dem Militär also an einer stringenten kommerziellen Strategie. Zugleich haben die Ankäufe im Medienbereich auch noch nicht die Ergebnisse gezeitigt, die sich das Militär davon versprochen hat.
Wie kann sich das Militär in Ägypten solche wirtschaftlichen Unternehmungen überhaupt leisten? Liegt das auch am Zugriff auf kostengünstiges Personal in Form von Wehrpflichtigen?
Militärfirmen und deren Auftragnehmer sparen so natürlich Personalkosten. In der petrochemischen Industrie findet dieses Modell Anwendung, um Umsatzverluste auszugleichen, etwa beim Konglomerat Wataniyyah. Dennoch sollte man die Bedeutung der Arbeitskraft von Wehrpflichtigen nicht zu hoch hängen. Der Großteil der Aufträge im Baugewerbe wird an private Auftragnehmer vergeben. Und dort arbeiten in der Regel Angestellte, keine Wehrpflichtigen. Dafür greift das Militär auf andere Methoden zurück, um Profite zu generieren: So drückt man etwa die Gewinnmargen auf Seiten der privaten Auftragnehmer, um die zusätzlichen Gewinne selbst einzuheimsen.
»Die ägyptische Regierung versteht, dass sie einen Hebel gegenüber jeder westlichen Regierung in der Hand hält«
Wie viel Land besitzt das ägyptische Militär?
Alle Genehmigungsverfahren in Landfragen laufen über das Militär, unabhängig davon, ob es sich um Privatpersonen, Unternehmen oder eine Regierungsbehörde handelt, die einen Teil des Landes in Staatsbesitz für zivile Zwecke nutzen möchten. Das Gesetz schreibt vor, dass neben dem Ministerium für Altertümer und dem Luftfahrtministerium auch das Verteidigungsministerium für bestimmte Landnutzungsanfragen zu Rate gezogen werden muss. Das so genannte Staatsland macht nach Schätzungen der Weltbank zwischen 90-95 Prozent der Gesamtfläche Ägyptens aus. Mit anderen Worten, alle Grundstücke, die nicht ausdrücklich als Teil der Gemeinde registriert oder in Privatbesitz sind. Diese Besitzverhältnisse nutzt das Militär als Druckmittel. Einzelne Offiziere können etwa Schmiergelder oder Spenden an armeeeigne Stiftungen einfordern. Zum Beispiel von Behörden oder Privatpersonen, die eine Landnutzung beantragen. Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere des Privatsektors, ist das eine immense Wachstumsbremse, denn im Ergebnis bedeutet das natürlich zusätzliche Kosten.
Finanzinstitute und westliche Regierungen setzen ihre Kooperation fort. Ist Ägypten wirklich »too big to fail« oder führt das Sisi-Regime die internationale Gemeinschaft an der Nase herum?
Westliche Regierungen und internationale Finanzinstitutionen sind primär daran interessiert, Stabilität in Ägypten aufrechtzuerhalten – unabhängig von der politischen Ideologie der Machthaber. Sie waren bereit, nach der Revolution von 2011 auch mit der Verwaltung der Muslimbruderschaft zusammenzuarbeiten. Aber ich glaube, eine klare Präferenz für die autoritäre Regierung von Präsident Sisi festzustellen. Und diese Sichtweise auf Stabilität prägt die öffentlichen Äußerungen zur Menschenrechtsbilanz. Die fällt zwar absolut verheerend aus, dennoch reden sich westliche Regierungen das angebliche Bekenntnis Sisis zur Demokratie schön. Natürlich bestehen Bedenken, dennoch werden diese Regierungen Ägypten weiter mit Geld vollpumpen. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die ägyptische Wirtschaft in den letzten 60 Jahren nur deshalb über Wasser halten könnte, weil sich die Regierung darauf verlassen kann, dass Gelder aus dem Ausland zugeschossen werden. Und darauf läuft es hinaus: Die ägyptische Regierung versteht, dass sie einen Hebel gegenüber jeder westlichen Regierung in der Hand hält, der letztlich jegliche Bedenken bezüglich ökonomischer Effektivität und finanzieller Integrität übertrumpft.
Warum lassen sich potenzielle Investoren auf diese beinahe erpresserischen Bedingungen ein?
Es handelt sich hier um politische Verpflichtungen. Und natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass für Organisationen wie den IWF und die Weltbank Ägypten ein Kunde ist. Ihr Job ist es, dem Kunden zu dienen. Und deshalb werden sie sehr selten, wenn überhaupt, offen Kritik an der Regierung üben – mit einer Ausnahme. Im September 2018 nannte ein Bericht des IWF das Engagement des Militärs in der Wirtschaft »problematisch« und »beunruhigend«. Doch seitdem ist man zurückgerudert und bleibt stumm. Und das obwohl das Militär weiter in neue Sektoren expandiert, in denen sich sehr unmittelbare negative Auswirkungen auf den Privatsektor beobachten lassen. Der IWF und andere Finanzinstitutionen haben zu diesen Entwicklungen kein Wort verloren. Und meine Quellen bedeuten mir, dass die Zuständigen diese Themen nicht wirklich vorantreiben, nicht mal in informellen Gesprächen.
»Im Fall eines Rechtsstreits kann ein ausländischer Investor also keine zivilrechtliche Instanz aufsuchen«
Inwiefern sind die staatlichen Wirtschaftspläne darauf zugeschnitten, Investitionen nicht nur aus dem Westen, sondern etwa auch aus dem Golf anzuziehen?
Das Kapital vom Golf fließt meist in die Baubranche. Ein Beispiel dafür ist der Hafen Ain Sokhna am Roten Meer, der nun von Dubai Ports International verwaltet wird. Ansonsten sind die Chinesen die großen Kapitalgeber, daneben einige russische Firmen sowie Vertreter aus Europa – insbesondere italienische Unternehmen. Aber ein Großteil der Investitionen fließt in die Sonderwirtschaftszonen, etwa im Umfeld des Suez-Kanals, denn diese genießen ja offensichtlich Regierungsunterstützung. Das heißt auch, dass man dort auf ein besseres Geschäftsumfeld stößt als anderswo im Land. Ein Großteil der verbleibenden Investitionen in Ägypten fließt in den Energiesektor, allerdings in fast keine anderen Wirtschaftszweige. Und das ist für Ägypten ein Problem: Denn der Großteil der Bevölkerung ist ja in anderen Wirtschaftszweigen beschäftigt, und nicht im Energiesektor.
Welche Risiken gehen ausländische Investoren ein, wenn sie mit dem Militär Geschäfte machen?
Tatsächlichen werden einige Risiken bislang unterschätzt: Sämtliche Projekte der Suezkanal-Sonderwirtschaftszone etwa liegen auf Territorium, die als strategisch und militärisch wichtig demarkiert sind. Deswegen sind dort bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen, die anderswo in Ägypten gelten, außer Kraft. So ist es nicht möglich, dort Grundbesitz zu erwerben – Investoren erwerben immer nur Landnutzungsrechte im Gegenzug für Kapital. Und das hat handfeste rechtliche Konsequenzen, denn hier kommt ausschließlich Militärrecht zur Anwendung. Im Fall eines Rechtsstreits kann ein ausländischer Investor also keine zivilrechtliche Instanz aufsuchen – überhaupt sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für Geschäftsbeziehungen dadurch im Unklaren, schließlich sieht das Militärrecht ja keine Anlaufstellen für Rechtsprechung in Wirtschaftsfragen vor.
Die Megaprojekte des Militärs kommen nur schwer in die Gänge – schreckt das Investoren aus dem Ausland ab?
Die meisten ausländischen Investoren haben grundsätzlich kein Problem damit, mit dem ägyptischen Militär zusammenzuarbeiten – es geht ja in erster Linie um Profite. Das große Problem ist der unklare rechtliche Rahmen, der das Verhältnis von ausländischen Unternehmen und dem Militär bei solchen Kooperationen regelt. Warum ausländische Firmen sich entscheiden, in Ägypten zu investieren, hängt von den jeweiligen Projekten ab. Und trotz der rechtlichen Risiken etwa in den Sonderwirtschaftszonen hat die Regierung ja ein Interesse daran, dass dort investiert wird. Alle Beteiligten können daran gut verdienen – sie müssen sich aber auf die Bedingungen einlassen, die das Militär vorgibt.
»Das Militär wird versuchen, noch mehr Einfluss auf die Wirtschaftspolitik zu nehmen, zum Beispiel über Steuersätze, Zinsen und Zölle«
Wie steht es um die neue Verwaltungshauptstadt, die gerade vor den Toren Kairos hochgezogen wird?
Das ganze Projekt ist eine ziemlich verrückte Idee und wird wahrscheinlich in einem großen Haufen Zement und Stahl im Sand enden. Investoren werden einzig Geld dort reinstecken, um die politischen Beziehungen zur Sisi-Regierung zu pflegen – eine Geste des guten Willens. Einheimische Firmen hingegen werden dazu gedrängt, oft geradezu gezwungen, dort zu investieren. Es handelt sich hier um politische Investitionen, keine von kommerziellem Nutzen. Wir können bereits jetzt beobachten, wie das neue Hauptstadtprojekt in wirklich große Schwierigkeiten gerät. Der emiratische Bauriese Emaar Properties und China Fortune Land Development (CFLD) gehören zu den prominentesten Beispielen für Unternehmen, die sich aus Wohnungsbauprojekten zurückgezogen haben, weil das Militär höhere Gewinnmargen für sich eingefordert hat. Diese Unternehmen haben dann vollständig ihre Zelte abgebrochen – und wir sprechen hier von Investitionen im Milliardenbereich. Wer bleibt, ist meist auf die Aufträge angewiesen, begibt sich dafür aber auf dünnes Eis und droht im Zweifelsfall in einem Rechtsstreit den Kürzeren zu ziehen.
Sie schließen Ihren Bericht mit der Feststellung, dass die weitere Expansion »nicht unvermeidlich« sei. Wie sieht ihr Best-Case-Szenario für die Rolle des Militärs in der ägyptischen Wirtschaft aus?
Im besten Fall könnten sowohl das Militär als auch Sisi zu dem Schluss kommen, dass das Militär seine Aktivitäten zurückfahren oder dass Projekte wieder häufiger an zivile Stellen übertragen werden sollten, anstatt vom Militär verwaltet zu werden. Dieses Szenario könnte eintreten, wenn die Regierung die Konsequenzen des bisherigen Kurses zu spüren bekommt. Diese Erkenntnis ist aber im Moment nicht in Sicht – ganz im Gegenteil: Die Regierung ist ja davon überzeugt, dass sie Wachstum schafft. Westliche Regierungen, internationale Finanzinstitutionen und die Banken konzentrieren sich auf Erfolgsmeldungen, etwa auf das Wirtschaftswachstum. Doch diese Werte sind irreführend, weil sie den Gesamtzustand der Volkswirtschaft nicht akkurat widerspiegeln. Aber solange man den makroökonomischen Indikatoren Glauben schenkt, wird weiterhin Geld nach Ägypten fließen. Und mehr braucht die ägyptische Regierung nicht, um wieder neues Geld zu verteilen, um Projekte abzuschließen, die sie bereits begonnen hat, ohne eigentlich das Geld dafür zu haben. Das Ganze gleicht einem Schneeballsystem, allerdings sind wir wohl noch weit von dem Punkt entfernt, an dem das Kartenhaus zusammenbricht. Zurzeit haben weder das Militär noch Sisi einen Grund, den Kurs zu ändern.
Wie sähe das Worst-Case-Szenario aus?
Das Militär hat so viel Anteile erworben und so viel in handelbare Güter wie Zement und Stahl investiert, dass es versuchen wird, seine Investitionen zu schützen. Etwa durch den Ausbau der Marktanteile, denn nur so kann die Gewinnschwelle erreicht werden. Das würde bedeuten, dass das Militär in noch größerem Umfang als bisher direkt mit dem Privatsektor in Konkurrenz tritt. Grundsätzlich hat aber auch das Militär ein Interesse daran, den Markt zu stabilisieren. Deswegen halte ich es für wahrscheinlich, dass es noch aktiver versuchen wird, Einfluss auf die Wirtschaftspolitik zu nehmen, zum Beispiel über Steuersätze, Zinsen und Zölle. Das geschieht bereits auf informeller Ebene, könnte in Zukunft aber in geordneten Bahnen verlaufen. Das Militär empfindet die momentane Wettbewerbslage als ungerecht. Es könnte versuchen, den formalen rechtlichen oder regulatorischen Rahmen zu ändern, um bessere Ergebnisse zu erzielen, denn seine tatsächliche wirtschaftliche Performance lässt zu wünschen übrig.
Yezid Sayigh ist Senior Fellow am Carnegie Middle East Center in Beirut. Er forscht unter anderem zur politischen und wirtschaftlichen Rolle arabischer Streitkräfte und nichtstaatlicher Akteure. Im November 2019 erschien sein Bericht »Owners of the Republic: Anatomy of Egypt`s Military Economy«.