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Oman und Deutschland

Maskat am Rhein

Feature
Maskat am Rhein
Ali Al-Lawati (links) arbeitet als einer von acht omanischen Trainees beim Chemieunternehmen Oxea in Monheim am Rhein. Foto: Ralph Matzerath

Eine Chemiefabrik im Rheinland steht im Zentrum der omanischen Wirtschaftsstrategie. Bei Oxea sollen Azubis aus dem Sultanat in die Lehre gehen – und in ihrer Heimat bald einen neuen Industriezweig aufbauen.

Dem Gegenüber ins Gesicht blicken und grüßen, wenn man jemanden auf der Straße trifft – oder lieber nicht? Eine Überlegung, die Ali Al-Lawati von seinen ersten Begegnungen in Deutschland kennt. Denn während zu Hause in solchen Fällen ein freundliches »Salam« ausgesprochen wird, schauen hierzulande die Menschen eher weg oder schweigen erst einmal. Das war eine neue Erfahrung für den 25-Jährigen, der an der Sultan-Qabus-Universität in Maskat, der Hauptstadt Omans, studiert hat. Rund 7.000 Kilometer liegen zwischen dem Rheinland und dem Sultanat am Golf.

 

Seit einem Jahr arbeitet der Araber als einer von acht omanischen Trainees bei dem Chemieunternehmen Oxea in Monheim am Rhein. Es gehört zu 100 Prozent zu Oman Oil, einem Staatsunternehmen des Sultanats. Lawati möchte vor allem mehr über die Themen Controlling und Auditing lernen, denn das ist jetzt schon seine Aufgabe. »Wir überprüfen Vorgänge innerhalb des Unternehmens, schauen, ob alles reibungslos läuft«, sagt Majid Al-Mashari, der zusammen mit Ali Lawati im Rahmen des Austauschprogramms zwischen Oman und Deutschland arbeitet. Die beiden schicken ihre Berichte auf die arabische Halbinsel, wo die Verantwortlichen von Oman Oil Tochtergesellschaften wie Oxea verwalten.

 

Es mag abgedroschen klingen, aber Tugenden wie Disziplin und gewissenhaftes Arbeiten bescheren Deutschland noch immer ein hohes Ansehen und haben Vorbildcharakter. Es gilt als Kompliment, wenn von einem omanischen Kollegen erzählt wird: »Er hat nach seiner Rückkehr alles zwei Mal gecheckt, bevor er dem Ergebnis getraut hat.«

 

Zunächst »nicht gerade überschwänglich« – so hat Majid Al-Mashari die Menschen auch in seinem privaten Umfeld im rheinischen Düsseldorf erlebt. »Es braucht Zeit, um ihnen nahe zu kommen. Doch wenn sie dann zu Freunden werden, nehmen sie dich mit, integrieren dich, erzählen dir private Dinge. Was für eine Überraschung für mich, dass die Distanz überwunden werden kann. Ich akzeptiere es aber natürlich auch, wenn jemand Abstand halten möchte.«

Die chemischen Verbindungen werden zur Herstellung von Kosmetika, Schmiermitteln oder Oberflächenbeschichtungen verwendet.

Kein Wunder, möchte man aus deutscher Sicht sagen – denn ähnlich erleben wir die Omanis. Im Gespräch öffnen sich die jungen Männer, laden großzügig in ihre Häuser ein und scherzen viel und gern. Doch wenn darüber geschrieben und das Ergebnis veröffentlicht werden soll, tritt vorsichtige Zurückhaltung zutage – schließlich könnte man missverstanden werden oder zu tiefe Einblicke gewährt haben.

 

2013 erwarb Oman Oil das Unternehmen Oxea – aus strategischen Gründen. Der Investor Advent International hatte die Verbindung über ein paar Jahre hinweg vorbereitet, Oman Oil gab 1,8 Milliarden Euro als Mitgift (siehe Infokasten). »Öl- und Gasvorkommen spielen in Oman immer noch eine große Rolle, und wir wollten mehr in den Downstream investieren – das bedeutet: in die Stufen, die die Rohstoffe nach der Förderung durchlaufen.

 

Außerdem geht es darum, neue Jobs zu schaffen«, erklärt Salim Al-Huthaili, Geschäftsführer von Oxea. Dabei hat er einen der größten Unterschiede zwischen Deutschland und Oman im Blick: die Demografie. Der alternden Bevölkerung und entsprechenden Belegschaften hierzulande steht ein Land gegenüber, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt ist. Zu den Trainees bei Oxea gehören neben Majid Al-Mashari und Ali Al-Lawati auch Mitarbeiterinnen, die an der einzigen deutschen Hochschule auf der arabischen Halbinsel, der GU Tech in Maskat, ausgebildet wurden.

 

Erstaunlich für alle, die die Schwesteruniversität, die RWTH Aachen, kennen: Rund 80 Prozent der angehenden Ingenieure und Verfahrenstechniker, die in Oman studieren, sind Frauen. Die GU Tech, die just ihr zehnjähriges Bestehen feierte, arbeitet gemeinsam mit Oxea nicht nur an der technischen, sondern auch an der sprachlichen und kulturellen Ausbildung der Studierenden, die teils auch am Goethe-Institut in Maskat Deutsch lernen.

 

Junge Omanis in Lohn und Brot zu bringen ist eine Herausforderung in Zeiten, in denen die Öl fördernden Länder am Golf nach neuen Einkommensquellen Ausschau halten müssen. »Vision 2040« ist die Zukunftsplanung betitelt, die Omans Wirtschaft auf eine breitere, nachhaltige Grundlage stellen soll. Im Fall von Oxea ist dieses Fundament durchaus noch an die schwindenden Rohstoffen Öl und Gas gebunden: Chemische Verbindungen, die das Unternehmen aus den Kohlenwasserstoffen produziert, werden zur Herstellung von Kosmetika, Schmiermitteln oder Oberflächenbeschichtungen verwendet.

In Duqm, auf halbem Weg zwischen Maskat und Salalah, entsteht ein neues Werk: Zwei Drittel so groß wie das bestehende in Oberhausen soll es werden.

»Wir wollen unsere Rohstoffe nicht mehr nur in den asiatischen Markt oder andere Länder exportieren, sondern sie direkt in unserem Land verarbeiten«, sagt Geschäftsführer Huthaili. Der Weg in Richtung Industrieausbau in Oman ist allerdings ohne den Zugang zu entsprechenden Technologien und dem internationalen Handelsnetzwerk nicht gangbar. Ein wichtiger Grund, weshalb Oxea mit seiner deutschen Zentrale sowie den europäischen und amerikanischen Niederlassungen für die Omanis interessant wurde – und umgekehrt: »Von Anfang an gehörte es zu den Zielen, den asiatischen Markt von Oman aus mit Produkten des Unternehmens zu versorgen«, erläutert Huthaili.

 

Dafür entsteht im Ort Duqm auf halbem Weg zwischen der Hauptstadtregion um Maskat und Salalah, bekannt für seine Weihrauchsträucher, ein neues Werk: Zwei Drittel so groß wie das bestehende in Oberhausen soll es werden – im Ruhrgebiet sind rund 900 Mitarbeiter auf 1,2 Quadratkilometern beschäftigt.

 

Der Aufbau von Kapazitäten im Downstreaming steht auch hier ganz oben auf der Agenda. Das bedeutet, dass Molekülkombinationen aus Öl oder Gas nicht nur produziert, sondern auch gewinnbringend weiterverkauft werden sollen. Die Wirtschaftssonderzone in Duqm (SEZAD) ist eine Investition in die industrielle Zukunft, von der man sich im Sultanat viel verspricht: Seit sieben Jahren wird in die industrielle Entwicklung der Region investiert. Die Omanis bauen den Hafen in dem einstigen Fischerort als Drehscheibe für petrochemische Produkte aus. Darüber hinaus gehört das Umland von Duqm zu den Schwerpunktregionen, in denen der Tourismus noch weiter ausgebaut werden soll.

 

Das Know-how aus Deutschland soll dazu beitragen, Oxea in den Industrieaufbau in Oman einzubinden. Diesem Zweck dienen zwei Austauschprogramme: Eins für jungen Graduierte wie Majid Al-Mashari und Ali Al-Lawati, und ein zweites zur Weiterbildung erfahrener Kollegen, die in Oman neue Aufgaben übernehmen sollen.

 

Dass der Informationsfluss sprudelt, dafür ist Geschäftsführer Salim Al-Huthaili verantwortlich – deshalb zog er vor zwei Jahren an den Rhein, wo er schon nach dem Bachelor-Studium gelebt hatte. Seine Frau und die vier Kinder folgten ihm, als sich abzeichnete, dass er die Position des Geschäftsführers übernehmen würde. »Die Kids wohnen gern hier in Düsseldorf. Die drei älteren besuchen die International School in Kaiserswerth, an der mit ihnen als Omanis jetzt Kinder aus 44 Nationen unterrichtet werden«, sagt Salim Al-Huthaili.

Die Kinder des Geschäftsführers besuchen gemeinsam mit Kindern aus 44 verschiedenen Ländern die internationale Schule in Kaiserswerth.

»Eine bessere Schule gibt es wohl kaum. Ich weiß nicht, was sie lernen, aber sie dürfen auf Tische und Wände schreiben, haben alle ein iPad.« Besonders beliebt beim Nachwuchs: der Kurs »Outside learning experience« – also Lernen in der freien Natur. Außerdem steht den Kindern ein Schulgarten zur Verfügung, wo sie Tiere oder Pflanzen sammeln. In Oman wäre eine solche Erfahrung kaum denkbar, einerseits, weil so selten regnet, andererseits, weil sich im Sand eher giftige Schlangen als harmlose Regenwürmer tümmeln.

 

Der Geschäftsführer sieht Oxea nicht als rein deutsches Unternehmen, sondern als Weltfirma, in der Vielfalt seiner Meinung nach eine noch größere Rolle als bisher spielen sollte: »Dabei geht es nicht nur darum, dass das Verhältnis von Männern und Frauen unter den Beschäftigten ausgeglichen sein sollte, sondern auch um das gute Verhältnis der verschiedenen Kulturen untereinander«, erklärt er und ergänzt: »Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich Omanis und Deutsche in ihrer Zusammenarbeit gegenseitig beeinflussen. Die Kollegen tauschen sich mit den Omanis über ihre Kenntnisse aus, erzählen aber auch von Reisen oder treffen sich zum Fußballspielen und machen gemeinsame Ausflüge.«

 

Huthaili sieht Vielfalt als Wert an sich im Unternehmen an und schätzt gerade die Unterschiedlichkeit der Menschen. Das passt zu den Menschen an Rhein und Ruhr, für die das Fremde, Andere auch nichts wirklich Neues ist: Früher kamen die Zuwanderer aus Masuren, Ostpreußen, Polen und der Türkei, um im Ruhrgebiet zu arbeiten – heute aus allen Teilen der Welt und innerhalb von ein paar Flugstunden auch aus Oman. Gemeinsame Erfahrungen können, so Huthaili, bei der vorsichtigen Annäherung aneinander ebenso Bindeglieder sein wie humorvolle Begegnungen: »Warum soll man keine Scherze über kulturelle Eigenheiten machen?« Eine Frage, mit der er im Rheinland einen weiteren Nerv trifft – dort, wo man das Herz gern auf der Zunge trägt und ein munteres Schwätzchen zum Tag dazu gehört.


OXEA ist ein Unternehmen mit einer langen Geschichte: Die damalige Ruhrchemie AG in Oberhausen wurde bereits 1928 gegründet. Oman Oil kaufte das Unternehmen 2013 für 1,8 Milliarden Euro vom Investor Advent International. Das Unternehmen stellt Oxo-Intermediate und -Derivate her und hat derzeit Produktionsstandorte in Bishop und Bay City (beides in Texas gelegen), Amsterdam, Oberhausen, Marl und Nanjing in China. Oxea-Produkte sind eine Vielzahl von Stoffen wie Alkohole (u.a. Polyole), Aldehyde, Carbonsäuren, Spezialitäten-Ester und verwandte Stoffe wie Amine. Alle diese Stoffe haben Öl oder Gas als Basis und werden als Zwischenprodukte bei der Herstellung von Beschichtungen, Pharmazeutika, Schmier-, Aroma-, Duft-, Farb- und Kunststoffen benötigt. Die besondere Herstellungstechnik geht auf die Forschungsarbeit des Chemikers Otto Roelen (1897–1993) zurück. Heute hat Oxea rund 1.400 Mitarbeiter weltweit und verzeichnet einen Umsatz rund 1,2 Milliarden Euro.)

Von: 
Natascha Plankermann

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