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»junge verlierer« von Emrah Serbes

Mit Wut verputzte Sehnsucht

Feature

»junge verlierer« der türkischen Literaturhoffnung Emrah Serbes ist ein Porträt von Heranwachsen und Zurückweisung. Die derbe Sprache der männlichen Protagonisten vermittelt ungebremste Emotionen, schlägt aber zuweilen über die Stränge.

»Leid«, so stellt Emrah Serbes seiner Kurzgeschichten-Sammlung »junge verlierer« als Wahlspruch voran, »Leid wird erst schön, wenn es zur Erinnerung gerinnt.« Erhan, Osman, Nurretin und die fünf weiteren Protagonisten sind allesamt männlich und auf dem Höhepunkt ihrer Pubertät. In acht Geschichten durchleben sie in der Ich-Perspektive das Teenagerdasein in den Vororten türkischer Großstädte. Leid fügt ihnen dabei hauptsächlich das unerwiderte Begehren der jeweils Angebeteten, also der Freundin des großen Bruders, der kleine Schwester des größten Schlägers des Viertels, oder Esra, der Nachhilfelehrerin zu.

 

Erfolg in der Balz ist den Jungs aber auch nebensächlich, es geht den Nachwuchs-Liebhabern mehr um die Demonstration ihrer (nicht vorhandenen) Männlichkeit, ihre Rolle des tragischen Liebhabers in einer schlechten Welt. Ihr Leiden wird dementsprechend pathetisch zelebriert, doch hinter den witzig erzählten Tragikomödien steckt auch immer ein realer Schmerz: das konfliktbeladene Verhältnis zur Familie, das gewaltbeladene Verhältnis zum Umfeld und auch zum Staat. Tod und Verlust lauern hinter jeder pubertären Episode.

 

Über 50.000 Exemplare von »junge Verlierer« hat Serbes seit 2009 in der Türkei verkauft. Überhaupt gilt der 1981 geborene Autor dank seiner Schöpfung Kommissar Behzat Ç., dem beliebten Fernsehkommissar und seiner aktiven Teilnahme an den Gezi-Park-Protesten 2013, als eine der prominentesten Künstler in der Türkei. Der vielfach ausgezeichnete Berliner binooki-Verlag, 2009 von den Schwestern Inci Bürhaniye und Selma Wels gegründet, bringt nun »junge verlierer« im Frühjahr 2014 erstmals auf Deutsch auf den Markt. 

 

So exzellent bislang die Arbeit des Verlages ist, so toll ist auch die Übersetzungsarbeit von Oliver Kontny. Dank Serbes und Kontny riecht die Welt von »junge verlierer« nach Sonnencreme an überfüllten Stränden, nach Zigarettenduft vor Ventilatoren, nach Cola und Chips, aufgestauten Emotionen und Prügeleien. Es wird als Minderjähriger geraucht, was das Zeug hält, geflucht wie bei Berliner Gangsta-Rappern, getrunken wie ein arbeitsloser Maurer und geliebt wie ein türkischer Don Juan.

 

»junge verlierer« ist ein intimes Portrait des männlichen Heranwachsens, in all seinem Streben nach Anerkennung, seiner Ergriffenheit für das eigene Sein, seiner Zerrissenheit zwischen der Tradition der Altvorderen und der mühsam erkämpften Freiheit der Studenten. »Es ist eine mit Wut verputzte Sehnsucht«, sagt einer der Ich-Erzähler, als sein Begehren wieder einmal abgewiesen wird. Die Stärke des Buches ist auch seine Schwäche: Die ungebremste, deftige Emotionalität, seine Wut. »Ich ficke deine Mutter/Schwester/Oma« gehört zu den harmlosen Beschimpfungen, es hagelt Faustschläge in diverse Körpergegenden.

 

Was das Buch für Pubertierende also interessant macht, das Solidarisieren im Überschwang, ist kurzweilig, aber doch streckenweise arg vulgär. »junge verlierer« ist als Buch selbst zwar kein Verlierer, aber erst ein Wegabschnitt eines Schriftstellers, hoffentlich noch nicht sein Meisterwerk. Wer mit deftigen, vulgären Sprüchen nichts anfangen kann, wird »junge Verlierer« schnell zur Seite legen. Für alle anderen ist es ein höchst unterhaltsames Buch im Portfolio eines hoffnungsvollen Autors.

 


junge verlierer

Emrah Serbes

Aus dem Türkischen von Oliver Kontny

Binooki, 2014

176 Seiten, 16,90 Euro

Von: 
Sven Hirschler

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