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Ägyptens neuer Präsident Mursi

Alle sollen mit anpacken

Analyse

Ägyptens neuer Präsident Mursi braucht dringend Erfolge, um Kritiker und Unterstützer zu überzeugen. Während der politischen Ruhezeit im Ramadan kommt ihm da auch eine eher symbolische Aufräumaktion sehr gelegen.

Nach fast 30 Tagen im Amt dürfte der erste frei gewählte Präsident Ägyptens langsam nervös werden. Die Erwartungen sind groß, nach 100 Tagen wollen die Menschen die Ergebnisse ihres Präsidenten an den Forderungen und Versprechungen seines 100-Tage-Planes messen. Im Internet haben Aktivisten das Mursimeter kreiert.

 

Eine Plattform, auf der Mursis Versprechen für die ersten 100 Tage in 64 Punkte gegliedert sind, mit den entsprechenden Informationen welche bereits erfüllt sind und welche sich in Bearbeitung befinden: Doch während der Zeitbalken Tag für Tag voranschreitet, zeigt der Balken für erfüllte Versprechen immer noch 0 an.

 

Der Präsident kämpft gerade an anderen Fronten. In einem seit Monaten andauernden Machtkampf mit dem Militär muss er sich seine Kompetenzen mühevoll erkämpfen. Doch am letzten Wochenende dann wurde eine Vorhaben in Angriff genommen: endlich Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung, besonders in Großstädten wie Kairo, zu unternehmen.

 

Am Wochenende dann rief Mursi mit Hilfe vieler Unterstützer der Muslimbrüder den »Saubere Heimat«-Tag ins Leben, eine zweitägige Aufräumaktion in ganz Kairo. Freiwillige Helfer und Helferinnen, meist Sympathisanten der Muslimbrüder, verbrachten ihr Wochenende damit, Müll in den Straßen Kairos aufzusammeln und den Kehrbesen zu schwingen.

 

»Wir haben das für unser Land gemacht, die Helfer der Muslimbrüder machen das für Mursi«

 

Im Interview mit der Tageszeitung al-Masry al-Youm sagten die fleißigen Helfer, dass es vor allem darum ginge, ein gutes Vorbild für die Mitbürger zu sein und durch die Aktion darauf aufmerksam zu machen, dass man sich um eine saubere Stadt kümmern muss. Viele Autofahrer hielten an und fragten neugierig nach. »Ich möchte die Bürger zu einem bewussteren Verhalten im Alltag ermutigen, die Aktion heute ist da nur der Anfang.

 

Es ist wichtig, unsere Stadt sauber zu halten und alle sollen spüren, dass sie einen Teil dazu beitragen, so einer der Freiwilligen im Kairoer Viertel Mohandeseen. »Die Leute gehen einfach aus dem Haus und schmeißen ihren Müll vor sich auf die Straße. Das Müllproblem geht uns alle an. Und das kann eine Partei oder ein Präsident nicht alleine lösen. Da müssen wir alle mit anpacken«, so ein andere Müllaufräumer.

 

Das Müllproblem hat natürlich etwas größere Dimensionen und fordert mehr als symbolische Aktionstage. Angefangen mit dem Mangel an Mülleimern im öffentlichem Raum bis hin zur mangelhaften Müllabfuhr und die so entstandenen Müll-Leute, die in Müllslums davon leben, den Müll Kairos mit ihren bloßen Händen zu sortieren und für ihre Zwecke weiter zu verarbeiten.

 

Ganz zu schweigen vom Fehlen eines verantwortungsbewussten Umgangs mit Müll. Da Müllversorgung nicht richtig organisiert ist und in den Straßen überall Müll liegt, schmeißt man seinen Abfall eben einfach dazu – die Müll-Leute werden es dann schon irgendwann mitnehmen. Der Aktionstag von Mursi und seinen Helfern ist ein Anfang. Wobei er nicht der Erfinder dieser Idee ist.

 

Die Bilder erinnern sehr an die Tage während und am Ende der Proteste im Januar und Februar 2011, als die Aktivisten den Tahrir-Platz und andere Kairoer Straßen sauber machten. Viele Aktivisten wollten damit ihre Verantwortung für ihr Land ausdrücken. Einer davon kommentierte nun Mursis Aktion zynisch: »Der Unterschied: wir haben das für unser Land gemacht, die Helfer der Muslimbrüder machen das für Mursi.«

Von: 
Victoria Tiemeier

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