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Übergang im Jemen

Die Revolution im Innern

Analyse

Während Präsident Saleh trotz des angekündigten Rückzug noch immer die Fäden im Jemen zieht, rumort es in seiner Partei und selbst bei den Republikanischen Garden. Ob der Übergang gelingt, hängt vom Kurs von Vize-Präsident Hadi ab.

Nach der Unterzeichnung des GCC-Abkommens durch den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh am 23. November 2011 kam die jemenitische »Revolution« kurzweilig ins stocken. Dennoch scheint sich hinter den Kulissen etwas zu bewegen. Dies insbesondere seit dem so genannten »Lebensmarsch«, einer symbolischen Protestaktion bei der hunderte Demonstranten eine Strecke von 250 km von Taiz durch tiefe Täler und über steile Berge zu Fuß nach Sanaa zurücklegten. Als die Demonstranten in Sanaa ankamen, starben 13 durch Angriffe der Republikanischen Garden.

 

Zwei parallel verlaufende Entwicklungen lassen sich seitdem feststellen. Erstens versuchen die Präsidentenfamilie und ihre Sympathisanten an ihrer Macht festzuhalten, was zu Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungspartei führte. Zweitens begannen Mitarbeiter staatlicher Institutionen gegen ihre korrupten Vorgesetzten zu demonstrieren und versuchen dadurch, ihre Institutionen von innen zu »säubern«.

 

»Parallele Revolution« in den Institutionen

 

Es begann alles Mitte Dezember, als die Mitarbeiter der staatlichen Fluggesellschaft Yemenia ihre Arbeit niederlegten und den Rücktritt des Direktors forderten. Der Direktor, im Volksmund »Al-Kaptain« genannt, ist der Schwiegersohn des Präsidenten und gehört somit zum engsten Kreis des Regimes. Dass die Regierung sich in Folge des Streiks dazu entschlossen hat, den Direktor auszutauschen, ist daher ein großer Erfolg für die so genannte »parallele Revolution«, die seitdem mehrere staatliche Institutionen ergriffen hat.

 

Infolge dieses Erfolgs, begannen Mitarbeiter staatlicher Banken, der Anti-Korruptionsbehörde, Universitäten, des staatlichen Fernsehens und sogar Einrichtungen des Militärs den Rücktritt ihrer korrupten Vorgesetzten zu fordern. Die Proteste verliefen alle nach ähnlichem Muster. Die Gebäude wurden verriegelt, woraufhin die Büros der Vorgesetzten gestürmt und besetzt wurden. Der Chef der Anti-Korruptionsbehörde wurde sogar daran gehindert, das Gebäude überhaupt zu betreten.

 

»Wir sind nicht irgendeine Institution. Wir sind die Republikanische Garde!«

 

Gerüchten zufolge begann die parallele Revolution auch in die Republikanische Garde überzuschwappen. Die gut ausgebildeten Truppen stehen unter dem Befehl von Ahmed Ali, dem ältesten Sohn des Präsidenten. Nur wenige Informationen drangen nach außen, doch behauptete der in den Vereinigten Staaten lebende Oppositionsführer Munir Al-Mawari sogar, dass Ahmed Ali sich in den Golf abzusetzen plane, um einer Rebellion innerhalb der 30.000 Mann starken Republikanischen Garde zu entgehen.

 

Stattdessen verhaftete der Präsidentensohn zahlreiche Offiziere, um die Reihen von möglichen Deserteuren zu befreien. Er warnte seine Soldaten davor, zu Protesten aufzurufen, denn die Republikanische Garde sei »nicht eine Institution wie jede andere«.

 

Und tatsächlich haben sich die Truppen im vergangenen Jahr als essentiell für das Überleben des Saleh-Regimes herausgestellt. Das weitere Verfügen über die Garde ist aus der Perspektive der Präsidentenfamilie zentral, um auch in Zukunft Einfluss auf den Staat ausüben zu können. Ebenso wichtig ist der Zugriff auf die legitime Macht, also derjenigen, die auf der Grundlage der Verfassung beruht. Denn nur so kann der engste Kreis des Regimes auch weiterhin über staatliche Ressourcen verfügen.

 

Hat Saleh seinen Vize unterschätzt?

 

Bevor Präsident Saleh und die Oppositionsparteien das GCC-Abkommen unterzeichneten, haben sich beide Seiten darauf geeinigt, in den kommenden Wahlen Abd Rabbu Mansour Hadi, Mitglied im regierenden »Allgemeinen Volkskongress« und Vize-Präsident, als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Für die Opposition schien dies die einzige Lösung, um den Präsidenten dazu zu bewegen, das GCC-Dokument zu unterzeichnen. Für Saleh war es der Versuch, den schwachen Vize-Präsidenten als Platzhalter zu installieren, um so auch in Zukunft den Zugriff zur legitimen Macht zu erhalten.

 

Hadi scheint nun doch stärker zu sein, als von Saleh angenommen. Der Vize-Präsident bemüht sich, eine neutrale Position zwischen dem Präsidenten und der Opposition aufrecht zu erhalten. Nur so kann er auch in Zukunft als legitimier Präsident angesehen werden und eben nicht als Marionette der einen oder der anderen Seite.

 

In der vergangenen Woche drohte Hadi damit, Sanaa zu verlassen, wenn Saleh nicht aufhöre, die Umsetzung des Abkommens zu blockieren. So kam es zu Spannungen innerhalb des »Allgemeinen Volkskongresses«. Einige Parteimitglieder nannten Hadi einen Verräter, weil er den Präsidenten nicht genug unterstütze. So zum Beispiel Mohammed Al-Shayf, der Sohn eines wichtigen Stammesführers, der seit Beginn der Revolution eng an Salehs Seite steht. Im Zuge der Debatte lehnte Sultan Barakani, der Fraktionsvorsitzende des »Allgemeinen Volkskongresses« es sogar ab, Hadi überhaupt als Präsidentschaftskandidaten zu nominieren.

 

Andere wiederum verließen die Partei, deklarierten ihre Unterstützung für die Revolution und verurteilten die Immunitätsklausel, die das GCC-Abkommen enthält – ein zentraler Punkt des Abkommens, der von einem großen Teil der Demonstranten auf den Straßen des Landes abgelehnt wird. 

 

Wer zieht den Kürzeren?

 

Besonders diejenigen, deren wirtschaftliche Interessen eng verbunden mit Salehs Patronagepolitik sind, werden sich nun dafür einsetzen, Salehs Position zu stärken, um die Balance, die der Präsident schuf, aufrecht zu erhalten. Für sie ist es wichtig, ihren privilegierten Platz in der Gesellschaft zu behalten, was aber nur möglich ist, wenn eben diese Ordnung auch legitimiert werden kann. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie weiterhin durch Vizepräsidenten Hadi auf die legitime Macht zugreifen können.

 

Diejenigen in der Regierungspartei, die weniger von der Patronagepolitik profitierten und selber nur Zeuge der Großkorruption waren, werden versuchen Hadi und die Revolution zu unterstützen. Denn würde Saleh endgültig die Macht an Hadi übergeben, könnten die Überläufer in einer Nach-Saleh-Partei aufsteigen – gelten sie doch dann als Verteidiger der Revolution von 2011.

 

Wer am Ende den Kürzeren zieht, die Saleh-Unterstützer oder die Überläufer, wird sich bei den Präsidentschaftswahlen zeigen und ist davon abhängig, ob Hadi weiterhin standhaft bleibt, oder sich doch dem Druck des Regimes beugt.

Von: 
Mareike Transfeld

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