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Am 21. Februar wählt der Jemen einen neuen Präsidenten

Stolperstein für den Neustart

Analyse

Am 21. Februar wählt der Jemen einen neuen Präsidenten. Welchen steht bereits fest, denn es tritt nur ein Kandidat an. Die Zukunft des Jemen im Übergang hängt davon ab, wieviel Mut der neue Präsident Hadi aufbringt, meint Will Picard.

Am 21. Februar stimmen die Jemeniten über ihren zukünftigen Präsidenten ab. Eine Wahl ist es nicht wirklich, eher ein Referendum, aber eigentlich suggerieren beide Begriffe, dass es sich um ein demokratisches Verfahren handelt – und das ist es nicht. Es ist weder durch die jemenitische Verfassung gedeckt, noch Ergebnis des Volkswillens. Vielmehr wurde das Abkommen von den Führern der größten politischen Parteien ausgehandelt und stammt aus der Feder von Vertretern des Golfkooperationsrates (GCC).

 

Die so genannte GCC-Initiative, von den USA und den Vereinten Nationen gestützt, wurde dem Jemen aufgezwungen – als angebliche Lösung für etwas, dass die Golfstaaten gerne als »politische Krise« des Jemen bezeichnen: eine bereiits ein Jahr andauernde Straßenbewegung gegen das Regime von Präsident Ali Abdullah Saleh. Nun sieht es so aus, als wenn das Abkommen keine der Forderungen dieser Bewegung umsetzt, während Saleh alles ihm Mögliche für sich herausschlagen kann.

 

Vize-Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi, der seit 1994 unter Saleh dient, aber keine wirkliche eigene Machtbasis besitzt, wurde gemeinsam von Salehs Regierungspartei, dem »Allgemeinen Volkskongress«, und dem Oppositionsbündnis der »Parteien des Gemeinsamen Treffens« (PGT), »nominiert«. Zwar ein paar Revolutionäre angekündigt, als unabhängige Kandidaten antreten zu wollen, doch ist kein Einziger vom Parlament zugelassen worden. Ohne einen Gegenkandidaten ist Hadis Sieg also beschlossene Sache. Ob die Wahlen überhaupt noch mehr liefern, als die Beförderung für Hadi, ist völlig unklar.

 

Die GCC-Initiative wurde im Mai vergangenen Jahres augearbeitet, nachdem eine Reihe von Verhandlungen in Gang gestezt worden waren, als prominente Familien und ehedem Unterstützer Salehs aus Politik und Militär sich vom Regime losgesagt hatten. Einer der Wendepunkte hierfür war das »Massaker vom Platz des Wandels« am 18. März, bei dem über 50 Demonstranten durch Scharfschützenfeuer ums Leben kamen. Als Saleh im November im dritten Anlauf schließlich seine Unterschrift unter das Abkommen setzte, hatten seine Sicherheitskräfte hunderte Menschen getötet und das Land an den Rand eines Bürgerkriegs gedrängt. Zugegeben, diese Dimension von Gewalt hat seitdem abgenommen, ansonsten aber hat sich wenig geändert.

 

Die Immunitätsklausel belohnt Saleh für seine Unnachgiebigkeit

 

Die im Dezember gebildete Einheitsregierung – auch so eine Kreation des GCC-Abkommens – hat das drängendste Problem noch immer nicht gelöst: die Demilitarisierung von Jemens Städten und die Umstrukturierung der Streitkräfte. Salehs Salehs enge Verwandte kontrollieren weiter die Schlüsselpositionen in den Streitkräften und Sicherheitsdiensten. Um es klar zu sagen, Salehs Regime bleibt größtenteils intakt. Saleh selbst hat sich indessen von seinem New Yorker Kurzzeit-Domizil zu Wort gemeldet und mehrfach bekräftigt, pünktlich zum Wahltag wieder im Land zu sein, um seine Stimme abzugeben. Salehs weitere Zukunft liegt noch im Dunkeln. Doch weder das GCC-Abkommen, noch die momentane politische Situation könnten ihn davon abhalten, seinen Einfluss weiter geltend zu machen, zumal das Parlament ihm und seinen engsten Vertrauten volle Immunität zugesichert hat – auch das eine Klausel des GCC-Abkommes.

 

Viele intelligente und gut gemeinte Kommentare haben für die Vereinbarkeit der Immunitätsklausel und der Ein-Kandidaten-Wahl argumentiert. Saleh Straffreiheit zuzusichern war der notwendige Preis, damit er seine Unterschrift unter das Abkommen setzt und sich zum Abtritt bereit erklärt, so die Argumentation. In Wahrheit war die Immunitätsklausel aber eher kontraproduktiv. So hat sie wichtige Strömungen verprellt und de facto vom politischen Prozess ausgeschlossen. Die zaiditische Huthi-Bewegung und sozialistisch angehauchte Sezessionsbewegung im Süden etwa haben maßgeblich aus diesem Grund einen Wahlboykott angekündigt.

 

Außerdem hat sie der neuen Regierung die Möglichkeit genommen, Regimeanhänger aus den wichtigen Schaltstellen der Macht zu entfernen – und damit auch deren staatlich angezapften Einkommensquellen trockenzulegen. Am wichtigsten aber ist die Botschaft, die von der Klausel an die Welt, aber auch an die Potentaten der Region geht: Zehn Monate Gewalt sind nicht schlimmer als vier, und die Belohnung für Unnachgiebigkeit ist Nachsicht. Das GCC-Abkommen beschert Saleh einen Sieg über seinen Gegner, den er nie mit Waffengewalt hätte erringen können. Mit diesem Sieg am Revers und der Gewissheit, dass seine loyalen Söhne, Neffen und Brüder weiter sicher im Sattel sitzen, wen stört es da, wer den Titel »Präsident« trägt?

 

Jemens Partner müssen dabei helfen, Saleh wirklich von der Macht zu drängen

 

Doch um fair zu sein, muss auch erwähnt werden, dass das GCC-Abkommen durchaus einige sinnvolle Passagen bereithält.  Einge davon spiegeln sogar die Forderungen von jemens revolutionärer Jugend wider: So etwa die Bildung einer »Konferenz des Nationalen Dialogs«, die alle Parteinen und Faktionen einbezieht, die Ausarbeitung und die Abstimmung über eine neue Verfassung sowie ein umfassender Reformprozess in politischen, sozialen und wirtschaftlichen Belangen.

 

Damit all diese Pläne nicht nur hehre Worte bleiben, braucht es zwei Voraussetzungen. Bevor irgendein Fortschritt erzielt werden kann, muss Salehs gesamte Familie von den Schaltstellen der Macht entfernt werden. Solange das halbe Militär und große Teile der Wirtschaft in ihren Händen liegt, bleibt jede Reform ein Lippenbekenntnis. Zweitens, müssen die Anführer des Übergangs sowie ihre Unterstützer im Ausland, einen Weg finden, die wichtigesten revolutionären Faktionen davon zu überzeugen, dass sie auch Teil dieses Übergangs sind. Die Immunitätsklausel und das Fehlen jeglicher rechtlicher Einschränkungen für Saleh und seine Clique macht die erste Voraussetzung zunichte, die aufgezwungene Farce einer Wahl wiederum konterkariert die zweite.

 

Die Fehler der internationalen Gemeinschaft können allerdings noch behoben werden, vorausgesetzt, die jemenitischen Übergangsbehörden sind willens, schnell und bestimmt zu handeln. Bald-Präsident Hadi sollte, in Übereinstimmung mit der Einheitsregierung, einen rechtlichen Mechanismus in Gang setzen, der Saleh jegliche politische Betätigung untersagt, und seine engsten Familienmitglieder von Positionen in Politik und Militär ausschließt. Natürlich wird das keine einfache Aufgabe, aber es führt kein Weg daran vorbei, wenn der Übergang auch wirklich ein solcher werden soll.

 

Wenn die Regierungen der Golfstaaten und im Westen es ernst meinen und Jemen helfen wollen, müssen sie Hadi zu diesem Schritt drängen – und solch eine Entscheidung mit allen Mitteln unterstützen. Sobald Saleh und seine Vertrauen aus dem inneren Machtzirkel entfernt sein sollten, müssen Hadi und die Einheitsregierung die »Konferenz des Nationalen Dialogs« und die Verfassungskommission einberufen. Je länger die Regierung für die Umsetzung dieser Provisionen des GCC-Abkommens braucht, desto mehr werden sich Gruppen wie die Huthis oder die Bewegung des Südens vom politischen Übergangsprozess abwenden.

 

Wenn Hadi also den Willen aufbringt, die entscheidenden Weichen zu legen, kann der Jemen doch noch das Beste aus dem sonst unzureichenden Übergangsplan herausholen. Falls ihm das nicht gelingt, wird Hadi am 22. Februar als Präsident ohne Land aufwachen.


 
William E. D. Picard ist Historiker und Politanalyst und lebt und arbeitet in Süd-Kalifornien. Er hat über ein Jahrzehnt in Südwestasien gelebt und den Fokus seiner Forschung auf Geschichte und Politik des Jemen gelegt. 2009 gründete Picard das internationale Aktivisten- und Forschungsnetzwerk »Yemen Peace Project«, das er zurzeit leitet.

 

Von: 
Robert Chatterjee

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