Alle Jahre wieder entzünden Christen in aller Welt Kerzen und schmücken Bäume. Doch worauf gründen diese Traditionen? Ist das Weihnachtswunder nur ein Wiedergänger antiker Bräuche und Mysterien?
Es begab sich also zu der Zeit, dass mit Augustus ein Alleinherrscher das Römische Weltreich nach hundertjährigen revolutionären sowie kriegerischen Erschütterungen (133-30 v.Chr.) befriedet hatte und zur allgemeinen Steuerschätzung im ganzen Reich eine Volkszählung durchführen ließ. Nach christlicher Überlieferung kam daraufhin Joseph mit Maria von Nazareth nach Bethlehem, wo Maria Jesus zur Welt brachte.
Dieser wurde in der Zeit seines späteren Wirkens als jüdischer Wanderprediger von seinen Jüngern für den Messias gehalten und lange nach seinem Tod – auf Betreiben des Apostels Paulus, der aus dem jüdischen Glauben Christi den christlichen Glauben formte – rückwirkend zum Mensch gewordenen Gott verklärt.
Während Juden mit dem Entzünden des Chanukkaleuchters zeigen, dass sie an ihren alten Bräuchen festhalten, und die Gläubigen unter ihnen weiter den von ihren Propheten vor langer Zeit angekündigten Messias erwarten, entzünden Christen an jedem Adventssonntag eine weitere Kerze zum Gedenken der bevorstehenden Ankunft (lat. Adventum) Jesu Christi, der nach christlicher Auffassung als Messias (griechisch: Christos) erschien, um nicht bloß die Juden, sondern die Menschheit insgesamt zu erlösen.
Und mit seiner Auferstehung schien Jesus Christus es in der Außenwirkung gar dem griechischen Dionysos, dem persischen Mithras und dem ägyptischen Osiris gleichgetan zu haben. Beachtenswerterweise ist gemäß dem Altphilologen Wilhelm Nestle nie eine hellenistische Gottheit »trotz ihres Erdenwandels eine menschliche Natur zugeschrieben worden«. »Um so mehr haben diese hellenistischen Mysterienreligionen auf die Legendenbildung und den Kultus der christlichen Kirche eingewirkt.
Dies gilt besonders für die persische Mithrasreligion, die dem Christentum bis um die Mitte des 3. Jahrhunderts die stärkste Konkurrenz machte. Es ist schwerlich Zufall, dass sowohl in der Kultlegende der Mithrasreligion als auch in der Geburtsgeschichte Jesu Hirten die ersten sind, die Kunde von der Geburt des göttlichen Kindes vernehmen«, so Nestle in seinem Buch »Die Krisis des Christentums« weiter.
Christliche Kulte überschneiden sich augenscheinlich mit Mysterien der hellenistischen Welt
Am Tag der Wintersonnenwende, die am 25. Dezember angenommen wurde, feierte man den Geburtstag des Mithras, weil dieser nach den Vorstellungen seiner Anhänger die Sonne verkörperte, und schmückte dazu einen Baum. Um den populären Mithraskult zu verdrängen, verlegte die Kirche im 3. Jahrhundert das bis dahin am 6. Januar gefeierte Weihnachtsfest der Geburt Christi auf genau diesen Dezembertag, an dem es auch für viele Christen Brauch war und ist, einen Baum zu schmücken.
Der 6. Januar hingegen wurde fortan als der Tag gefeiert, an dem nach christlicher Überlieferung die »Weisen aus dem Morgenland« in Bethlehem ankamen, um den neugeborenen »Erlöser«, den »König der Juden«, willkommen zu heißen. Weit verbreiteten Erwartungen entsprechend sollte ein Stern auf die Ankunft des »Erlösers« hinweisen – ein Stern, dem die »Weisen aus dem Morgenland« gefolgt waren, wie es im Matthäus-Evangelium (2.2) heißt: »Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.«
Matthäus bezeichnet die »Weisen aus dem Morgenland« als »Magier«. Das lässt vermuten, dass es Mithraspriester waren, die mit ihrer Tracht auch als solche auf der ältesten erhaltenen Bilddarstellung zu erkennen sind.
Im Dunstkreis des persischen Mithras und ägyptischen Isis ersteht der Mythos um Christi Geburt
Mithras ist nach dem Glauben seiner Anhänger dreigestaltiger oder dreieiniger (!) »Mittler« zwischen Gott und den Menschen. Er stellt die aufgehende, himmelhoch leuchtende sowie untergehende Sonne dar und kehrt nach der Beendigung seiner irdischen Laufbahn ins himmlische Jenseits zurück. Im Jenseits geleitet er die Seelen der Gläubigen durch die sieben Planetentore in den Himmel, zu dem der persische Gott Zervan Akarana den Schlüssel hat.
»Es erhebt sich daher der Verdacht, ob nicht in der längst als späterer kirchlicher Einschub erkannten Stelle des Matthäusevangeliums, an der Jesus dem Petrus die ›Schlüssel des Himmelreichs‹ verheißt, eher diese Vorstellung der Mithrasreligion als ›Schlüssel Davids‹ zugrunde liegt und ob nicht der ›Felsenmann‹ Petrus hier an die Stelle des Felsengottes Mithras getreten ist, über dessen Heiligtum in Rom die Peterskirche erbaut ist«, schreibt Nestle weiter.
Noch deutlicher tritt dieser hellenistische Zeitgeist in den Isismythen zu Tage. Isis ist eine ägyptische Göttin – die Mutter des Horus und Schwester sowie Gattin des Osiris, dem sie nach dessen gewaltsamen Tod das Leben zurückgegeben hatte. Im Zeitalter des Hellenismus wurde sie als Prinzip der Natur wie auch als Königin des Himmels und des Totenreichs verklärt. Allein ihrer Gnade oblag die Auswahl der Menschen, die durch die Sakramente der Mysterien in die Gemeinschaft der Gottheit aufgenommen wurden.
Christliche Kirche als ein Produkt des religiösen Synkretismus der Antike?
»Es wäre merkwürdig, wenn eine geistig so nahe verwandte Religion nicht auch einen Beitrag zum Aufbau der christlichen Kirche geliefert hätte,« meint Nestle. Seiner Ansicht nach lebt Isis, die ägyptische »Himmelskönigin«, himmlische Jungfrau und Mutter des göttlichen Horus, fort in der Madonna, der heiligen Jungfrau Maria und Mutter des Gottessohnes Jesus. In der Kunst wurde das Bild der Mutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm dem der Isis mit dem Horusknaben nachgebildet »und der blaue sternbesäte Mantel der Maria ist der Ornat der ägyptischen Himmelskönigin.«
In den Überlieferungen und Ritualen, zu denen auch die Sakramente der Taufe sowie des Abendmahls gehörten, gab es so viele auffällige Ähnlichkeiten zwischen den hellenistischen Mysterienreligionen und dem Christentum, dass viele Christen sie sich nicht anders denn als satanische Nachahmung ihrer Bräuche durch die »Heiden« erklären konnten. Tatsächlich waren es wohl eher die Kirchen, die manche ihrer Rituale von den »Heiden« übernommen und deren Götterglauben neu gedeutet hatten.
Herwig Schafberg (67) ist Historiker mit dem Schwerpunkt Geschichte des Orients und lebt und arbeitet in Berlin.