Der Status der Alawiten innerhalb der islamischen Welt hängt nicht allein am Assad-Regime. Seit fast 80 Jahren spricht die Kairoer Al-Azhar der Glaubensgemeinschaft die Zugehörigkeit zum Islam ab. Das hat Folgen.
Viele Beobachter, vor allem aber die syrische Opposition im Ausland, lehnen das Wort »Bürgerkrieg« als Bezeichnung für das Geschehen in Syrien kategorisch ab. Es ist natürlich heikel, weil es den Eindruck erwecken könnte, als gäbe es unterschiedliche Ethnien und Religionsgruppen, die sich gegenseitig bekämpften. Folglich gäbe es auch weder »gut« noch »böse«. Nach der Lesart vieler Oppositioneller handelt es sich schlichtweg um ein Regime, das sein aufbegehrendes Volk massakriert.
Diese Behauptung erscheint zwar aufgrund der sichtbaren Brutalität des Regimes vertretbar. Dennoch blendet sie eine inzwischen hinlänglich bekannte Tatsache aus: Sowohl die politische Opposition, als auch die Rebellengruppen im Landesinneren werden ideologisch von konservativen, zum Teil auch radikalen Sunniten dominiert. Andererseits kann der alawitische Charakter des Regimes nicht bestritten werden, obwohl die sunnitischen Wirtschaftseliten und Oberschichten es ebenfalls unterstützen. Dieses sunnitisch-alawitische Dominanzverhältnis kann man rein politisch verstehen: Das würde schlicht und einfach bedeuten, dass – im Falle eines Sturzes des Regimes – eine sunnitisch geprägte Mehrheit das System dominiert.
Für Al-Azahr gelten Alawiten, Ismailiten und Drusen nicht als Anhänger einer monotheistischen Offenbarung
Allerdings gewinnt ein möglicher Machtwechsel völlig andere Dimensionen, wenn man ihn aus religiöser Perspektive beleuchtet. Denn die im Westen ebenso wie im »offiziellen Syrien« verbreitete Definition, der zufolge die Alawiten eine islamische Konfession darstellen, kann man bestreiten: Die offizielle Meinung führender sunnitischer Instanzen ist nämlich eine völlig eine andere.
Habib Abu Zarr beschreibt in seinem Essay (siehe die Titelstory in der neuen zenith 4/13) ja die Gerüchte über eine angebliche Anerkennung der Alawiten durch die Kairoer Al-Azhar, die sich offenbar als gezielte Falschmeldung herausstellten. Die Al-Azhar, eine der höchsten religiösen Autoritäten im sunnitischen Islam, hat ihr erstes Rechtsgutachten (fatwa) über den Status der Alawiten im Islam im Dezember 1934 gezeichnet (publiziert unter Nr. 264/1). Demnach gelten Alawiten, Ismailiten und Drusen nicht als Anhänger einer monotheistischen Offenbarung. Zudem sei den Muslimen verboten, mit ihnen eine Ehe abzuschließen oder von ihrem Geschlachteten zu essen.
Den drei Gruppen wäre es sogar untersagt, im »Haus des Islam«, also den Ländern der Muslime, zu leben, selbst wenn sie, wie etwa Christen und Juden, eine Kopfsteuer (jizya) zahlen. Diese Auffassung hat die Al-Azhar im Mai 1997 in zwei weiteren Rechtsgutachten bestätigt: In der einen Fatwa (publiziert unter Nr. 399/8) ging es darum, den Status der Drusen zu definieren. Die zweite (publiziert unter Nr. 403/8) befasst sich mit anderen schiitischen Gruppen.
Al-Azhar beruft sich auf die Rechtsmeinung eines Gelehrten aus dem 18. Jahrhundert
Was in allen diesen Gutachten zu bemerken ist: Die Al-Azhar beruft sich auf die Rechtsmeinung des Gelehrten Ibn Abidin aus dem 18. Jahrhundert. Ibn Abidin sagt sogar, dass Alawiten, Ismailiten und Drusen praktisch Atheisten seien, von denen nicht einmal eine Umkehr zum wahren Glauben (tauba) anzuerkennen sei, wie im Fall anderer »Abtrünniger« (murtadin). Laut Ibn Abidin sind sie zu bekämpfen und zu töten.
Zudem sei derjenige Muslim, der Alawiten, Ismailiten und Drusen zu den Muslimen zählt, selbst ein Apostat. Verknüpft man die Auffassung von Al-Azhar über die Alawiten mit dem frommen, sunnitischen Charakter syrischer Rebellengruppen, muss man sich fragen: Würden sie einer solchen »Rechtsmeinung« folgen? Der Kampf der Alawiten gegen einen Systemwechsel wäre dann sogar als eine legitime Selbstverteidigung gegen einen sunnitischen religiösen Feldzug zu deuten. Zumal selbst die Al-Azhar als selbsternannte Vertreterin des »gemäßigten« sunnitischen Islams die Alawiten faktisch zum Abschuss freigegeben hat. Dr. Naseef Naeem ist Verfassungsrechtler und Mitgründer der Expertengruppe